Frage an Marco Bülow von Philipp B. bezüglich Umwelt
Sehr geehrter Herr Bülow,
ich möchte Ihnen als Mitglied des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Fragen zu aktuellen Ereignissen stellen:
Nachdem unmittelbar nach der ca zweijährigen Abschaltung des AKW Krümmel dieses wegen Störfällen zweimal wieder heruntergefahren wurde:
- Werden Sie/wird die SPD sich im Falle einer Wiederwahl/Regierungsbeteiligung nach der Bundestagswahl dafür einsetzen alle AKWs in der BRD, insbesondere die älteren und in der Vergangenheit ´auffällig gewordenen´ baldmöglichst (schneller als im von Rot/Grün beschlossenen Atomausstieg vorgesehen) endgültig vom Netz zu nehmen und zurückzubauen?
Als Aachener wohne ich vom nächsten AKW ca 60 km entfernt.
Dieses befindet sich bei Lüttich und damit exakt in der in Europa vorwiegend herrschenden Windrichtung (was bei der Entfernung wohl nur sekundär ist)
- Wie und wie schnell werden die deutschen Behörden im Falle eines dortigen relevanten Zwischenfalles von den belgischen in Kenntnis gesetzt? Ist unter Umständen noch die entsprechende EU-Behörde zwischengeschaltet (wie ja auch die Bundesregierung die EU und IAEO informiert) ? Gibt es Gemeinsame (Grenzübergreifende) Pläne für den Katastrophenschutz im Falle eines Zwischenfalles?
Ich danke Ihnen im voraus für Ihre Antworten und verbleibe
mfG Philipp Boschen
Sehr geehrter Herr Boschen,
zunächst vielen Dank für Ihre Anfrage vom 6. Juli zum Thema Atomenergie.
Sie haben mit Sicherheit den immensen Widerstand der Union und auch die millionenschweren Kampagnen der Atomlobby gegen den Atomausstieg wahrgenommen. Dennoch ist die SPD standhaft geblieben und hat den beschlossenen Atomausstieg verteidigt. Dies werden wir auch weiterhin aus voller Überzeugung tun.
Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass ein erst vor wenigen Jahren zwischen zwei Parteien freiwillig geschlossener Vertrag auch einzuhalten ist: Alles andere ist unseriös. Trotzdem haben die vier AKW-Betreiber immer wieder mit fadenscheinigen Argumenten Laufzeitverlängerungen gefordert und versucht, durch Anträge auf Laufzeitverlagerungen von neuen auf alte (!) Reaktoren ihre alten Atomkraftwerke über das Ende der aktuellen Legislaturperiode zu retten. Diesem unsäglichen Vorgehen hat Bundesumweltminister Gabriel nicht zugestimmt.
Es wurde alles versucht, diesen Ausstiegsvertrag zu torpedieren und rückgängig zu machen. Wenn sich die AKW-Betreiber nun nicht mehr an den Vertrag gebunden fühlen, muss man sich natürlich fragen, warum sich die Politik noch daran halten sollte. Es wäre ja euch ein noch früheres Abschalten denkbar. Auf jeden Fall sollten aber die sieben ältesten Reaktoren vom Netz genommen werden. Sie weisen nicht nur die höchste Zahl an Zwischenfällen auf, sie bieten auch keinen ausreichenden Schutz gegen Terrorangriffe, da ihre Betonschutzhülle einem Flugzeugaufprall nicht standhalten würde. Man muss sich vergegenwärtigen, dass diese Reaktoren bereits vor ungefähr 30 bis 35 Jahren ihren kommerziellen Leistungsbetrieb aufgenommen haben. Sie wurden aber nur für eine Laufzeit von 25 nicht von 40 oder 60 Jahren konzipiert. Daher haben sie auch verkürzte Abschreibungszeiten. Man darf nicht vergessen, auch Reaktoren altern, d. h. die Sicherheit des Anlagenbetriebs nimmt mit längerer Laufzeit ab. Es kommt zu Korrosion, Rissen an der Oberfläche oder an Schweißnähten im Reaktordruckbehälter und zu Materialermüdung.
Neben den sieben ältesten Atomkraftwerken, die schon aufgrund ihrer Baukonstruktion (keine Kuppelform, unterschiedliche Wanddichten der Reaktordruckbehälter etc.) weniger sicher sind als neuere, muss auch der Pannenreaktor Krümmel endgültig vom Netz. Dieser ist zwar 1984, also "erst" vor 25 Jahren in Betrieb genommen worden, aber er wurde damals schon nicht nach der aktuellsten Technik gebaut. Die erneuten Sicherheitspannen in Krümmel machen deutlich, dass deutsche Atomkraftwerke keinesfalls so sicher sind, wie die Atomlobby immer gerne behauptet. Wenn ein Reaktor nach einem verheerenden Trafobrand zwei Jahre lang repariert werden muss, weil sich während der zwischenzeitlichen Stilllegung immer wieder neue Fehler finden, dann kann man doch nicht - wie der baden-württembergische Ministerpräsident Oettinger - ernsthaft behaupten, die veralteten Reaktoren würden dem Stand der Technik entsprechen. Es ist beängstigend, wenn nach rund 200 technischen Änderungen kurz nach Wiederanfahren schon wieder eine Sicherheitspanne das AKW lahmlegt. Und dies, weil mal eben vergessen worden ist, eine wichtige Sicherheitsanlage am Trafo einzubauen.
Ich finde es auch besorgniserregend, dass der Betreiber mit der hochsensiblen Atomtechnologie scheinbar völlig überfordert ist. An allen vier Vattenfall-AKW-Standorten (Krümmel und Brunsbüttel in Deutschland sowie Forsmark und Ringhals in Schweden) hat es in den letzten drei Jahren gravierende Sicherheitsprobleme gegeben. Ringhals steht derzeit unter verschärfter Aufsicht der schwedischen Behörden, die generelle Bedenken an dem erforderlichen Sicherheitsbewusstsein des Betreibers geäußert haben. Daher müssen wir auch in Deutschland die Vorfälle in den Vattenfall Kraftwerken ausgiebig untersuchen und gegebenenfalls die Lizenz entziehen.
Die dann endgültig vom Netz genommenen Kraftwerke müssen selbstverständlich zurück gebaut werden. Dafür haben die Betreiber in den Jahren des Betriebs Rückstellungen in Milliardenhöhe gebildet, die sie nicht versteuern mussten.
Zu Ihren Fragen bezüglich des nahe Lüttich gelegenen belgischen Atomkraftwerks kann ich Ihnen folgendes mitteilen:
Deutschland hat mit sechs der neun Nachbarstaaten bilaterale Abkommen geschlossen, in denen der Informationsaustausch über grenznahe nukleare Einrichtungen vereinbart wurde. Umfangreichere Kontakte bestehen auf Grund der grenznahen Gegebenheiten mit den Niederlanden, Frankreich, der Schweiz, Österreich, der Tschechischen und der Slowakischen Republik, mit denen gemeinsame Kommissionen bzw. Expertengruppen eingerichtet wurden. In gegenseitigen Konsultationen werden Fragen der Reaktorsicherheit und des Strahlenschutzes erörtert. Aufgrund der Entfernung der Anlage in Tihange südwestlich von Lüttich zur deutschen Grenze wird diese Anlage nicht mehr als "grenznah" eingestuft. Dementsprechend erfolgt der Informationsaustausch zwischen Deutschland und Belgien aufgrund multinationaler Vereinbarungen.
Beide Länder sind an das europäische Schnellinformationssystem ECURIE (European Community Urgent Radiological Information Exchange) angeschlossen, über das im Ereignisfall die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie die Schweiz und Kroatien alarmiert werden können. Wie Sie selbst vermuten, laufen diese Alarmierungen über die EU-Kommission, und zwar über die zuständige Generaldirektion Transport und Energie.
Aufgrund ihres Beitritts zum Übereinkommen über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen (Convention on Early Notification of a Nuclear Accident) der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien (IAEO) sind im Falle eines in diesem Abkommen verzeichneten radiologischen Ereignisses mit grenzüberschreitenden Auswirkungen beide Staaten zur schnellen Informationsweitergabe an die IAEO und die anderen Vertragsstaaten verpflichtet.
In der Umgebung (Planungsradius für Katastrophenschutzmaßnahmen: 25km) der grenznahen kerntechnischen Anlagen gibt es eine enge Zusammenarbeit auch auf lokaler Ebene. Der Katastrophenschutz ist jedoch Länderaufgabe. Mir liegen keine Informationen über entsprechende Vereinbarungen im Raum Aachen vor. Um mehr zu erfahren, würde ich Sie bitten, sich an das für diesen Bereich zuständige nordrhein-westfälische Innenministerium zu wenden.
Mehr Informationen zum Thema Atomenergie finden Sie auf meiner Homepage unter http://www.marco-buelow.de/energie-klima/hintergruende/atomenergie.html . Hier können Sie sich Veröffentlichungen der SPD-Fraktion, wie z. B. die Broschüre "70 Argumente gegen Atomenergie" oder das Faltblatt "Entgegnung auf Behauptungen der Atomlobby", an denen ich und mein Büro maßgeblich mitgearbeitet haben, herunterladen.
Mit freundlichen Grüßen
Marco Bülow