Frage an Marco Bülow von Paul J. bezüglich Gesundheit
Wie stehen Sie eigentlich zu der verabschiedeten Gesundheitsreform? Warum haben Sie sich nicht an der Abstimmung beteiligt?
Sehr geehrter Herr Jankowski,
ich habe mich innerhalb der Fraktion gegen das Gesetz ausgesprochen. Bei der Abstimmung im Plenum konnte ich jedoch aus gesundheitlichen Gründen nicht in Berlin sein.
Ich möchte Ihnen gerne schildern, warum ich die Gesundheitsreform kritisch sehe. Wir haben in der SPD-Bundestagsfraktion konsequent daran gearbeitet, dass wir ein solidarisches Krankenversicherungssystem etablieren. Unser Gesundheitssystem bietet seit vielen Jahrzehnten umfassende Versorgungsleistungen, die zeitnah jedem Patienten zur Verfügung stehen. Das System muss jedoch auch immer wieder an die sich verändernden Rahmenbedingungen angepasst werden. Derzeit haben wir die Situation, dass sich die Bevölkerungsstruktur in Deutschland grundlegend verändert – ein Prozess, der sich in Zukunft noch verstärken wird. Die Lebenserwartung ist in den vergangenen hundert Jahren erfreulicherweise deutlich gestiegen. Und sie steigt weiter. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Beitragszahler stetig ab. Das wird so bleiben, denn schon seit langem werden immer weniger Kinder geboren. Dies bedeutet weniger Geld für die Krankenversicherung. Dem stehen steigende Kosten für die medizinische Versorgung - verursacht u. a. durch mehr Heilungsmöglichkeiten und die Zunahme chronischer Krankheiten - gegenüber.
Ich bin daher grundsätzlich der Ansicht, dass das deutsche Gesundheitssystem dringend reformiert werden muss, um den Erhalt einer optimalen medizinischen Versorgung der Versicherten im Krankheitsfall zu sichern. Deshalb haben wir als Sozialdemokraten unser Modell der Bürgerversicherung aufgestellt. Wir haben dafür aber bei den Wahlen keine Mehrheit erhalten und waren somit auf eine Einigung mit der Union angewiesen.
Wir konnten in den Verhandlungen mit unserem Koalitionspartner einige unserer Positionen durchsetzen. So wird zumindest teilweise die solidarische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherungen beibehalten, mit Ausnahme des kassenindividuellen Zusatzbeitrages. Wir konnten verhindern, dass der Zusatzbeitrag, den die Krankenkassen je nach Bedarf erheben können, nicht mehr als ein Prozent des Haushaltseinkommens betragen darf. Die beitragsfreie Familienmitversicherung bleibt erhalten und die allgemeine Versicherungspflicht wird eingeführt. Jeder wird demnächst versichert sein. Es wird zu keiner einseitigen Festschreibung des Arbeitgeberbeitrags und somit zu keiner einseitigen Anhebung des Arbeitnehmerbeitrags kommen, sondern es werden beide Beträge gesetzlich festgelegt. Die Teilhabe aller Bürger an einer guten medizinischen Versorgung ist gesichert und viele Leistungen, wie etwa Mutter/Vater-Kind-Kuren und Rehabilitationsmaßnahmen wurden in den Leistungskatalog aufgenommen. Dies waren alles Punkte, welche die Union nicht in die Reform einbeziehen wollte, der SPD bei den Verhandlungen aber entgegengekommen ist.
Leider konnten wir aber bei der Ausgestaltung der Gesundheitsreform mit der Union einige, wichtige Punkte nicht durchsetzen. Die Experten der SPD-Bundestagsfraktion konnten in den Verhandlungen nicht erreichen, dass sich auch die privaten Versicherungen am Solidarausgleich beteiligen. So kommt der faire Wettbewerb zwischen den privaten und gesetzlichen Versicherungen nicht in dem Maß zustande, wie ich es mir gewünscht hätte. Zwar ist die Verpflichtung der Privatversicherungen zu einer Einrichtung eines Basistarifs schon ein Schritt in die richtige Richtung, da somit zumindest die interne Solidarität gesichert wird. Langjährig Privatversicherte können nun bei vorübergehender Zahlungsunfähigkeit ihren Versicherungsschutz nicht mehr verlieren. Die stärkere Beteiligung der Privatversicherten am Solidarausgleich über einen höheren Steuerzuschuss, der die gesellschaftspolitischen Aufgaben, die die gesetzlichen Krankenversicherungen ausführen, finanziert, konnte aber in den Verhandlungen mit der Union nicht durchgesetzt werden.
Ich persönlich - als gesetzlich krankenversicherter Bürger - sehe zudem gravierende Probleme bei der Einführung eines Gesundheitsfonds. Angedacht ist, dass der Gesundheitsfonds für alle Beteiligten erhebliche Vereinfachungen bringen soll. Er soll einen umfassenden und nachhaltigen Beitrag zum Bürokratieabbau und zugleich zu mehr Wirtschaftlichkeit und Wettbewerb im Gesundheitswesen bringen. Der Fonds soll ab 2009 die einheitlichen Beiträge der Arbeitgeber, anderer Sozialversicherungsträger, die einheitlichen Beiträge der Versicherten sowie ab 2009 ansteigend Steuermittel bündeln. Dieser Fonds wird jedoch ausschließlich für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) eingerichtet. Dazu wird ein hoher Aufwand notwendig sein, der sich nur sehr schwer bewerkstelligen lässt. Unter bürokratischen Gesichtspunkten sollte man sich in den Verhandlungen genau überlegen, ob das Sinn macht.
Weiterhin halte ich die Einführung der so genannten „Mini-Pauschale“ für äußerst problematisch. Ich teile hierbei die Auffassung einiger Kollegen in der SPD-Bundestagsfraktion, die festgestellt haben: „Auch wenn die Zusatzprämie an eine Härtegrenze von einem Prozent des jeweiligen Haushaltseinkommens gebunden sein wird, belasten diese Zusatzbeiträge in Zukunft einseitig die Versicherten mit ihren Einkommen, während die Arbeitgeber mit ihrem Anteil bei diesem Zusatzbeitrag freigestellt sind. Die Parität wird damit weiter ausgehöhlt. Das Gewicht von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gegenüber der Seite der Kostenträger wird weiter geschwächt; die Arbeitgeber sind tendenziell aus ihrem Interesse an Prävention, exzellenter Behandlung und Effizienz weiter entlassen.“ Wir wünschen uns eine Stärkung der GKV und halten Maßnahmen wie etwa die Zusatzprämie, die (potentiell) die Position der PKV stärkt, für bedenklich.
Viele der Kassen, die trotz Risiko-Struktur-Ausgleichs mit der Zuweisung aus dem Fonds nicht auskommen, werden in diesem Falle gezwungen, den notwendigen Zusatzbeitrag in Form einer kleinen Kopfpauschale zu erheben. Nähme eine Kasse im Gegensatz zu ihrer Konkurrenz einen einkommensabhängigen Zusatzbeitrag, würde sie ihre Gutverdiener an die Konkurrenzkasse verlieren. Damit wäre der Einstieg in das System der Kopfpauschalen gemacht. Insgesamt muss man leider sagen, dass der Entwurf die 2-Klassen-Medizin nicht verhindern wird.
Für uns wäre die Einführung eines morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs der richtige Weg gewesen, um den Unterschieden in der Versichertenstruktur der gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland bei der Verteilung der Finanzmittel aus dem Risikostrukturausgleich Rechnung zu tragen. Leider hat sich die Union mit Nachdruck gegen diese Lösung ausgesprochen. Mit der nun gefundenen Lösung (insbesondere den Morbiditätszuschlägen für 50 bis 80 schwerwiegende und kostenintensive chronische Krankheiten) sollte zumindest sichergestellt sein, dass Krankenkassen mit einer hohen Zahl überdurchschnittlich kranker Versicherter nicht benachteiligt werden.
Nun kann man in einer großen Koalition nicht die reine Lehre durchsetzen und so ist aus der Bürgerversicherung die nun beschlossene Gesundheitsreform geworden. Ein Kompromiss, den ich für nicht richtig halte. Meine Hauptkritik ist aber, dass wir wieder nur „rumgedoktert“ und keine wirkliche Perspektive geboten haben. Die Ergebnisse der Verhandlungen lassen mich deshalb die Gesundheitsreform durchaus sehr kritisch sehen.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen meine Einstellung ausreichend darlegen und wünsche Ihnen alles Gute.
Mit freundlichen Grüßen
Marco Bülow