MIt welcher Begründung wird im §21 des Impfschutzgesetzes das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz) eingeschränkt?
Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG)
§ 21 Impfstoffe
Bei einer auf Grund dieses Gesetzes angeordneten oder einer von der obersten Landesgesundheitsbehörde öffentlich empfohlenen Schutzimpfung oder einer Impfung nach § 17a Absatz 2 des Soldatengesetzes dürfen Impfstoffe verwendet werden, die Mikroorganismen enthalten, welche von den Geimpften ausgeschieden und von anderen Personen aufgenommen werden können. Das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz) wird insoweit eingeschränkt.
Sehr geehrter Herr K.,
haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage.
Die Vorschrift geht auf § 14a BSeuchG zurück, der 1963 nach der Einführung der Schluckimpfung gegen Poliomyelitis („Polio“ bzw. Kinderlähmung) in der Bundesrepublik geschaffen wurde. Noch 1962 kam es zu über 4000 Infektionen in der Bundesrepublik mit dem Erreger. Anhaltende Impfkampagnen und die hierdurch geschaffene Herdenimmunität haben dazu geführt, dass diese gefährliche Krankheit, die zu dauernder Lähmung führen und auch tödlich enden kann, in weiten Teilen der Welt nur noch sporadisch auftritt. Da jedoch trotz des weltweit starken Rückgangs der Poliomyelitis eine Einschleppung durch internationalen Reiseverkehr und Migration nach Deutschland nicht völlig ausgeschlossen werden kann, ist die Impfung gegen Polio solange notwendig, bis die Eradikation der Poliomyelitis erreicht ist und nirgendwo auf der Welt mehr Polioviren zirkulieren.
Bei den damals im Wesentlichen verwendeten Impfstoff handelte es sich um einen Lebendimpfstoff. Die zugrunde liegende Schluckimpfung führte allerdings vereinzelt zu Krankheitsausbrüchen. Da die Mikroorganismen auf andere übertragen werden können, bestand die Möglichkeit, dass eine mittelbare Beeinträchtigung der körperlichen Integrität dieser Personen erfolgte. Denkbar war beispielsweise eine Übertragung durch den Stuhl der Erkrankten auf Pflegekräfte.
Daher enthält § 21 S. 2 IfSG die verfassungsrechtlich erforderliche Zitierklausel. Gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG muss ein Gesetz, welches ein Grundrecht einschränkt bzw. einschränken kann, im entsprechenden Gesetz unter Angabe des genauen Artikels benannt werden. § 21 S. 2 IfSG legt somit fest, dass durch die Regelungen des § 21 IfSG das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG eingeschränkt werden kann. Für solche seltenen Fälle bestehen auch Entschädigungsansprüche nach den §§ 60 ff. IfSG.
Die STIKO hat ihre Impfempfehlungen (vgl. § 20 Abs. 2 IfSG) bereits 1998 dahingehend geändert, dass bei der Polio-Impfung statt eines oralen Lebendimpfstoffs (OPV) ein inaktiver Polio-Impfstoff (IPV) verwendet werden soll. Zu Einzelheiten zum Zeitpunkt der Impfung und Auffrischungsimpfungen informiert das Robert-Koch-Institut (RKI), RKI - Impfungen A - Z - Schutzimpfung gegen Poliomyelitis (Kinderlähmung). Durch die Einführung dieser Totimpfstoffe ist die diesbezügliche Problematik nicht mehr aktuell, eine Ansteckung Dritter ausgeschlossen. Seitdem hat § 21 IfSG erheblich an Bedeutung verloren.
Freundliche Grüße
Dr. Marco Buschmann MdB