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Maria-Elisabeth Fritzen
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Frage von Jürgen B. •

Frage an Maria-Elisabeth Fritzen von Jürgen B. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrte Frau Fritzen

Welche Möglichkeiten der Verhinderung einer „Festen Fehmarnbeltquerung“ sehen Sie noch, angesichts der o. g. neuesten Entwicklungen und Erkenntnisse, da erst in gut zwei Jahren die Untersuchungsergebnisse, (u. a. ob Tunnel oder Brücke) vorliegen und erst danach das dänische Parlament über das erforderliche Baugesetz beraten und entscheiden muss, bei Berücksichtigung:

1. der aktuellen ökonomischen Situation
2. der für die Feriengebiete, von Bad Schwartau bis Fehmarn durch Schmutz und Lärm zu erwartenden Nachteile und
3. der Gefahren durch Schiffskollisionen (Tanker) für den internationalen Vogelzug und die Schweinswale und besonders für den lebensnotwendigen Wasseraustausch für die Ostsee?

Für eine möglichst kurze Antwort bis zum 15. September wären wir Ihnen dankbar.
Wir werden unsere Fragen und Ihre Antworten in geeigneter Form vor dem Wahltermin in den Medien veröffentlichen; aber auch die Parteien und Kandidaten benennen, die nicht geantwortet haben.
Da der einleitende Text zu lang ist, senden wir Ihnen die vollständige Anfrage per Email. Mit freundlichen Grüßen,

Jürgen Boos
Sprecher des Aktionsbündnisses
gegen eine feste Fehmarnbeltquerung.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Chancen der Verhinderung nach Ratifizierung im Bundestag:

Mehrere Umweltverbände und Initiativen haben nach der Ratifizierung des Bauvorhabens im Deutschen Bundestag Klagen auf europäischer Ebene angekündigt und ihren Willen, notfalls den Klageweg bis zum Europäischen Gerichtshof einzuschlagen, bekundet. Dies könnte durchaus erfolgsversprechend sein, da z.B. die zum Teil aus europäischen TEN-Töpfen finanzierten Hinterlandanbindungen anders geplant wurden, als es ursprüngliche von Seiten der EU vorgesehen war, d.h. Finanzierungsbewilligung auf einer anderen Grundlage geschah. So sehen die Planungen der deutschen Schienen-Hinterlandanbindungen eine konventionelle, mittelfristig zudem eingleisig bleibende Eisenbahnstrecke bis Lübeck vor, das europäische TEN-Vorhaben Nr. 20 ist jedoch ausdrücklich als zweigleisige Hochgeschwindigkeitstrassen bis nach Bremen und Hannover ausgewiesen.

Hierauf wies auch der Bundesrechnungshof explizit hin. Demnach scheint es schlüssig, dass mehrere Umweltverbände die Europäische Kommission angeschrieben und aufgefordert haben, die zugesagte Mittelvergabe zu prüfen. Ein weiterer eklatanter Mangel besteht darin, dass bislang keine Strategische Umweltprüfung (SUP) vorgenommen wurde. Dies ist bei Projekten dieser Größenordnung ansonsten durchaus üblich, schließlich wurde das Instrument der SUP extra geschaffen, damit auch Grundsatzentscheidungen, die den eigentlichen Projektgenehmigungen vorangehen, unter förmlicher Beteiligung der Öffentlichkeit auf ihre Umweltverträglichkeit hin unterprüft werden können. Dies gilt insbesondere für grenzüberschreitende Vorhaben.

Zu 1:

Das Vorhaben war bereits vor der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise (von den in Ihrem Schreiben bereits dargelegten ökologischen Gefahren ganz abgesehen) auch aus ökonomischer Sicht, höchst risikobehaftet. Der Bundesrechnungshof warnt zu Recht vor unübersehbaren Risiken für künftige Bundeshaushalte. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung der Großen Koalition aus CDU und SPD, den Staatsvertrag über eine feste Fehmarnbelt-Querung noch vor dem Ende der Legislatur durchzupeitschen, vollkommen unverständig. Die Große Koalition ignoriert damit in unverantwortlicher Weise die Interessen der deutschen Steuerzahler, riskiert die Umwelt nachhaltig zu schädigen und stellt dem deutschen Parlamentarismus ein Armutszeugnis aus. Der Bundesrechnungshof stellt in einer aktuellen Stellungnahme unmissverständlich klar, dass die derzeit vorliegenden Daten als Entscheidungsgrundlage für die Parlamentarier unzureichend sind und „weder der Bedeutung des Projekts noch dem Anspruch an eine transparente Information des Gesetzgebers“ genügen. Im Zuge der Expertenanhörung im Verkehrsausschuss des Bundestages im Mai diesen Jahres wurde deutlich, wie groß die ökologischen Risiken, wie niedrig der ökonomische Nutzen und wie eklatant die bisherigen Planungsmängel des Projektes nach wie vor sind. Der Bundesrechnungshof gab zu Bedenken, dass sich die Kosten für die deutsche Hinterlandanbindung auf mittlerweile 1,7 Milliarden Euro verdoppelt hätten. Die Finanzierung der Hinterlandanbindung steht nach wie vor in den Sternen. Auch die Förderung des Projekts aus europäischen TEN-Mitteln, so der Bundesrechnungshof weiter, sei aus heutiger Sicht unklar. Insgesamt berge der Staatsvertrag erhebliche Risiken für künftige Bundeshaushalte und müsse dringend nachgebessert werden. Das Nutzen-Kosten-Verhältnis der festen Fehmarnbelt-Querung beträgt nach neuesten Berechnungen 1 : 0,65, d.h. jeder eingesetzte Euro müsste mit 35 Cent subventioniert werden. Die erwarteten Verkehrszahlen und der verkehrspolitische Nutzen der Querung sind so gering, dass man andernorts nicht einmal eine Umgehungsstraße bauen würde. Dennoch halten die Groß Koalitionäre an dem unsinnigen Bauvorhaben fest. Die Gründe hierfür entbehren jeglicher Rationalität.

Zu 2:
Auch die Lärmbelästigung, durch "Ertüchtigung" der Schienentrasse auf über 160 km/h durch die Ostseebäder würde weiteren Schaden anrichten. Der Tourismus in den Ostseebädern in Schleswig-Holstein wäre stark gefährdet; wer will dort Urlaub machen, wo alle 6 - 7 Minuten, so ist das Projekt, und damit dessen Finanzierung, geplant, ein Personen- oder Güterzug "am Strand" vorbeifährt? Eine Verlegung der Bahntrasse ist nicht bezahlbar. Vorweg: Ein Brückenprojekt von solchen Ausmaßen, nicht nur in einem Schweinswalaufzuchtgebiet, sondern zudem in einer Region, die maßgeblich vom Tourismus lebt, gegen den Willen der örtlichen Bevölkerung zu realisieren, ist unverantwortlich. Zur Erinnerung: Im Zuge des Querungsbau würde die größte Baustelle Nordeuropas entstehen. Das Projekt ist demnach in der Tat ein Jahrhundert-Projekt, nur leider in negativer Hinsicht. Eine Verlegung der Bahntrasse würde nicht nur die Kosten der deutschen Hinterlandanbindung, die sich ohnehin schon laut Berechnungen des Bundesrechnungshofes auf 1,7 Milliarden Euro verdoppelt haben, noch einmal explodieren lassen, zudem hätten, begründet durch das Schienenkreuzungsgesetz, die an der Trasse liegenden Kommunen einen erheblichen Teil der Zeche zu zahlen. Es gibt demnach genau zwei Alternativen: Entweder kommt es zu keiner Trassenverlegung und die Tourismusregion mit ihren vielen Ostseebädern hätte mit einem massiven Zugaufkommen zu rechnen oder, und diese Alternative erscheint keineswegs attraktiver, die Kosten für die bisher gemachten eklatanten Planungsmängel müssten durch die Kommunen aufgebracht werden. Sie haben demnach die Wahl zwischen Pest und Cholera.

Zu 3:
Wie bereits angesprochen, sind die ökologischen Risiken des Projektes enorm. Die Querung läge im einzigen deutschen und einem durch die EU unter Schutz gestelltem Aufzuchtsgebiet für Schweinswale, das ohnehin gefährdete Ökosystem der Ostsee würde durch einen geringeren Wasseraustausch zusätzlich unter Druck geraten und zudem die Gefahr von Schiffskollisionen massiv steigen. Die zu bauende Querung läge inmitten der europäischen Vogelfluglinie, die jährlich rund 20 Millionen (!) Zugvögel direkt queren. Der Fehmarnbelt gilt zudem mit 66000 Schiffsbewegungen jährlich als eine der meist frequentierten Schifffahrtstraßen der Welt. Die Durchfahrt für Schiffe, unter ihnen große Öltanker, würde sich erheblich verengen. Eine Schiffskatastrophe in dieser Region wäre eine Katastrophe, sowohl für das Ökosystem als auch für die Tourismusregion. Das Havarie-Risiko mit einem Verkehrsleitsystem läge nach einer in Absprache mit der International Maritime Organisation (IMO) erstellten Studie mit einem Verkehrsleitsystem (VLS) bei 11 Monaten, ohne VLS bei 32 Monaten. Munitionsaltlasten erschweren das Bauvorhaben zusätzlich. Wie sie richtig schreiben, ist in der Bundestagsdrucksache 16/1371 nachzulesen, dass die Regierungskoalitionen höchstselbst davon schreiben, dass die "Ostssee als eines der am stärksten beanspruchten und schmutzigsten Gewässern der Welt gilt." Eine kürzlich erschienen Studie des WWF diagnostiziert, dass bereits rund ein Drittel der Ostsee als ökologisch tot angesehen werden muss. Anstatt diesem Misstand entgegenzuwirken, tut die Große Koalition scheinbar alles dafür, den Druck auf diese sensible Ökosystem weiter zu erhöhen.

Mit freundlichen Grüßen,
Marlies Fritzen