Frage an Margit Stumpp von Alexander S. bezüglich Lobbyismus & Transparenz
Sehr geehrte Frau Stumpp,
sehr geehrte Damen und Herren.
Sie als Bundestagsabgeordnete der Grünen stehen meiner Überzeugung nach für Nachhaltigkeit.
Wie kann der Ministerpräsident von Baden Württemberg, Winfried Kretschmann nur so vom Parteikurs abkommen und als Sprecher der Autolobby auftreten?
Ja, auch mir liegt eine geringe Arbeitslosenquote am Herzen. Und ja: in Baden Württemberg wie auch in anderen „Autoländern“ hängen sehr viele Jobs am Automobil. Zu welchem Preis aber soll erneut die Rohstoff-Vernichtungs-Maschinerie namens Abwrackprämie in Gang gesetzt werden? Arbeitsplätze können auch durch ein Umdenken und dann auch einem Umsteuern erhalten bleiben oder neu entstehen! Einige Akteure sonnen sich im Glanz der Errungenschaften ohne weiter Vollgas in der Forschung und Entwicklung UND DER MARKTREIFE! einzelner Produkte zu geben.
Nun meine Frage an Sie: werden Sie und Ihre ParteiFreunde die unsägliche Abwrackprämie 2.0 einfach abnicken und hinnehmen??
Ich hoffe sehr auf Ihre Aufrichtigkeit und eine aussagekräftige Antwort.
Hochachtungsvoll
A. S.
Sehr geehrter Herr S.,
vielen Dank für Ihre Frage.
Die aktuelle Debatte über Hilfen für die Autoindustrie hat sich auf die Frage verengt, ob Kaufprämien für Neuwagen eingeführt werden sollen, um den Automarkt anzukurbeln und die Arbeitsplätze zu sichern. Wir Grüne im Bundestag fordern jedoch einen ganzheitlichen Blick auf eine nachhaltige Verkehrswende.
Bereits lange vor der Corona-Rezession zeichnete sich mehr und mehr eine Strukturkrise in der Autoindustrie ab. Schon zuvor waren die Kapazitäten an den Produktionsstandorten nicht ausgelastet. Seit Jahren steht fest, dass mit Benzin und Diesel betriebene Verbrennungsmotoren bald nur noch in Auslaufmodellen Platz finden.
Moderne Mobilität basiert auf sauberer Energie und ist von Dienstleistungen und dem intelligenten Mix verschiedener Verkehrsangebote geprägt. Für die deutsche Automobilindustrie liegt die Herausforderung darin, die bestimmenden Trends der Dekarbonisierung, Urbanisierung, Digitalisierung und Automatisierung aufzunehmen und entsprechend neue Angebote für sich weltweit wandelnde Mobilitätsmärkte bereitzustellen.
Deswegen ist es richtig, sich jetzt Zeit zu nehmen und genau zu schauen, welche verkehrs- und industriepolitische Richtung unterstützt werden muss. Ungewiss ist, wie sich der Automobilmarkt in den nächsten Monaten entwickeln wird. Angesichts stark gesunkener Ölpreise und der Zurückhaltung vieler Menschen, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, könnte sich eine stärkere Zunahme des Autoverkehrs ergeben.
Auf den aktuellen Einbruch des Absatzmarktes könnte ein Boom in den Autohäusern folgen. Mit dem Kurzarbeitergeld und Liquiditätshilfen wird die Autoindustrie derzeit sinnvoll gestützt. Dank hoher Gewinne in den vergangenen Jahren ist zudem zu klären, mit welchen eigenen Anreizen und Rabatten die Automobilhersteller den Absatzmarkt anfachen können.
Wir Grüne im Bundestag halten es gleichwohl für unumgänglich und richtig, über sinnvolle Hilfen für die Automobilwirtschaft nachzudenken. Verfehlt wäre es allerdings, wenn die Autoindustrie eine Förderung erfährt, die in erster Linie an die alte fossile Welt anschließt. Das würde uns beim Erreichen unserer Klimaschutzziele weit zurückwerfen.
Wenn wir wollen, dass die deutschen Autos auf dem Weltmarkt für die Zukunft wettbewerbsfähig sind und wir ökonomischen Erfolg und ökologische Zukunft miteinander verbinden, dann ist klar: Unterstützungsfähig sind die Autos, die zukunftsfähig sind und keine klima- und umweltschädlichen Emissionen verursachen.
Auch mit Blick auf die Zulieferindustrie gilt: Es macht nur Sinn, in Zukunftstechnologien zu investieren. Dies passiert bereits verstärkt seit ein paar Jahren und muss sich jetzt auszahlen. Eine Umkehr zurück in die Verbrennertechnologie würde viele dieser Anstrengungen konterkarieren.
Für die Verkehrs- und Antriebswende braucht es jetzt einen festen politischen Fahrplan. Damit die Antriebswende hin zu Elektrofahrzeugen auf Basis grünen Stroms gelingt, sind unter anderem der Ausbau erneuerbarer Energieerzeugung und intelligenter Ladenetze sowie mehr Batterieforschung erforderlich.
Die bisherige steuerliche Begünstigung konventioneller Pkw durch Subventionen für Diesel oder leistungsstarke Dienstwagen muss dagegen auslaufen. Wir schlagen zudem vor, in die Kfz-Steuer ein Bonus-Malus-System für Neuwagen zu integrieren, um Fahrzeuge mit niedrigen CO2-Werten gezielter zu fördern.
Das Auto muss Teil einer umfassenden klimafreundlichen Verkehrswende werden. Dazu wird es Zeit, dass es insbesondere in Städten mehr Platz gibt für effiziente und umweltschonende Verkehrsmittel des Umweltverbundes aus Fuß-, Rad- und öffentlichem Nahverkehr.
Die Automobilbranche hat mit der Einführung neuer Mobilitätsdienstleistungen wie Car- und Ridesharing selbst den Weg vorgegeben, dem sie jetzt weiter entschlossen folgen muss.
Wer in der Corona-Rezession der Automobilwirtschaft helfen will, wählt am besten einen breiten Ansatz und bringt mit unterschiedlichen Partnern den Umbau in ein zukunftsfähiges Verkehrssystem und zukunftsfähige Fahrzeuge in Stadt und Land voran.
Sehen Sie dazu auch die Aufzeichnung unseres Video-Fachgesprächs vom 29. April 2020 "Autoindustrie in Corona- und Klimakrise. Wie sichern wir Beschäftigung und schaffen die Transformation?" https://www.gruene-bundestag.de/termine/vergangene-veranstaltungen/autoindustrie-in-corona-und-klimakrise-wie-sichern-wir-beschaeftigung-und-schaffen-die-transformation
Mit freundlichen Grüßen
Margit Stumpp