Frage an Marc Henrichmann von Jöran K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Heinrichmann,
ihr "Kollege" Herr Uwe Junge, MdL (AfD) hat am 29. Dez folgenden Tweet abgesetzt:
"Der Tag wird kommen, an dem wir alle Ignoranten, Unterstützer, Beschwichtiger, Befürworter und Aktivisten der Willkommenskultur im Namen der unschuldigen Opfer zur Rechenschaft ziehen werden! [...]"
Ich gehöre zu diesen "Befürworter(n) und Aktivisten der Willkommenskultur". Ein deutscher Parlamentarier gibt mir hier Mitverantwortung für die schreckliche Attacke in Kandel. Er droht mir und allen anderen, das wir für unser Engagement zur Rechenschaft gezogen werden.
Herr Heinrichmann, es ist lange her das die Atmospähre in diesem Land so vergiftet war. Wann gab es das zu Letzt, das ein Politiker weite Teile des Volkes so unverholen bedroht?
Das ist keine Rethorik um sich bei den eigenen Wählern beliebt zu machen. Das meinen die völlig Ernst. Es geht um Machtübernahme und was danach kommt.
In der Schule wurde mir beigebracht, das wir in einer "wehrhaften Demokratie" leben. Mir wurde beigebracht, das Deutschland ein erstarken von faschistischen Tendenzen nie wieder zulassen darf und wird. Ich habe das geglaubt. Jetzt bin ich enttäuscht. Wie Sie wissen, lebe ich in einem Wahlkreis in dem die AfD verhältnissmäßig schwach ist. Dennoch habe ich inzwichschen Angst wenn Parlamentarier mich so unverholen bedrohen und es keine Konsequenzen hat. Ich möchte mir garnicht vorstellen wie mein Leben in der sächsischen Provinz aussähe.
Ich möchte wissen: Warum lässt ihre Regierung das zu? Warum wehrt sich unsere Demokratie nicht dagegen?
In ihrem Parlament, wenige Sitzreihen von ihnen entfernt sitzt Stephan Brandner der erst vor wenigen Wochen darüber fantasierte wie er eine Machete gegen seine politischen Gegner einsetzt.
Herr Heinrichmann, was gedenken Sie gegen diese Entwicklung zu unternehmen? Wie soll ich, unter diesen Umständen, angstfrei an der gesellschaftlichen Debatte teilhaben?
Sehr geehrter Herr K.,
danke für Ihre Nachricht über die Internetseite www.abgeordnetenwatch.de. Als Ihr Wahlkreisabgeordneter antworte ich Ihnen gerne. In Zukunft können Sie mich auch gerne direkt über meine E-Mailadresse marc.henrichmann@bundestag.de kontaktieren.
Ihre Sorgen zur veränderten Debattenkultur in Deutschland teile ich. Durch viele Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern in Lüdinghausen und in anderen Teilen im Wahlkreis spüre auch ich, dass sich die Art und Weise, wie wir Diskussionen führen, verändert hat.
Auch in Berlin im Deutschen Bundestag hat sich mit dem Einzug der AfD-Fraktion einiges geändert. Als junger Abgeordneter habe ich in den ersten Wochen oft die Gespräche mit erfahrenen Kollegen gesucht. Viele bestätigten mir, dass sich mit der AfD auch im Deutschen Bundestag einiges geändert hat. Die Debatten sind hitziger, kontroverser, verlaufen aber teilweise auch unter der Gürtellinie.
Mir ist es wichtig, dass wir stets den gegenseitigen Respekt für die Meinung des anderen wahren, so kontrovers und leidenschaftlich die Debatte auch sein mag. Wir müssen konstatieren, dass offensichtlich 10 bis 15 % der Bevölkerung entweder mit Politikgestaltung oder mit der Art und Weise, wie wir Debatten führen, nicht einverstanden sind. Sie fühlen sich nicht gehört oder nicht verstanden oder ihnen geht die Lösung ihrer Probleme zu langsam. Diesen Herausforderungen müssen wir uns stellen. Ich betone nochmals, dass dies im Rahmen der Verfassung stattfinden sowie auf gegenseitigen Respekt und auf gegenseitiger Anerkennung beruhen muss.
In Ihrer Nachricht kommen Sie auf die wehrhafte Demokratie zu sprechen. Die deutsche Demokratie hat viele Möglichkeiten, sich gegen Extremisten und Populisten zur Wehr zu setzen. Zu nennen ist hier beispielsweise der Verfassungsschutz, der einzelne Mitglieder einer Partei oder auch ganze Parteien beobachten kann. Einige Abgeordnete der AfD werden bereits vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet.
Organisationen, die der AfD nahestehen, wie beispielsweise die Identitäre Bewegung, werden ebenfalls vom Verfassungsschutz überwacht. Darüber hinaus stehen weitere Instrumente der wehrhaften Demokratie zur Verfügung. Zu nennen ist hier beispielsweise die Möglichkeit des Parteienverbots, wobei ich ausdrücklich davor warne und auch nicht glaube, dass ein solcher Schritt gegen die AfD Erfolg hätte.
Zudem gibt es beispielsweise Aussteigerprogramme für Rechtsextreme oder die Bundeszentrale für politische Bildung. Gerade in der Aufklärung und in der Bildung sehe ich den Schlüssel im Kampf gegen den Rechtspopulismus.
Zudem sollten Diffamierungen und Hetze öfters zur Angezeigt werden. Auch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz kann ein wichtiger Schritt sein, um die geltenden Gesetze und Normen der Meinungsfreiheit im Internet durchzusetzen.
Als Gesellschaft müssen wir uns dem Dialog mit der AfD und den Wählerinnen und Wählern und Sympathisantinnen und Sympathisanten der AfD stellen. Wir dürfen dabei nicht pauschal vorgehen, sondern müssen dezidiert argumentieren, welches Argument warum verfassungswidrig, homophob, frauenfeindlich oder antisemitisch ist. Mit pauschalen Urteilen stigmatisiert sich die AfD als Opfer.
Als bürgerliche Mitte müssen wir in der Debatte wieder deutlicher unsere Positionen vertreten und vor allen Dingen deutlich machen, warum wir für oder gegen eine jeweilige Maßnahme sind. Dabei dürfen wir uns nicht hinter Worthülsen und politischen Phrasen verstecken, sondern müssen ausdrücklich begründen und darlegen, warum wir der Meinung sind, dass der eingeschlagene Weg richtig ist. Dann - davon bin ich überzeug t- wird sich auch die Debattenkultur wieder ändern.
Ich hoffe, dass ich Ihnen mit meiner Antwort teile Ihrer Sorgen nehmen konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Marc Henrichmann