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Frage von sascha g. •

Frage an Marco Bülow von sascha g. bezüglich Wirtschaft

Hallo,
wie ist Ihre Position zum Thema "Offene Dokumentformate im Bundestag" - hier scheint so einiges im Argen zu liegen - siehe auch

http://www.ffii.de/wiki/offenestandards

Meine Befürchtungen diesbezüglich lassen sich so zusammenfassen:

"Nach dem Willen führender Abgeordneter der Berliner Koalition aus CDU und SPD soll der Bundestag diese Woche beschließen, im öffentlichen Raum "offene Standards" durchzusetzen. Ein lobenswertes Vorhaben, doch leider wird dabei der Begriff "offene Standards" so umdefiniert, dass darunter patentierte Standards fallen, die nur im Rahmen restriktiv lizenzierter Software-Produkte verwendet werden dürfen. "

Mit freundlichem Gruss,
Sascha Gresk

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Sehr geehrter Herr Gresk,

am Donnerstag, den 5. Juli 2007 wurde im Bundestag dem Antrag von SPD und CDU/CSU „Den Wettbewerb stärken, den Einsatz offener Dokumentenstandards und offener Dokumentenaustauschformate fördern“ stattgegeben. Jetzt liegt es an der Regierung, aktiv zu werden. Als Umweltpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion liegt mein Arbeitsschwerpunkt im Bereich Umwelt- und Energiepolitik. Die Abgeordneten haben sich auf die verschiedenen Themenbereiche aufgeteilt, weil sonst eine sachverständige Diskussion und politische Arbeit nicht zu Gewehrleisten ist. Aus diesem Grund habe ich mich an die Experten der SPD-Bundestagsfraktion gewandt, um Ihnen die Position der SPD-Bundestagsfraktion zum Thema „Offene Standards“ ausführlich zu erläutern.

Schwarz auf weiß Geschriebenes, Bücher die 200 Jahre alt sind, können wir immer noch lesen. Vorraussetzung dafür ist allein, dass man die jeweilige Schrift und Sprache beherrschen muss. Das Wissen alter Bücher ist für uns langfristig abrufbar.

Doch wie sieht es jetzt im Zeitalter der Computer aus? Wir müssen heute auf andere Formen der Manifestation unseres Wissens vertrauen, und zwar auf die elektronische Speicherung von Daten und ihre Lesbarkeit auf lange Zeit.

Die Technik bei Hard- und Software schreitet so rasant voran, dass die PCs und ihre Anwendersoftware, mit denen wir begonnen haben, schon längst so veraltet sind wie das Bewirtschaften von Äckern mit Pferd und Pflug.

Heute erleben wir, dass Neuerungen in der Computerwelt immer kürzere Halbwertzeiten haben. Programme werden immer komplexer und werden in immer kürzeren Zeitabständen durch neue Programme mit größerem Funktionsumfang ersetzt. Das hat auch Auswirkungen auf die Datenformate. Dabei ergeben sich folgende Fragen, die wir uns stellen müssen: Wie verhält es sich da mit unseren alten Daten, die wir vor fünf oder 10 Jahren gespeichert haben? Können unsere gegenwärtig genutzten Hightech-Systeme noch etwas mit der guten alten Floppy-Disk anfangen? Sind die mehrfach konvertierten Daten auch noch nach der fünfzigsten Konvertierung ebenso lesbar wie das Original es war? Wie können wir uns Sicherheit verschaffen? Wie können auch noch unsere Ururenkel Daten lesen, die wir geschrieben und elektronisch gespeichert haben? Wie verschärft sich das Problem in der Zukunft, wenn alles so weiter läuft wie bisher?

Das Textprogramm, mit dem wir vor zehn Jahren gearbeitet haben, gibt es nicht mehr. Damit ist es nahezu unmöglich, die Texte von damals wieder zu lesen. Was wir als Problem im privaten Bereich im Kleinen erleben, muss im staatlichen Bereich des eGovernments verhindert werden. Die hier benutzten elektronischen Dokumente müssen jahrzehntelang lesbar sein. Die heute notwendige nachträgliche Konvertierung in ein spezielles, langzeitstabiles Dokumentenformat ist kostenintensiv und birgt die Gefahr eines unbeabsichtigten Informations- und Funktionsverlustes. Ein funktionierendes eGovernment kommt deshalb ohne die Nutzung offener Standards nicht mehr aus. Ohne offene Dokumentenstandards würde das eGovernment sehr schnell an seine finanziellen und technischen Grenzen stoßen.

Die Bundesverwaltung verwendet fast ausschließlich (derzeit ca. zu 95%) die Microsoft Office Software-Suite. Die zugehörigen Dokumentenformate sind „geschlossen“, d.h., nicht vollständig oder nicht regelmäßig veröffentlicht und ausschließlich durch den Software-Hersteller kontrolliert. Hieraus resultiert eine ungewollte Abhängigkeit. Die Entwicklung unabhängiger Software zur Bearbeitung von Microsoft Office-Dokumenten ist u.a. aus diesem Grund schwierig. Weiterhin behindert die heute weit verbreitete Nutzung von aktiven Inhalten in Dokumenten die Interoperabilität. Diese Probleme entstehen bereits, wenn man Texte zwischen verschiedenen Office Versionen von Microsoft austauscht. Es besteht nahezu keine Möglichkeit auf alternative Produkte auszuweichen. Faktisch besteht eine Software-Monokultur. Software-Monokulturen sind missbrauchsgefährdet und ganze Volkswirtschaften können durch gezielte Angriffe erheblich geschädigt werden. Diese Gefahr hat auch die Bundesregierung erkannt. Im Bereich der Telekommunikation und der Energiewirtschaft haben wir eine erhebliche Sensibilität für die Gefahren von Monopolen entwickelt und sind mit erheblichem Aufwand dabei ihnen zu begegnen. Diese Sensibilität müssen wir im Bereich der Softwaremonopole erst noch entwickeln.

Im Bereich der Anwendungs-Software und hier insbesondere auch im Bereich der Office-Pakete brauchen wir Wettbewerb. Und um Wettbewerb im Bereich der elektronischen Dokumente sicher zu stellen, ist die Nutzung offener Dokumentenstandards unumgänglich.

Mit offenen Standards wird den Verbraucherinnen und Verbrauchern die Möglichkeit geschaffen, zwischen verschiedenen Produkten zu wählen. Diese Wahlfreiheit schafft zum einem Konkurrenz auf dem Markt und beflügelt zum anderen Wettbewerb und Innovation. Die öffentliche Hand hat die politische Verantwortung, sich für die Schaffung offener Märkte einzusetzen.

Nach unserem Antrag „Den Wettbewerb stärken, den Einsatz offener Dokumentenstandards und offener Dokumentenaustauschformate fördern“ sollen Standards als offen betrachtet werden, wenn sie den Austausch zwischen verschiedenen Plattformen und Applikationen ermöglichen und ausreichend dokumentiert sind. Die Schnittstellen sollen offen gelegt werden. Ihre Nutzung muss frei von geistigem Eigentum und die technischen Spezifikationen müssen umsetzbar sein. Die Bundesregierung vertritt in ihrer Definition über offene Dokumentenformate im Kern exakt die gleiche Position. Nach ihrer Definition besitzen offene Dokumentenformate folgende Eigenschaften:

„Offene Dokumentenformate sind unabhängig. Ein offenes Dokumentenformat ist standardisiert und kann von jedermann in seine Office-Software implementiert und in beliebiger Weise unentgeltlich und ohne Einschränkung durch Schutzrechte genutzt werde. Der Nutzer ist nicht von einem bestimmten Software-Produkt abhängig. Offene Dokumentenformate werden in einem offenen Prozess entwickelt. Die Festigung des Standards erfolgt durch eine Vielzahl interessierter Parteien, z.B. Software-Hersteller, signifikante Anwendergruppen und unabhängige Experten. Der Zugang zu diesem Prozess ist jedem Interessierten möglich. Die Entscheidungsprozesse sind transparent. Offene Dokumentenformate sind ausreichend dokumentiert. Jeder kann die Dokumentation erhalten und die Formate in eigene Produkte einfügen. Für die Dokumentation kann ein einmaliges angemessenes Entgelt erhoben werden.“

Auch die Opposition hat in ihren Änderungsanträgen deutlich gemacht, dass sie diese Definition teilt. In den vergangen Tagen gab es viele lebhafte Diskussionen und auch Irritationen um den Begriff „Offener Standard“. Die Experten der SPD-Bundestagsfraktion sind von vielen mittelständischen Softwareunternehmen angerufen worden, die ihnen mitteilen wollten, wie wichtig für sie offene Standards im Sinne der Definition der Bundesregierung sind. Dies gilt nicht nur im Bereich der Dokumentenstandards, sondern generell für den Bereich von Standards. Unser Antrag soll vor allem den Interessen der mittelständischen Softwareindustrie dienen und nicht den Marktinteressen irgendeines Monopolisten wie Microsoft.

Vielen Bürgerinnen und Bürgern ist die Problematik „Offene Standards“ nicht bewusst. Oft wird die Frage gestellt „Warum brauchen wir überhaupt einen offenen Standard, wir haben doch sowieso alle Word?“ Diese Frage beschreibt genau den Kern des Problems.

Die Monopolstellung ist schon so in den Köpfen der Bürgerinnen und Bürger manifestiert und akzeptiert, dass das Monopol mit einem offenen Standard gleichgestellt wird. Fakt ist, dass das Word - Format weit von einem offenen Standard entfernt ist. Es ist alles andere als ein offener Standard.

Die SPD-Bundestagsfraktion hat daher in ihrem gemeinsamen Antrag mit der CDU/CSU die Bundesregierung aufgefordert, vor allem das Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürgern insbesondere aber auch in der eigenen Verwaltung für die Bedeutung international akzeptierter, offener Dokumentenstandards umfassend zu fördern.

Allerdings reicht es nicht aus, die Bedeutung im Bewusstsein zu haben, sondern es müssen jetzt vor allem Taten folgen. In unserem Antrag haben wir daher die Bundesregierung aufgefordert, für die Bereiche, in denen herstellerabhängige Dokumentenformate de facto dominieren, aber international akzeptierte, offene Dokumentenformate existieren, Migrationspfade hin zu diesen Formaten aufzuzeigen und mittelfristig die Migration durchzuführen.

Ich persönlich bin auch dafür, dass wir offene Dokumentenstandards verbindlich machen müssen. Ich hoffe, dass wir das im Herbst in einem endgültigen Gesetz verankern werden.

Mit freundlichen Grüßen

Marco Bülow