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Marco Böhme
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Frage von Thomas L. •

Frage an Marco Böhme von Thomas L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Böhme,

1.) die Demonstrationen in unserem Freistaat sind in aller Munde. Wie bewerten Sie die Übergriffe der Antifa auf die Polizei? Sind diese Übergriffe zu rechtfertigen bzw. haben Sie Kontakt zu zu diesen Organisationen um der Bevölkerung Auskunft über den Sinn dieser Aktionen geben zu können?

2.) wie stehen Sie zu den Aufrufen der sächsischen Hochschulen und Studentenräte einseitig Demonstrationen zu unterstützen?

Auf Ihre Antwort freue ich mich sehr.

Mit freundlichen Grüßen

T. L.
Dipl.-Ing. (BA)

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr L.,

danke für ihre sachlichen und unaufgeregten Frage, die ich ihnen gerne beantworten möchte:

1.) Lassen sie mich zu ihrer ersten Frage sozusagen "von hinten" aufzäumen:
Ich habe keinen Kontakt zu Organisationen der Antifa, weil es derlei einfach nicht gibt. Was gemeinhin zusammenfassend als "die Antifa" bezeichnet wird, ist ein Spektrum tausender Einzelpersonen, die sich jeweils auf Antifaschismus berufen und damit eine Reihe gemeinsamer Dinge verbinden - aber eben auch genug völlig unterschiedlicher. Ich arbeite seit vielen Jahren im Leipziger Projektbüro linXXnet in Connewitz, das wahlweise mal als "Alternativ", mal als "Problemstadtteil" oder eben als "Hochburg der linksautonomen Szene" bezeichnet wird, und kenne von dort eine Reihe Menschen, die sich in unterschiedlichsten außerparlamentarischen politischen Gruppen zusammenschließen und zu verschiedenen politischen Themen arbeiten: sei das im antirassistischen Fussballverein Roter Stern, in Gruppen um die Situation etwa der Flüchtlinge in der völlig desolaten Massenunterkunft in der Torgauer Straße in Leipzig zu thematisieren oder in der alternativen Kultur- und Musikszene. Viele dieser Leute gehen auf Demonstrationen gegen Nazis und viele dieser Leute würden in der öffentlichen Wahrnehmung als Angehörige "der Antifa" zusammengefasst - während ihre Ansichten und Konzepte, etwa wie Nazis gesellschaftlich zu begegnen wäre, weit auseinander gehen und sie in keinerlei organisiertem Zusammenhang zu einander stehen.

Darum sind die einzigen Aussagen, die ich Ihnen allgemein über intendierten Sinn irgendwelcher Aktionen geben kann, reichliche Allgemeinplätze.

Das vorangestellt möchte ich allerdings auch klarstellen: Ich wie die Menschen mit denen ich zusammenarbeite, lehnen die militante Gewalt, die neuerdings in Leipzig um sich greift, und mit der etwa der Polizeiposten in der Wiedebachpassage angegriffen wurde, konsequent ab. Viele hier spüren ganz alltäglich, dass derlei Mittel ganz konkret unseren politischen Anliegen entgegenstehen, ja unser aller Arbeit schaden und bedrohen, wofür wir streiten. Dabei kann dieser Streit auch durchaus der gegen den entsprechenden Polizeiposten selbst sein, der von Anwohner_innen von Connewitz mit den Mitteln der Satire ausgetragen wurde, als sie sich nach Eröffnung des neuen Polizeipostens und entsprechender Aussagen in der Presse zu Unrecht pauschal kriminalisiert sahen.

Ich sehe mich, gerade in der Rolle als Politiker, in der Verantwortung hier zu vermitteln, zu übersetzen und für Verständnis zu werben - so lange wie die Mittel des Protestes friedlich bleiben und deren Inhalt politischer Natur ist, und mit menschenverachtenden Ideologien nichts gemein hat.

2.) Womit ich auch bereits eine Art Überleitung zu ihrer zweiten Frage gemacht habe: die Aufrufe waren nicht schlichtweg zur "einseitigen" Unterstützung einer Demonstration, sondern waren dezidiert inhaltlich und nahmen argumentativ Stellung. Student_innenRäte sind demokratisch verfasste Gremien, die gewählt werden und damit jede Befugnis haben, sich zu positionieren, wie sie wollen. Ich halte hier selbst die vorhandene Einschränkung des Sächsischen Hochschul"freiheits"gesetzes (SächsHS"F"G) für falsch, die den Organen der verfassten Studierendenschaft lediglich ein "Hochschulpolitisches" Mandat erteilt.

Universitäten und Hochschulen in Sachsen verfügen über eine demokratisch verfasste Selbstverwaltung, die sie absolut dazu berechtigt, sich auch dezidiert zu äußern. Es wäre eine Katastrophe, wenn die sächsischen Hochschulen und Universitäten ihren gesellschaftlichen Auftrag (gerade AUCH als Akteur in gesellschaftlichen Debatten und Ort für das Nachdenken über Gesellschaften) noch weniger wahrnehmen könnte oder ihr gesetzlicher Spielraum noch weiter eingeschränkt werden würde, als es ohnehin bereits der Fall ist.

Ich freue mich über jede Wortmeldung der Rektor_innen, der Senate und der StuRä Sachsens, die im Sinne einer offenen Gesellschaft und des humanistischen Grundkonsens unseres Bildungsideals erfolgen.

Freundliche Grüße,

Marco Böhme,