Frage an Maria Klein-Schmeink von Beatrice B. bezüglich Gesundheit
Guten Tag Frau Klein-Schmeink,
mein Name ist Beatrice Bucher und ich bin selbst MCS-Betroffene und weiß daher aus eigener Erfahrung, wie aus den Berichten von Mitbetroffenen – dass es so gut wie keine umweltmedizinische Betreuung gibt (außer als Privatzahler) - dass den meisten Behörden, Gutachtern usw. dies nicht bekannt ist – mit den entsprechenden Folgeschwierigkeiten für Betroffene. Meine Frage nun an Sie: Gibt es auf der Bundesebene – jetzt wo in 2020 auch das RKI festgestellt hat, dass die umweltmedizinische Versorgung in Deutschland unzureichend ist und umweltmedizinische Maßnahmen noch immer nicht im Leistungskatalog der Krankenkassen vorkommen – was meines Erachtens Lenkungscharakter hat für Fortbildungsinteressen der Ärzte.
Da die Diagnose (wie bei mir auch) weder bei den Rentenkassen oder Gutachten oder bei den Krankenkassen auftauchen ist es weiterhin nicht möglich aus fehlenden Zahlen einen „Bedarf“ abzuleiten. Ich habe auch kaum Möglichkeiten einem „normalen“ Arzt meine Problematik zu erklären – was im Rahmen von Untersuchungen – Zahnbehandlungen oder gar Narkosen usw….jedoch schwere gesundheitliche Folgen für uns nach sich ziehen.
Ideen für Veränderungen tauchen oft erst in die Landesebene ein – wenn auf Bundesebene Signale gesetzt werden – so zumindest mein Eindruck bei den Reaktionen von Landesregierungen auf kl Anfragen.
Auch wollte ich fragen – inwieweit es Wege gibt – MCS als Behinderung anzuerkennen – ansonsten ist eine Inklusion oder Hilfen zur Teilhabe ja gar nicht umsetzbar. Soweit ich weiß ist MCS erst in einem Bundesland in Landesaktionsplan für Behinderte genannt…wie kann das ausgeweitet werden?
Und die letzte Frage: wohin können sich MCS-Betroffene wenden und von etwaigen Erfahrungen berichten – bzw. den Problemen denen sie in Sachen medizinische Versorgung oder bei Behörden ihnen widerfahren, damit die Betroffenen sichtbar werden können und es zukünftig zu einer besseren (oder überhaupt) zu einer Versorgung kommen kann.
Sehr geehrte Frau Bucher,
herzlichen Dank für Ihre Zuschrift. Wir können Ihr Anliegen und die damit verbundenen Beeinträchtigungen und Sorgen gut verstehen. Wie Ihr Beispiel zeigt, können Umweltbedingungen, in ihrem Fall Schadstoffe in der Umwelt, krank machen. Das zeigt, dass ein gesundes Leben nicht nur vom individuellen Verhalten, sondern ganz entscheidend auch von gesundheitsförderlichen Rahmenbedingungen bzw. gesetzlichen Regelungen wie etwa dem Immissionsschutz- oder dem Chemikalienrecht abhängt.
Gesundheitsförderung und Gesunderhaltung der Menschen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dafür müssen die Themen Umwelt und Gesundheit stärker zusammen gedacht werden. In dieser Wahlperiode haben wir in der Grünen Bundestagsfraktion daher auch zum ersten Mal eine Sprecherfunktion für den Bereich Umweltgesundheit eingerichtet, die von Frau Dr. Bettina Hoffmann ausgefüllt wird. Gleichzeitig ist sie Sprecherin für Umweltpolitik.
Im Umweltgesundheitsbereich ist die Auseinandersetzung mit möglichen Gesundheitsgefahren durch Chemikalien ein Schwerpunkt unserer Arbeit. Wir wissen noch zu wenig darüber, wie synthetische Chemikalien, mit denen wir im Alltag täglich konfrontiert sind, auf Mensch und Umwelt wirken. Vor allem die Wechselwirkungen dieser unterschiedlichen Chemikalien im menschlichen Körper sind noch zu wenig erforscht. Verbraucher*innen haben darüber hinaus oft keine Möglichkeit Informationen darüber zu erhalten, welche Chemikalien in welchen Produkten enthalten sind. Nachweislich schädliche Chemikalien bleiben zu lange im Umlauf oder werden durch weniger gut erforschte Chemikalien mit ähnlicher Wirkung ersetzt.
Auch das Krankheitsbild der Multiplen Chemikaliensensibilität (MCS) ist ein Ausdruck dieser Allgegenwart synthetischer Chemikalien. MCS und anderen möglichen Umwelterkrankungen fehlt es an wissenschaftlicher und rechtlicher Anerkennung. Menschen wie Sie, die unter diesen Erkrankungen leiden, werden allzu oft nicht ernst genommen. Der Leidensdruck von an MCS Erkrankten und die damit einhergehenden Teilhabebeeinträchtigungen, die bis in die Isolation führen können, sind uns sehr bewusst.
Um die Unsicherheiten in Bezug auf MCS und andere mögliche Umwelterkrankungen abzubauen sowie eine anerkannte Einordnung und Therapie zu ermöglichen, sollte intensiver als bisher zu Ursachen, Diagnostik und Therapiemöglichkeiten von MCS und anderen Umwelterkrankungen geforscht werden.
Wir wollen, dass es für die Betroffenen von Umwelterkrankungen einfacher wird, sowohl eine passgenaue medizinische Betreuung zu erhalten als auch angemessene sozialrechtliche Ansprüche, beispielsweise nach schadstoffarmen Wohnräumen oder Möbelbeihilfen für Neuanschaffungen, geltend machen zu können.
Um das Leben der Betroffenen zu verbessern, wollen wir uns konkret für folgende Änderungen einsetzen:
Wir wollen eine beim Bundesgesundheitsministerium angesiedelte Ombudsstelle für Umwelterkrankte einrichten. Eine Ombudsfrau oder ein Ombudsmann soll als eine unparteiische Schiedsperson als direkte Anlaufstelle für Betroffene dienen, die zwischen den Betroffenen und Verursacherinnen und Verursachern oder Behörden vermittelt, mehr Aufmerksamkeit für Umwelterkrankungen schafft sowie Hilfestellung bei der Suche nach umweltmedizinischer Beratung geben kann. Die Stelle soll mit ausreichend Personal ausgestattet sein, um einen schnellen und unkomplizierten Kontakt zu garantieren. Die Expertinnen und Experten in der Ombudsstelle sollen ohne große bürokratische Hürden erreichbar sein.
Prinzipiell lassen sich chemikalienbedingte Barrieren unter die „umweltbedingten Barrieren" nach § 3 BGG fassen, dementsprechend beinhaltet die gesetzliche Definition für Barrierefreiheit laut §4 BGG auch eine chemikalienbedingte Barrierefreiheit. Bei den konkreten Ausführungsbestimmungen, z.B. durch das Deutsche Institut für Normung e.V. (DIN), spielt der Aspekt aber bisher kaum eine Rolle. Wir streben eine explizite Integration von "chemikalienbedingten" Behinderungen, das heißt des Abbaus chemischer Barrieren, in allgemeine Vorgaben zur Barrierefreiheit, z.B. im Baurecht, Arbeitsschutzrecht oder Regelungen des Verbraucherschutzes zu bestimmten Produkten, an. Als Maßnahmen zum Abbau von Barrieren könnten zum Beispiel die Einrichtung von beduftungs,- und schadstofffreien bzw. schadstoffarmen Räumen gelten.
Außerdem streben wir an, dass Umwelterkrankungen wie MCS im Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention eine Rolle spielen. Als Vorbild kann hier der Landesaktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Land Schleswig-Holstein dienen.
Wir fordern die Beschleunigung von Prozessen auf europäischer Ebene, um schädliche Chemikalien vom Markt zu nehmen. In diesem Zusammenhang haben wir im letzten Jahr zwei Kleine Anfragen an die Bundesregierung gerichtet, die die Chemikalienregulierung der Europäischen Union und die Chemikaliengruppe der hormonaktiven Stoffe adressierten („Qualitätsmängel bei der Chemikalienregulierung unter REACH“, Drucksache 19/5712 und „Kreidezähne und Bisphenol A“, Drucksache 19/8513). In Bezug auf Pestizide fordern wir konkrete Reduktionsziele, wie in unserem Antrag für einen Pestizidreduktionsplan, Drucksache 19/835, dargelegt.
Wir werden uns weiter mit dem Thema beschäftigen und uns insbesondere für eine effizientere, vorsorgeorientierte Chemikalienregulierung einsetzen.
Mit freundlichen Grüßen
Maria Klein-Schmeink