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Frage von Hagen H. •

Frage an Marcus Weinberg von Hagen H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Weinberg,

vielen Dank für Ihre Antwort vom 21.12.15 zu TTIP usw.! Besonders über diese Aussagen freue ich mich:
• Das Recht, ... im Sinne des Allgemeinwohls zu regulieren, darf nicht angetastet werden.
• Das bestehende hohe europäische Schutzniveau in verschiedenen Bereichen steht nicht zur Disposition.
• Die Gesundheit der EU-Bevölkerung und der notwendige Umweltschutz sind nicht verhandelbar.
• Es ist unsere Position, dass Regelungen zum Schutz des Allgemeinwohls, die rechtsstaatlich und demokratisch begründet sind, nicht unterwandert werden dürfen.

Zu Ihrem Abstimmungsverhalten sagen Sie, dass TTIP noch verhandelt wird und Sie deshalb keine definitive Aussage treffen können. Das verstehe ich. Aber CETA ist veröffentlicht. Dort sind z. B. die privaten Schiedsstellen vereinbart und US-amerikanische Firmen können auch ohne TTIP klagen.

Falls im Bundestag über CETA abgestimmt wird, wie werden Sie sich verhalten? Ich verweise nochmal auf Bundestagspräsident Lammert (CDU), der TTIP in der gegenwärtigen Form ablehnt und eine Zustimmung des Bundestags infrage stellt. Was für TTIP gilt, trifft auf CETA erst recht zu. Wie stehen Sie zur Ansicht von Herrn Lammert? Als Letztes möchte ich auf Ihre Aussage eingehen „Vor diesem Hintergrund ist auch die Behauptung unzutreffend, ein Gesetz müsse den Bestimmungen in TTIP entsprechen,...“. Es mag sein, dass sich Vorschriften nicht explizit nach TTIP richten müssen, aber sie können als Handelshemmnisse eingestuft und dann u. a. im Rahmen der Regulatorischen Kooperation angegriffen werden. Es ist kaum zu erwarten, dass die EU jeden Versuch der USA abwehren kann (oder überhaupt abwehren will), diese Vorschriften ans amerikanische Niveau anzupassen. Außerdem können Unternehmen dagegen klagen (ohne dass die Abkommen Verpflichtungen für sie enthalten). Allein die Androhung einer Milliardenklage kann zur Abschwächung von Vorschriften führen, noch bevor sie erlassen sind.

Mit freundlichen Grüßen
Hagen Hintze

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Sehr geehrter Herr Hagen,

vielen Dank für Ihr Schreiben auf Abgeordnetenwatch zu CETA, dem geplanten Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada.

CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) dient der Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU und Kanada. Hierzu soll insbesondere der Marktzugang für Waren, landwirtschaftliche Produkte und Dienstleistungen verbessert werden. Kanada ist mit 8,8 Mrd. Euro Ausfuhrvolumen und 4,5 Mrd. Euro Einfuhrvolumen (Zahlen von 2013) ein wichtiger Handelspartner Deutschlands. Um das Handelsvolumen in Relation zu setzen: Kanada ist für uns in Deutschland ein wichtigerer Handelspartner als beispielsweise Mexiko, Thailand oder Portugal.

CETA bringt, wie alle Freihandelsabkommen der Vergangenheit, wichtige Vorteile für die stark exportorientierte deutsche Wirtschaft und ist damit ein Garant für die Sicherung bestehender und die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Durch CETA sinkt der Zoll für alle Industriegüter praktisch auf Null. Zentral ist auch die Marktöffnung bei Dienstleistungen und im öffentlichen Auftragswesen, insbesondere weil damit in Kanada künftig auch die Provinzen und Kommunen (wo der größte Teil der Aufträge vergeben wird) ihre Beschaffungsmärkte für deutsche Anbieter öffnen müssen. Dieses ist aus deutschem Interesse ein zentraler Punkt der beispielsweise beim Handelsabkommen TTIP noch nicht ausgehandelt ist. Der Grund: Der deutsche Beschaffungsmarkt ist bereits seit Jahren für Anbieter aus dem Ausland offen. Dies gilt mit CETA nun auch für deutsche Unternehmen in Kanada. CETA schafft also faire Wettbewerbsbedingungen für deutsche Unternehmen, von denen insbesondere auch kleine und mittlere Unternehmen profitieren werden. Außerdem enthält CETA Regelungen, um mehr Mobilität mit Blick auf Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen zu gewährleisten, sowie zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsabschlüssen. Eine Absenkung von Schutzstandards durch CETA, z.B. in den Bereichen des Verbraucher-, Arbeitnehmer- und Umweltschutzes wird nicht erfolgen. So sind u.a. Schutzvorschriften für die öffentliche Daseinsvorsorge, audiovisuelle Dienstleistungen, Verbraucher- und Umweltschutz sowie sogenannte Arbeitsmarktklauseln vorgesehen, die gewährleisten, dass es hier nicht zu Standardabsenkungen kommt.

CETA hat keine negativen Auswirkungen auf die Arbeitsschutzvorschriften, das Tarifvertragsrecht oder Mindestlöhne in der EU. Das folgt aus der „Arbeitsmarktklausel“, die von der EU in alle Handelsabkommen aufgenommen wird. Sie besagt, dass alle Anforderungen in Gesetzen und Rechtsvorschriften einer Vertragspartei bezüglich Arbeits- und Sozialschutz in Kraft bleiben und angewendet werden können, einschließlich der Regelungen zum Mindestlohn und zu Kollektivvereinbarungen, also Tarifverträgen. Deutschland setzt sich überdies dafür ein, dass die Kernarbeitsnormen der internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bei EU-Handelsabkommen berücksichtigt werden, damit der Freihandel nicht zum Einfallstor für Lohn- und Sozialdumping wird.

Im CETA sind Öffnungsverpflichtungen zur öffentlichen Daseinsvorsorge eindeutig ausgeschlossen. Der Vertragstext enthält den gleichen Vorbehalt gegen Öffnungsverpflichtungen, wie er bereits in früheren Abkommen der EU und im Dienstleistungsabkommen der WTO (GATS) seit 1995 enthalten ist. CETA enthält darüber hinaus eine Generalausnahme für die kommunale Ebene, so dass etwa Marktöffnungsverpflichtungen im Dienstleistungsbereich nicht für die Kommunen gelten. Ebenso enthält CETA (und auch andere Handelsabkommen) keine Verpflichtung zur Privatisierung von öffentlichen Dienstleistungen. Handelsabkommen sind nach einhelliger Auffassung der EU-Mitgliedstaaten kein Mittel zur Privatisierung, daher enthält auch kein Abkommen der EU solche Pflichten. Auch eine Re-Kommunalisierung wird durch CETA nicht versperrt. Deutschland übernimmt durch CETA keine Verpflichtungen im Bereich der Daseinsvorsorge.

Die Vielfalt und die Förderung der deutschen und europäischen Kultur wird durch CETA nicht beeinträchtigt. Kanada ist Initiator der UNESCO-Konvention zur Förderung der kulturellen Vielfalt. Zwischen EU-Kommission, den EU-Mitgliedstaaten und Kanada bestand von Anfang an Einvernehmen, dass es kein Interesse an einer Beeinträchtigung der kulturellen Vielfalt gibt. Die Kulturförderung ist an zahlreichen Stellen in CETA abgesichert. So bestätigt die Präambel die Verpflichtungen der Vertragsparteien aus der UNESCO-Konvention. Audiovisuelle Dienstleistungen sind vom Anwendungsbereich des Dienstleistungskapitels und beim Investitionsschutz ausdrücklich ausgenommen. Für den Kulturbereich sind im Dienstleistungskapitel klare Ausnahmen aufgenommen, die Marktöffnungsverpflichtungen ausschließen. Zudem sind Fördermaßnahmen im Kultursektor wegen der allgemeinen Ausnahme für Subventionen von den Verpflichtungen weiterhin möglich.

Meine Aussagen bleiben also auch bei einer Zustimmung zu CETA bestehen:

• Das bestehende hohe europäische Schutzniveau in verschiedenen Bereichen steht nicht zur Disposition.
• Die Gesundheit der EU-Bevölkerung und der notwendige Umweltschutz sind nicht verhandelbar.
• Es ist unsere Position, dass Regelungen zum Schutz des Allgemeinwohls, die rechtsstaatlich und demokratisch begründet sind, nicht unterwandert werden dürfen.

Der einzige Punkt den man sich genauer anschauen muss, sind Regelungen zum Investitionsschutz und zum Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren. Generell ist die Position von mir und der Union als Ganzes, dass Regelungen zum Schutz des Allgemeinwohls, die rechtsstaatlich und demokratisch begründet sind, nicht unterwandert werden dürfen. Nur Investitionen, die im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen des Gaststaats stehen, sind durch Investitionsschutzverträge geschützt.
Dementsprechend räumt das Investitionsschutzkapitel in CETA nur solchen Investitionen Schutz ein, die unter Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen des jeweiligen Anlagelandes getätigt wurden, in Deutschland also im Einklang mit deutschen Recht und EU-Recht stehen. Außerdem enthält CETA eine Regelung, wonach nicht-diskriminierende staatliche Maßnahmen im öffentlichen Interesse, wie beispielsweise im Bereich des Umwelt- und Gesundheitsschutzes, keine entschädigungspflichtige indirekte Enteignung darstellen.

Ein aktuelles Rechtsgutachten des Max-Planck-Instituts für das Bundeswirtschaftsministerium bestätigt, dass der durch CETA gewährte Schutz ausländischer Investoren deutlich hinter dem Investitionsschutz des Grundgesetzes zurück bleibt. Mit anderen Worten: Das deutsche Verfassungsrecht bietet für ausländische Investoren bereits heute einen wesentlich stärkeren Schutz gegen staatliche Maßnahmen als CETA. Der im Grundgesetz verankerte gesetzgeberische Spielraum zum Schutz öffentlicher Interessen (z.B. nationale Sicherheit, Umwelt, Gesundheit etc.) wird durch CETA nicht tangiert.

Ich stimme grundsätzlich mit Ihnen überein: Das Primat demokratisch legitimierter Politik, die im Sinne des Allgemeinwohls reguliert, darf nicht angetastet werden. Im Falle von CETA wird es auch nicht angetastet.

Mit freundlichen Grüßen

Marcus Weinberg