Frage an Marcus Weinberg von Heinrich R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Weinberg,
was spricht Ihrer persönlichen Meinung nach für bzw. gegen die Einführung bundesweiter Volksentscheide (evtl. nach Schweizer Vorbild)? Wie ist die Meinung der CDU zu diesem Thema? Gibt es hierzu einen aktuellen Parteitagsbeschluss?
Sehr geehrter Herr Reinecke,
vielen Dank für Ihre Frage vom 26.11.2010 auf abgeordnetenwatch.de, in der Sie auf bundesweite Volksentscheide eingehen.
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass Elemente unmittelbarer Demokratie - wie Bürgerinitiativen oder Bürgerentscheide - auf Landes- und Kommunalebene unser System der repräsentativen Demokratie sinnvoll ergänzen können.
Auf Bundesebene jedoch können Volksentscheide den oft komplexen Fragen unserer Gesellschaft mit einer einfachen „Ja“ oder „Nein“-Antwort nicht gerecht werden. Die Gesetzgebung ist aber oftmals sehr vielschichtig und muss eine kaum überschaubare Vernetzung mit anderen Regelungsbereichen berücksichtigen.
Um hier zu zufriedenstellenden Antworten zu gelangen, wird im Deutschen Bundestag auf dem Wege der Gesetzgebung ein Verfahren angewandt, das ein hohes Maß an thematischer Tiefe und Flexibilität erlaubt. Durch drei Lesungen, Ausschussberatungen, Sachverständigenanhörungen und Berichterstattergesprächen wird eine ausgewogene Gesetzgebung sichergestellt. Es sind verfassungsrechtliche, europarechtliche, unter Umständen außenpolitische Fragen zu bedenken, ferner finanzielle, wirtschaftspolitische, gesellschaftliche Auswirkungen sowie die bruchlose Einfügung in die übrige Rechtsordnung. Es geht nicht darum, wie klug und verantwortungsbewusst das Volk ist. Es geht allein um die Komplexität der Sachprobleme.
Volksentscheide können eine solch detailreiche Abstimmung nicht ermöglichen und würden zu unsachgemäßer Verkürzung komplexer Sachthemen führen, bei denen die notwendigen Kompromisse als Ergebnis der parlamentarischen Diskussion außer Acht blieben. Ich sehe sogar die Gefahr populistisch beeinflusster Ergebnisse, und zwar zu Lasten von Minderheiten oder gesellschaftlich benachteiligten Gruppen. Wir konnten genau das am vergangenen Wochenende in der Schweiz beobachten.
Für praxistauglich halte ich Elemente direkter Demokratie aus den genannten Gründen lediglich im kommunalen Bereich, wenn es um Problemlösungen vor Ort geht.
Ich hoffe, dass ich Ihnen meinen Standpunkt näherbringen konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Marcus Weinberg, MdB