Warum wurde nicht schon längst der Rechtsanwaltszwang durch die pflichtweise Beiordnung eines anwaltlichen Rechtsbeistands derogiert? Ich komme auf Ihre Ausführungen vom Juli 2022 zurück.
Da Ihnen als liberalem Politiker die persönlichen bürgerlichen Freiheitsrechte ein großes Anliegen sein müssen frage ich mich, warum Sie es nicht längst betrieben haben, den in §§ 78 ff ZPO normierten Rechtsanwaltszwang (als feudales Relikt der RJG und der Kabinettsjustiz) durch pflichtweise Beiordnung eines anwaltlichen Rechtsbeistands zu ersetzen? Als Rechtsanwalt wissen Sie ja, dass die prozessualen Interessen von Mandanten und die wirtschaftlichen Interessen von Rechtsanwälten im Mandat mit Vertretungszwang stark divergieren und sich sogar im Interessenkonflikt ausschließen können. Welche konkreten Gründe sehen Sie, insbesondere vor dem Hintergrund einer Vermeidung solcher Interessenkonflikte, am Rechtsanwaltszwang festzuhalten? Bzw. welche der 2022 von Ihnen genannten Rechtfertigungen sehen Sie nicht auch durch eine anwaltliche Rechtsbeistandsfunktion erreichbar (unter Wahrung der persönlichen Entscheidungsgewalt des Mandanten über sein Verfahren und über seine Rechtsgüter)?
Sehr geehrter Herr K.,
haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage.
Klar ist: Die Rechtsanwaltschaft erfüllt als unabhängiges Organ der Rechtspflege eine wichtige Funktion im Rechtsstaat. Gemäß § 78 Absatz 1 ZPO gilt der Anwaltszwang ab der Instanz des Landgerichts. Jener dient primär dem Schutz der Parteien, indem rechtliche Laien vor fehlerhaften Prozesshandlungen bewahrt werden sollen. Darüber hinaus dient er auch der allgemeinen Rechtssicherheit sowie dem ordnungsgemäßen Ablauf gerichtlicher Verfahren. Sein Zweck ist es demnach, die Qualität der Rechtsdurchsetzung zu sichern und die Gerichte zu entlasten. Letztlich verfolgt der Anwaltszwang somit auch die Wahrung eines im Kern öffentlichen Interesses.
Die Beiordnung eines anwaltlichen Rechtsbeistandes sieht die ZPO aktuell bereits in den zwei folgenden Fällen vor: Erstens kann gemäß § 78b ZPO ein sog. Notanwalt beigeordnet werden, wenn eine Partei keinen zur Vertretung bereiten Rechtsanwalt findet. Zweitens kann eine Beiordnung gemäß § 121 ZPO im Rahmen eines Prozesskostenhilfeverfahrens erfolgen.
Freundliche Grüße
Dr. Marco Buschmann MdB