Frage an Marco Bülow von Sarkasch J. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sie haben bei Abstimmung um den Einsatz von Tornados in Afghanistan dagegen gestimmt. Wie können Sie denn guten Gewissens gegen die Bekämpfung von Fundamentalismus stimmen? Bitte merken Sie den Unterschied zwischen den Krieg in Afghanistan und Irak. In Afghanistan geht es um die Befreiung von unschuldigen Menschen vor dem schrecklichen Fundamentalismus und da kann man nicht einfach wie die Linkspartei sagen, " nee das kostet uns zu viel und wir wollen uns nicht dort beteiligen "... es ist absord!!
Sehr geehrter Herr Jawaan,
danke für Ihre E-Mail vom 09. März 2007.
Mit meiner Ablehnung eines Tornadoeinsatzes über ganz Afghanistan habe ich nicht gegen die Bekämpfung von Fundamentalismus gestimmt. Ich sehe auch die Situation im Irak und in Afghanistan differenziert. Im Folgenden möchte ich Ihnen kurz erläutern, warum ich mich gegen eine Zustimmung entschieden habe:
Die Bundeswehr engagiert sich seit mehr als fünf Jahren im Rahmen der „Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe“ ISAF in Afghanistan aktiv. Die derzeit rund 33.000 Soldaten der ISAF sollen die Autorität der gewählten Zentralregierung stärken und den Wiederaufbau des Landes voranbringen. Dabei hat die ISAF durchaus Erfolge vorzuweisen. Insbesondere die deutsche Bundeswehr hat in ihrem Verantwortungsbereich zu einer Stabilisierung im afghanischen Norden beigetragen. Das ISAF-Mandat beinhaltet das Recht der Soldaten auf Selbstverteidigung. Militärische Gewalt ist im äußersten Notfall (Ultima ratio) zulässig, wenn es darum geht, die Regierung und die Menschen in Afghanistan zu schützen.
Die ISAF ist jedoch klar abzugrenzen von der „Operation Enduring Freedom“ (OEF), welche die Bekämpfung des internationalen Terrorismus zum Ziel hat. Die bisherige relative Sicherheit deutscher Soldaten beruht nicht zuletzt auf der erkennbaren Trennung beider Operationen. Der jetzt beschlossene Einsatz von Tornados der Bundeswehr über ganz Afghanistan führt jedoch zu erheblichen Unschärfen bei der Aufgabenteilung von ISAF und OEF.
Laut Bundesverteidigungsministers Dr. Franz Josef Jung dient die Luftaufklärung der Bundeswehr-Tornados dem Schutz der ISAF-Truppen und der „Zielaufklärung vermuteter Stellungen militanter Widerstandgruppen“ (OEF). Ich bezweifele, dass es gelingen wird, die Einsatzbedingungen - insbesondere hinsichtlich der Zusammenarbeit zwischen ISAF und OEF - detailliert zu regeln. Es steht also zu befürchten, dass Widerstandsgruppen in Afghanistan eine solche Differenzierung nicht nachvollziehen werden und die deutschen Tornados als Flugzeuge im Kampfeinsatz bewerten. Deutsche Soldaten könnten damit für Kriegsoperationen verantwortlich gemacht werden, auf deren Planung und Durchführung sie keinerlei Einfluss haben. Als Folge von Einsätzen der Amerikaner sind jeden Tag Opfer unter der afghanischen Zivilbevölkerung zu beklagen. Mit dem Einsatz der deutschen Tornados wären wir - zumindest in der Wahrnehmung der Menschen in Afghanistan - in die verhängnisvolle Kette von Gewalt hineingezogen.
Dies hätte letztlich Auswirkungen auf das gesamte deutsche ISAF-Kontingent. Deutsche Stellungen der ISAF-Truppe könnten zunehmend Ziel von Angriffen und Anschlägen werden.
Der Einsatz deutscher Tornados wäre damit kein Beitrag zur Stabilisierung der Lage in Afghanistan. Das Gegenteil wäre der Fall. Wir sollten also alles unternehmen, damit die Afghanen die deutschen Soldaten als ihre Unterstützer wahrnehmen und anerkennen. Warnungen von in Afghanistan tätigen NGOs wie „Medica Mondiale“ bestärken mich in meiner Einschätzung. Diese zivile deutsche Organisation, die in Kabul, Herat, Mazar-i-Sharif und Kandahar hervorragende Arbeit zum Thema „Gewalt gegen Frauen“ leistet, befürchtet, dass sich die Gefahr für Mitarbeiter vor Ort durch einen Einsatz von Bundeswehr-Tornados stark erhöhen würde. Bei einer weiteren Militarisierung der Lage würden sich immer weniger zivile Fachkräfte imstande sehen, dem erhöhten Sicherheitsrisiko auszusetzen. Nur eine weitere Stärkung der Zivilgesellschaft und eine Fortsetzung der sinnvollen Wiederaufbauhilfe, die Deutschland in der Vergangenheit geleistet hat, kann die weitere Ausbreitung von religiösen Fundamentalismus verhindern und ein Gegengewicht zu einer weiteren Eskalierung militärischer Gewalt bilden.
Im Übrigen ist dies der erste legitimierte Einsatz der Bundeswehr, der zumindest Kampfhandlungen nicht ausschließt. Zudem gibt es genug Belege dafür, dass solche Einsätze Terrorismus nicht nur bekämpfen, sondern auch neuen Terrorismus hervorrufen und provozieren. Es ist eine sehr schwierige Entscheidung, die sich auch die Befürworter nicht zu leicht machen dürfen. Keiner unserer Experten - die deutlich mehr Einblick in die dortige Situation haben als ich – glauben, dass der Einsatz die Probleme vor Ort löst oder verringert.
Da ich in der Entsendung von Tornados nach Afghanistan ein nicht vertretbares Risiko für unsere deutschen Soldaten, für das Gelingen des ISAF-Einsatzes insgesamt und für die Arbeit von NGOs in Afghanistan sehe, habe ich die Entsendung von „Recce-Tornados“ und deren Einsatz in Afghanistan abgelehnt.
Grundsätzlich habe ich eine kritische Haltung zu den Bundeswehreinsätzen in vielen verschiedenen Ländern. Jeden Einsatz muss man differenziert betrachten. Manche haben geholfen, Leid zu verhindern und kämpferische Auseinandersetzungen einzudämmen. Dennoch dürfen wir nicht in die Falle geraten, unsere Auslandseinsätze stetig auszuweiten. Es kann vor allem nicht sein, dass unsere Soldaten nicht genügend auf solche Einsätze vorbereitet sind, sowohl von ihrer Ausbildung her, als auch was die finanzielle Ausstattung der Bundeswehr angeht. Viel wichtiger wäre es, dass die Hilfsmaßnahmen und die Entwicklungszusammenarbeit deutlich ausgebaut würden, um bestimmte Konflikte gar nicht erst entstehen zu lassen.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen meinen Standpunkt ausreichend verdeutlichen und wünsche Ihnen alles Gute.
Mit freundlichen Grüßen
Marco Bülow