Frage an Marcus Weinberg von Martin J. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Weinberg,
ich habe drei Nachfragen zu Ihrer Antwort an Herrn Dierks vom 25.03.2011:
1. Thema "Restrisiko": Frei nach Kischon: Leben ist immer lebensgefährlich, aber so klein das bestehende Restrisiko in der Nukleartechnologie auch immer sein mag, die Folgen, wenn etwas passiert, sind umso verheerender. Sind Sie wirklich bereit, das Risiko eines Super-GAUs einzugehen?
2. Es ist ja gut und schön, wenn "§ 31 Absatz 1 Satz 1 des Atomgesetzes eine summenmäßig unbegrenzte Haftung des Inhabers einer Kernanlage vor"sieht, aber nach meinem Wissen ist keine Versicherung der Welt bereit und in der Lage einen sog. Super-GAU zu versichern. Nach einem Gutachten der Prognos-AG aus dem Jahre 1992 für das FDP-geführte Bundeswirtschaftsministerium belaufen sich die Gesundheits-, Sach- und Vermögensschäden eines Super-GAUs in Deutschland auf 2.500 bis 5.500 Milliarden (!) Euro. Wer soll das bezahlen? E.on, Vattenfall, EnBW etc.? So viele steuerfreie Rücklagen haben auch die nicht. Die gehen doch mit absoluter Sicherheit in so einem Fall pleite. Sind Sie also bereit für die Gewinne der Atomlobby die immensen Kosten zu sozialisieren?
3. Thema Brückentechnologie: 80% der Deutschen wollen nicht über diese Brücke gehen. Sind Sie wirklich bereit, uns dazu zu zwingen? Auch Angesichts der Tatsache, dass das Argument der Brückentechnologie auf mehr als nur wackligen Beinen steht.
In gespannter Erwartung Ihrer Antworten.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Jendis
Sehr geehrter Herr Jendis,
vielen Dank für Ihre Frage. Die Katastrophe in Japan lehrt uns, dass Ereignisse, die nach wissenschaftlichen Maßstäben für unmöglich gehalten wurden, und Restrisiken, die als absolut unwahrscheinlich galten, dennoch Realität werden können. Deshalb werden wir jetzt prüfen, ob die bislang getroffenen, weltweit strengsten Sicherheitsannahmen noch stimmen, oder ob es neue Erkenntnisse gibt, auf die mit konkreten Maßnahmen reagiert werden muss.
Ich finde es übrigens wichtig zu betonen, dass in letzter Konsequenz bei uns - im Gegensatz zu anderen Ländern - der Staat für Schäden einsteht. Das dies verfassungskonform ist, hat bereits das Bundesverfassungsgericht am 8. August 1978 festgestellt. Dort heißt es weiterhin: „Vom Gesetzgeber im Hinblick auf seine Schutzpflicht eine Regelung zu fordern, die mit absoluter Sicherheit Grundrechtsgefährdungen ausschließt, die aus der Zulassung technischer Anlagen und ihrem Betrieb möglicherweise entstehen können, hieße die Grenzen menschlichen Erkenntnisvermögens verkennen und würde weithin jede staatliche Zulassung der Nutzung von Technik verbannen. Für die Gestaltung der Sozialordnung muß es insoweit bei Abschätzungen anhand praktischer Vernunft bewenden. Ungewißheiten jenseits dieser Schwelle praktischer Vernunft sind unentrinnbar und insofern als sozialadäquate Lasten von allen Bürgern zu tragen.“ Allerdings betone ich nochmals: Deutschland hat im internationalen Vergleich den weltweit strengsten Sicherheitsstandard.
Für die CDU hat die Sicherheit bei der Nutzung der Kernenergie seit jeher oberste Priorität. Ein Beispiel: Nach den Reaktorunfällen in Harrisburg im Jahr 1979 und in Tschernobyl im Jahr 1986 wurden in Deutschland umfassende Überprüfungen im Hinblick auf einen totalen Ausfall der Stromversorgung oder andere Risikoszenarien durchgeführt. Als Konsequenz wurden zusätzliche Maßnahmen zur Vorsorge getroffen, wie etwa ein zweites gesichertes Notstromnetz oder die Anbindung an weitere, auch in kritischen Fällen verfügbare, Stromversorgungsquellen, wie Notstromdiesel und Batteriesysteme. Die unglückliche Verkettung von Umständen, wie Japan geschehen, ist hierzulande sehr unwahrscheinlich. Trotzdem werden aber alle möglichen Eventualitäten neu auf den Prüfstand gestellt.
Neben nationalen Überprüfungen dürfen wir nicht vergessen, dass Radioaktivität nicht an den Landesgrenzen Halt macht. Daher wird es darum gehen, die Sicherheitsstandards international, vor allem aber auch im europäischen Maßstab anzugleichen. Die Bundeskanzlerin hat sich persönlich dafür eingesetzt, das Thema einheitlicher Sicherheitsstandards in Europa auf die Tagesordnung des Europäischen Rates zu setzen und die in Europa stehenden 143 Kernkraftwerke einem umfassenden „Stresstest“ zu unterziehen.
Ob nun 80 Prozent über die Brücke der Brückentechnologie gehen wollen oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Ich weiß nur eines: die Ereignisse in Japan werden uns alle nicht ohne Weiteres in den Alltag übergehen lassen. Mein Partei und auch ich persönlich werden - gemeinsam mit den betroffenen Unternehmen, der Gesamtwirtschaft, aber auch im Sinne der Verbraucher - darauf achten, dass der Anteil von Kernenergie so schnell wie möglich abnehmen wird.
Mit freundlichen Grüßen
Marcus Weinberg