Frage an Marcus Weinberg von Norbert R. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Weinberg,
der Euro ist seit 10 Jahren nun gesetzliches Zahlungsmittel.
In dieser Zeit haben wir ein für deutsche Verhältnisse unterdurchschnittliches Wirtschaftswachstum, negative Realzinsen, Hartz IV, Menschen, die nicht mehr von Ihrem Lohn leben können, und sinkende Reallöhne. Ferner druckt die EZB Geld zur Rettung der PIGS Staaten, und es ist nur noch eine Frage der Zeit, daß sich unsere Ersparnisse in Luft auflösen und pulverisiert werden.
Überhaupt die EZB. Sie ist auf dem Papier unabhängig und hat für Preisstabilität zu sorgen. Der ausgeschiedene Bundesbankpräsident Weber hat die EZB noch während seiner Amtszeit scharf kritisiert. Der Aufkauf von Staatsanleihen gefährde die (Preis-) Stabilität. Das EZB Direktorium besteht aus 16 Notenbanker, wobei Deutschland zwar 27% an der EZB gehören, aber nur insgesamt 2 Stimmen hat. Nach Markteinschätzungen hat die EZB inzwischen Staatsanleihen der PIGS im Wert von 160 Mrd. EUR gekauft, und Deutschland trägt fast ein Drittel der Risiken, wenn die Operationen fehlschlagen.
Die Aufkäufe der EZB sind nicht durch Verträge gedeckt. Sie sind von keinem Parlament kontrolliert und bewilligt.
Herr Weinberg, was tun Sie, den Vertragsbruch der EZB zu stoppen? Sind Sie wirklich der Meinung, der EURO hat Deutschland mehr Wohlstand gebracht?
Mit freundlichen Grüßen
Norbert Rother
Sehr geehrter Herr Rother,
vielen Dank für Ihre Frage vom 04.10.2011 auf abgeordnetenwatch.de, in der Sie auf den Euro sowie die EZB eingehen.
Ich bin nicht Ihrer Meinung, dass der Euro insbesondere uns hier in der Bundesrepublik geschadet hat - im Gegenteil: Der Euro sorgt für stabile Preise. Vergleichen wir dies zur D-Mark: Die Geldentwertung in Deutschland lag seit Einführung des Euro bei durchschnittlich 1,6 Prozent pro Jahr. Das ist deutlich weniger als zu D-Mark-Zeiten, als sie bei durchschnittlich 2,9 Prozent lag. Auch wenn man die einzelnen Jahrzehnte seit Bestehen der Bundesrepublik vergleicht, ergibt sich ein eindeutiges Bild: In den 1950ern stiegen die Preise um insgesamt ca. 20, in den 1990ern um 25, in den 1960ern und 1980ern um je knapp 30 und in den 1970ern sogar um insgesamt mehr als 60 Prozent.
Der Einführung des Euro schloss sich im vergangenen Jahr zehnt (2000-2010) die höchste Preisstabilität seit Bestehen der Bundesrepublik an. Die Preise sind insgesamt nur um rund 17 Prozent innerhalb dieses Jahrzehnts gestiegen. Dass diese Fakten offensichtlich mit der vielfach subjektiv wahrgenommen Inflation kollidieren, hat vor allem zwei Ursachen:
Zum einen gab es die Erwartung, dass der Umstieg auf den Euro von den Anbietern zu Preissteigerungen genutzt werden würde. Allein schon diese Erwartung führte laut wissenschaftlicher Untersuchungen zu folgendem Effekt: Wenn einzelne Euro-Preise von den D-Mark-Preisen nach oben und nach unten abwichen, im Durchschnitt aber konstant blieben, wurde dies von den Versuchspersonen durchschnittlich als eine Preiserhöhung um acht Prozent wahrgenommen.
In der heutigen Situation kommt zum anderen hinzu, dass die jetzigen Europreise in D-Mark umgerechnet und dann mit dem letzten D-Mark-Preis von 2001 verglichen werden. Dass derselbe Vergleich von 2001 zu 1991 eine größere Inflation ergibt, entzieht sich aber weitgehend der Wahrnehmung, da diese Inflation über 10 Jahre hinweg in ein und derselben Währung stattfand. Die alten Preise gerieten so allmählich in Vergessenheit, während sich viele Preise zum Ende der D-Mark im Gedächtnis festgesetzt haben und mit dem heutigen Preisniveau verglichen werden.
Aber nicht nur im Vergleich zur D-Mark ist der Euro stabil. Auch den Dollar sticht er aus. So ist ein Euro von 1999 heute zwar nur noch 78 Euro-Cent wert, ein Dollar jedoch sogar weniger als 75 US-Cent. Der Außenwert des Euro ist seit seiner Einführung gegenüber dem Dollar gestiegen. Zum Start der Gemeinschaftswährung (1999) erhielten die Europäer für einen Euro knapp 1,18 US-Dollar. Aktuell erhalten sie dafür rund 1,40 Dollar. Selbst zu besten D-Mark-Zeiten wurde dies nur einmal übertroffen, nämlich im April 1995. Auf den Euro umgerechnet lag der Kurs damals bei 1,43 Dollar je Euro. Der heutige Kurs bedeutet eine Zunahme des Werts des Euro gegenüber dem US-Dollar um 19 Prozent gegenüber Anfang 1999. Im Gegensatz zum Pfund Sterling stieg der Euro im gleichen Zeitraum sogar um 21 Prozent.
Wirtschaftlich wird die Bundesrepublik durch die EU und den Euro außerdem sehr begünstigt. Gerade als mehrfacher „Exportweltmeister" mit unseren international hochgradig wettbewerbsfähigen Unternehmen und Produkten profitieren wir in ganz besonderer Weise von der einheitlichen Währung – zum Beispiel, indem innerhalb der Eurozone jegliche Wechselkursrisiken entfallen. Das bringt den deutschen Unternehmen Jahr für Jahr Einsparungen von ca. 10 Milliarden Euro, die sie ansonsten für die erforderlichen Kurssicherungsgeschäfte ausgeben müssten. Noch bedeutender aber ist, dass wir den Erfolg unserer Produkte und Unternehmen im Wesentlichen dem Euro und dem europäischen Binnenmarkt mit seinen mehr als 500 Mio. Konsumenten verdanken: Immerhin zwei Drittel der deutschen Exporte gehen in die Länder der Europäischen Union. Der Deutsche Industrie- und Handelstag hat errechnet, dass der gemeinsame Binnenmarkt bei uns in Deutschland rund 5,5 Millionen Arbeitsplätze sichert. Allzu häufig wird in Deutschland die Globalisierung als Bedrohung empfunden - für unsere Wirtschaft, für unseren Arbeitsmarkt und für unsere Gesellschaftsordnung. Aber gerade die europäische Integration hat es uns ermöglicht, von der Globalisierung zu profitieren. Wir sind Teil des größten Binnenmarkts der Welt und sind durch die EU in der Lage, die Rahmenbedingungen dieses globalen Marktes mit zu gestalten. Nur in der europäischen Zusammenarbeit bleibt der Einfluss unserer nationalen Regierungen angesichts weltweiter Finanz- und Warenmärkte erhalten. Nur so haben wir die Möglichkeit, unser Gesellschaftsmodell zu bewahren und weiterhin auch andere Regionen der Welt von seinen Vorzügen zu überzeugen.
Der EZB fällt - genauso wie dem IWF und der EU-Kommission - eine entscheidende Rolle im Kampf gegen die Euro-Krise zu. Ein Beispiel dazu ist dass eventuelle ESM- Finanzhilfen an eine rigorose Schuldentragbarkeitsanalyse geknüpft werden, die die Europäische Kommission und der IWF in Zusammenarbeit mit der Europäischen Zentralbank (EZB) durchführen. Diese "Troika" arbeitet eng zusammen und stimmt ihre Aktionen ab.
Dies kann auch den Ankauf von Staatsanleihen beinhalten - ein ganz normaler Vorgang in der Finanzwirtschaft. Da sich teilweise Situationen auf dem Finanzmarkt stündlich verändern, muss die EZB auch unabhängig und flexibel reagieren können. Auch dies ist sinnvoll und legitim - die Deutsche Bundesbank handelt dort auch nicht anders. Die EZB wurde durch den EG-Vertrag geschaffen und ist in den spezifischen rechtlichen und institutionellen Rahmen der Europäischen Gemeinschaft eingebettet - die Teil der Europäischen Union geworden ist. Somit sehe ich auf den ersten Blick keine "Vertragsverletzung" der EZB bzw. ihres Handelns.
Mit freundlichen Grüßen
Marcus Weinberg