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Frage von Hagen H. •

Frage an Marcus Weinberg von Hagen H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Weinberg,

ich wohne in Bahrenfeld. Ich bin sehr besorgt über die Freihandelsabkommen TTIP und CETA und würde mich sehr freuen, wenn Sie etwas zu diesen Fragen sagen würden:
1. Wissen Sie, worum es bei diesen Abkommen geht? Ich frage nicht, weil ich es nicht weiß, sondern weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass viele Menschen nicht informiert sind.
2. Wie ist Ihre Position zu diesen Abkommen, insbesondere
a) zu der Tatsache, dass geheim verhandelt wird und selbst Abgeordnete keinen oder nur sehr beschränkten Zugang zu Dokument haben
b) zur Klagemöglichkeit von Unternehmen, die ihre "legitimen" (Gewinn-)Erwartungen beeinträchtig sehen und zu den vorgesehenen Schiedsstellen zum Investitionsschutz
c) zur Einstufung von Umwelt- und Arbeitsschutzstandards als Handelshemmnisse und damit verbunden deren wahrscheinlicher Absenkung?
3. Wissen Sie, dass Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) TTIP in der gegenwärtigen Form ablehnt und eine Zustimmung des Bundestags infrage stellt? Wie stehen Sie zu dieser Ansicht?
4. Falls es zu einer Abstimmung im Bundestag über TTIP und CETA kommt, wie werden Sie persönlich sich verhalten?

Es wäre schön, wenn Sie nicht mit der offiziellen CDU-Position antworten könnten, sondern mir Ihre persönliche Position mitteilen würden. Vielen Dank im Voraus!

Mit freundlichen Grüßen
Hagen Hintze

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Antwort von
parteilos

Sehr geehrter Herr Hintze,

vielen Dank für Ihre Email vom 27. November zum geplanten Transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP. Sie fragen, ob ich weiß, worum es in diesem Abkommen geht. Ja, das tue ich. Bitte erlauben Sie mir deshalb einige grundsätzliche Ausführungen zur Bedeutung des Freihandels.

Die Europäische Union und Deutschland profitieren in hohem Maße von international frei handelbaren Gütern und Dienstleistungen sowie von grenzüberschreitenden Investitionen. Die EU ist der weltweit größte Exporteur und Importeur von Waren und Dienstleistungen, sowie einer der wichtigsten Investoren und Empfänger von Investitionen. Ihr Handelsvolumen mit dem Nicht-EU-Ausland hat sich allein zwischen 1999 und 2010 verdoppelt. Der Anteil der EU am weltweiten Exportgeschäft für Waren beträgt 15 Prozent (zum Vergleich: China 12 Prozent, USA, 11 Prozent) und für Dienstleistungen 25 Prozent (USA 19 Prozent, China 6 Prozent, Japan und Indien jeweils 4 Prozent). Der Wert der Ausfuhren an Waren und Dienstleistungen der 28 EU-Mitgliedstaaten betrug im Jahr 2012 rund 4,5 Billionen Euro. Die Direktinvestitionstatbestände der EU im Ausland betrugen im Jahr 2012 rund 5 Billionen Euro. Deutschland als größte Volkswirtschaft in der EU und drittgrößter Exporteur weltweit profitiert von dieser Entwicklung in besonderem Maße. Der Anteil der Exporte am deutschen Bruttoinlandsprodukt ("Exportquote") liegt bei rund 51 Prozent. Die deutschen Ausfuhren an Waren und Dienstleistungen betrugen 1,385 Billionen Euro im Jahr 2013.

Diese Zahlen belegen eindrucksvoll, dass der freie weltweite Handel mit Waren und Dienstleistungen für Europa nicht nur wünschenswert ist. Er ist vielmehr Grundvoraussetzung für unsere wirtschaftliche Prosperität und damit für den Erhalt von Lebensqualität, hohen sozialen Standards und kultureller Vielfalt in der EU. Sie fragen weiter, inwieweit die Geheimhaltung nicht ein Problem sei. Für die Regelung der internationalen Handelspolitik der EU-Mitgliedstaaten ist nach den EU-Verträgen seit Jahrzehnten die EU zuständig. Die EU Kommission führt internationale Verhandlungen, sie stimmt sich hierzu laufend in einem beratenden Ausschuss mit den EU-Mitgliedstaaten ab. Handels- und Investitionsabkommen, die Zuständigkeiten sowohl der EU als auch Zuständigkeiten der EU-Mitgliedstaaten betreffen (so genannte gemischte Abkommen), bedürfen der Ratifizierung auch der nationalen Parlamente in der EU, also auch des Deutschen Bundestages.

Gerade auch in der deutschen Öffentlichkeit werden derzeit vielfach Befürchtungen laut, dass die laufenden Verhandlungen zu internationalen Handelsabkommen (z. B. TTIP, CETA, TiSA) zu sehr im Geheimen geführt und bewährte Standards etwa in den Bereichen Arbeitnehmer-, Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutz, kommunale Daseinsvorsorge und kulturelle Vielfalt gefährdet würden, ja das sich die Politik durch das Handelsabkommen TTIP ihrer eigenen Handlungsfreiheit berauben würde. Hier möchte ich dringend einiges klarstellen: Deutschland setzt sich erfolgreich dafür ein, dass die ambitionierten Ziele des Freihandelsabkommens nicht auf Kosten der Souveränität der Staaten gehen. Das Recht, auch in Zukunft im Sinne des Allgemeinwohls zu regulieren, darf nicht angetastet werden. Der jeweilige Gesetzgeber soll das Schutzniveau (etwa im Bereich des Umwelt- oder Verbraucherschutzes) selber festlegen. TTIP etwa dient dazu, gemeinsame Prinzipien zu vereinbaren, damit die konkrete Ausgestaltung von Schutzstandards möglichst geringe handelsbeschränkende Auswirkungen hat.

Das bestehende hohe europäische Schutzniveau in verschiedenen Bereichen steht nicht zur Disposition. Die EU wird keines ihrer Gesetze zum Schutz von Menschen, Tieren oder der Umwelt aufheben. Dafür setzt sich auch die Bundesregierung ein. Die Gesundheit der EU-Bevölkerung und der notwendige Umweltschutz sind nicht verhandelbar. Dies sollte uns aber nicht vom Ziel abbringen, Handel und Investitionen transatlantisch möglichst weitgehend zu erleichtern und unnötige Hemmnisse, wie etwa doppelte Zulassungs- und Zertifizierungsverfahren, abzuschaffen.
Vor diesem Hintergrund ist auch die Behauptung unzutreffend, ein Gesetz müsse den Bestimmungen in TTIP entsprechen, etwa im Hinblick auf die Zulassung und Kennzeichnung gentechnisch veränderter Organismen (GVO). Die Anforderungen der EU an die Zulassung von GVO und die Kennzeichnungspflichten für Erzeugnisse, die GVO enthalten, werden sich infolge der TTIP-Verhandlungen nicht verändern, ebenso wenig wie andere Umwelt- und Verbraucherschutznormen.

Zu Ihren Anmerkungen Frage zum Thema Investitionsschutz und Schiedsverfahren ist anzumerken, dass die Verhandlungen zu den Investitionsschutzbestimmungen in TTIP und den damit zusammenhängenden Klagemöglichkeiten derzeit ausgesetzt sind. Es liegen keine Texte vor, die eine inhaltliche Bewertung erlauben. Die EU-Kommission hatte im Frühjahr 2014 öffentliche Konsultationen zum Investitionsschutz und Investor-Staat-Schiedsverfahren in TTIP eingeleitet, die es Bürgern, Unternehmen und interessierten Gruppen ermöglichen, ihre Positionen in den Verhandlungsprozess einzubringen. Die Ergebnisse dieser Konsultationen werden derzeit ausgewertet. Anschließend will die die EU-Kommission auf dieser Basis gemeinsam mit den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament ihre Verhandlungsposition festlegen. Diese Vorgehensweise der Kommission ist aus Sicht der CDU/CSU-Fraktion zu begrüßen. Es ist unsere Position, dass Regelungen zum Schutz des Allgemeinwohls, die rechtsstaatlich und demokratisch begründet sind, nicht unterwandert werden dürfen. Nur Investitionen, die im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen des Gaststaats stehen, sind durch Investitionsschutzverträge geschützt. Nicht diskriminierende Vorschriften zum Umwelt-, Verbraucher- oder Arbeitnehmerschutz können kein Klagerecht von Unternehmen begründen. Wir sind davon überzeugt, dass dies auch möglich ist.

Investitionsschutz ist aber auch nicht gleich Investitionsschutz. Gern erläutere ich Ihnen dazu die Hintergründe: Investitionsschutz ist nicht grundsätzlich negativ, denn er garantiert Unternehmen, die im Ausland investieren wollen (z.B. eine Fabrik errichten wollen und damit Arbeitsplätze schaffen), dass ihre Investitionen dort gerecht und gleichberechtigt mit den Investitionen der nationalen Unternehmen behandelt werden. Dies schafft Rechtssicherheit und Berechenbarkeit, gerade auch für kleinere und mittelständische Unternehmen, die sich keine eigene Rechtsabteilung in einem fremden Land leisten können. Investitionsschutzabkommen garantieren, dass Länder weltweit für ausländische Direktinvestitionen attraktiv sind. Denn eine der größten Gefahren für Investoren in einem fremden Land besteht in indirekten Enteignungen (z.B. Nicht-Anerkennung von Patenten, Verbote von Finanztransfers ins Heimatland, intransparente Vergabeverfahren). Deutschland hat Investitionsschutzregeln vor rund 50 Jahren erfunden und hat bereits mit rund 130 Staaten sogenannte Investitionsförderungs- und -schutzverträge abgeschlossen, darunter auch mit anderen EU-Mitgliedern. Bisher hat es auf dieser Basis nur drei Klagen gegen Deutschland gegeben. Keine Klage war bisher erfolgreich. Die EU-Mitgliedstaaten haben bereits rund 1400 Investitionsschutzabkommen abgeschlossen, davon allein 198 EU-interne Abkommen. Die demokratischen Entscheidungsbefugnisse des Bundestages oder anderer europäischer Parlamente wurden in keiner Weise durch diese Abkommen tangiert. Die weltweit aktivsten Kläger auf der Basis von Investitionsschutzabkommen sind im Übrigen die Europäer und nicht - wie häufig unterstellt wird - die Amerikaner. So laufen derzeit z.B. vor dem Schiedsgericht in Washington mehrere Klagen von europäischen Ökostrom-Unternehmen gegen Spanien und Tschechien wegen Kürzung der dortigen Ökostromförderung. Und sicher wird niemand in diesem Zusammenhang behaupten wollen, dass etwa die Stadtwerke München (die zu den Klägern in Washington) gehören, die Demokratie in Spanien abschaffen wollen. Ich plädiere daher vor allem für mehr Sachlichkeit in der Diskussion zum Investitionsschutz. Dies heißt nicht, dass die geltenden Investitionsschutzverfahren nicht verbesserungswürdig sind, was ich glaube. Ziel muss es sein restlos sicherzustellen, das Regelungen zum Schutz des Allgemeinwohls, die rechtsstaatlich und demokratisch begründet sind, durch TTIP nicht unterwandert werden. TTIP bietet die Chance zur Verbesserung des Investitionsschutzrechts, die wir ergreifen sollten. So werden verschiedene Modernisierungsvorschläge diskutiert, u.a. klarere Regeln für die Zusammensetzung und Funktionsweise der Schiedsgerichte, die Qualifikation und Unabhängigkeit der Richter, das Verhältnis zum nationalen Rechtsweg und die Frage von Revisionsmöglichkeiten. Darüber müssen und werden wir weiter mit unseren transatlantischen Partnern sprechen. Ein möglicher Kompromiss wäre mittel- bis langfristig die Gründung eines internationalen Handelsgerichtshofs, der öffentlich tagt und mit staatlichen Richtern besetzt ist. Hierdurch wäre eine demokratische Kontrolle durch Medien und kritische Öffentlichkeit sichergestellt. Denn auch die positiven Effekte von TTIP sollten nicht unter den Teppich gekehrt werden. Langfristig bietet TTIP die Chance eines weltweit höheren Niveaus von Umwelt- und Sozialstandards. Tatsache ist, dass Abkommen wie TTIP Europa und seinen Verhandlungspartnern die - möglicherweise letzte - Chance bieten, auch im 21. Jahrhundert hohe Standards in wichtigen Bereichen zu setzen. Angesichts aufstrebender Mächte wie China, Indien oder den ASEAN-Staaten wird dies für die westlichen Demokratien im globalen Maßstab zusehends schwieriger. Mit TTIP und CETA können die EU, die USA und Kanada ihre - im weltweiten Vergleich nach wie vor sehr hohen - Standards z.B. beim Umwelt-, Verbraucher- oder Arbeitnehmerschutz zum Maßstab für spätere internationale Abkommen bzw. für ein globales Freihandelsregime machen. Nutzen wir diese Chance als Europäer nicht, so werden andere Länder diese Standards setzen - dann aber ohne jede Einflussmöglichkeit für Europa oder Deutschland. Ein erster Anhaltspunkt für diese Entwicklung ist die geplante Transpazifische Wirtschaftspartnerschaft (TPP) zwischen den USA und Pazifik-Anrainerstaaten, bei der die Verhandlungen schon wesentlich weiter fortgeschritten sind, als die TTIP-Verhandlungen zwischen den USA und der EU.

Freihandelsabkommen wie TTIP sollen den Marktzugang durch den Abbau tarifärer und nicht-tarifärer Handelshemmnisse im gegenseitigen Einvernehmen verbessern. Normen sollen aber nur dort angeglichen oder vereinheitlicht werden, wo dies bei gleichem Schutzniveau für Bürgerinnen und Bürger möglich ist. Abschließend fragen Sie, ob ich einem Abkommen zustimmen werde. Da ein fertig verhandeltes Abkommen bisher nicht auf dem Tisch liegt, kann ich hierzu noch keine definitive Aussage treffen. Ich verspreche jedoch, mir die kritischen Passagen genau anzuschauen. Sollte es zu einem Absenken des Schutzniveaus beim Verbraucherschutz oder beim Arbeitnehmerschutz kommen, wäre das für mich äußerst kritisch.

Mit freundlichen Grüßen
Marcus Weinberg