Sexualisierte Gewalt: Passivität ist kein Ja! Sollte das Gesetz nicht entsprechend angepasst werden?
Sehr geehrter Herr Buschmann,
die Justiz muss Recht- und Gesetz achten. Dazu gehört auch das Medizinrecht. Der Fachstandard muss eingehalten werden. Bei Traumata ist dies die Psychotraumatologie (S3-Status Leitlinie!).
Mittlerweile sollte auch bei der Justiz angekommen sein, dass es gute Gründe gibt, wieso jemand während einer Gewalttat passiv ist. Es besteht z.B. die Gefahr, das eine Gegenwehr massivere Gewaltreaktionen beimTäter auslöst. Die Person kann auch schlicht und einfach gar nicht in der Lage sein, sich zu wehren. Das Menschen, insbesondere bei sexualisierter Gewalt, dissoziieren ist sehr gut belegt worden.
Sollte daher das Gesetz nicht entsprechend angepasst werden? Passivität ist kein Ja.
Sehr geehrte Frau U.
haben Sie vielen Dank für Ihre Nachricht.
Die sexuelle Selbstbestimmung ist ein besonders hohes Gut. Der Gesetzgeber hat den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung in den vergangenen Jahrzehnten deutlich ausgedehnt. So wurde 1997 der Tatbestand der Vergewaltigung erweitert, um Fälle zu erfassen, in denen das Opfer „vor Schrecken starr oder aus Angst vor der Anwendung von Gewalt durch den Täter dessen sexuelle Handlungen über sich ergehen lassen“.
Das Anliegen eines besseren Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung wird auch durch die Istanbul-Konvention bekräftigt. Vor diesem Hintergrund wurde 2016 das Sexualstrafrecht erneut umfassend überarbeitet und erweitert. Damit wurde insbesondere Fälle zusätzlich eindeutig unter Strafe gestellt, in denen dem Opfer das Erklären eines entgegenstehenden Willens entweder nicht zumutbar ist, so dass selbst eine geäußerte Zustimmung nicht tragfähig wäre, oder ihm das Erklären eines entgegenstehenden Willens objektiv nicht möglich ist.
Das neue Sexualstrafrecht greift hierbei Erkenntnisse und Reformvorschläge aus der juristischen Praxis auf. So werden neben Fälle der expliziten Nötigung auch ausdrücklich Konstellationen erfasst, in dem das Opfer aufgrund eines sogenannten "Klimas der Gewalt" vor Widerstand zurückschreckt. Auch wird berücksichtigt, dass das Opfer aufgrund seines körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist. Damit trägt das neue Sexualstrafrecht dem hohen Stellenwert der sexuellen Selbstbestimmung Rechnung.
Freundliche Grüße
Dr. Marco Buschmann MdB