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Frage von Bernd B. •

Frage an Manfred Zöllmer von Bernd B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Guten Tag Herr Zöllmer,
heute möchte ich mich mal an Sie wenden.
Als ich heute so auf diesen Seiten stöberte, fiel mir Ihr Beitrag vom 14.05 2008 auf.
Helfen Sie mir bitte weiter bzw. auf die Sprünge.
In allen 27 Mitgliedstaaten der EU wurde die Todesstrafe abgeschafft. Europa setzt sich weltweit gegen die Todesstrafe ein. Warum wir dennoch die Todesstrafe in Europa eingeführt?
In Artikel 146 GG steht
Zitat Anfang
Geltungsdauer des Grundgesetzes
Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.
Zitat Ende
Aus "Verfassung" wurde einfach Vertrag gemacht; und das deutsche Volk hat auch nicht mittels Volksabstimmung darüber abgestimmt.
Nicht nur das das Volk übergangen wurde. Es hat mit Ratifizierung auch die Todesstrafe. Nicht aber für besonders gewalttätige Straftaten, sondern im Kriegsfall, bei Krawallen und Aufständen.

Deutschland lässt sich nicht mehr lange den Aufschwung vorlügen. Zunehmende Armut, Politikverdrossenheit und mangelnde Zukunftsperspektiven werden in nicht allzu ferner Zukunft Menschen auf die Straße bringen. Sie werden für bessere Verhältnisse demonstrieren. Krawalle wie einst in Frankreich werden auch in Deutschland stattfinden.
Soll für diesen Fall, dass Bürger sich gegen die ungerechte Behandlung durch den Staat wehren, die Todesstrafe eingeführt werden?

Wie geschrieben. Mich verwirrt es, dass in allen 27 Mitgliedstaaten der EU die Todesstrafe abgeschafft wurde, UND sich die EU weltweit gegen die Todesstrafe einsetzt, aber andererseits für Europa die Todesstrafe wieder eingeführt wird. Gehen Sie bitte darauf näher ein.
Ich bedanke mich für ihre ausführliche und befriedigende Antwort.

mfg
Bernd Brause

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Brause,

vielen Dank für Ihren Beitrag.

Durch den Vertrag von Lissabon wird die Todesstrafe nicht wieder eingeführt! Ganz im Gegenteil wird durch ihn ihre Ächtung erstmals im Primärrecht der Europäischen Union verankert. Dies legt der verbindliche Artikel 2 Absatz 2 der EU-Grundrechtecharta eindeutig fest: „Niemand darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden.“ Diese Regelung entspricht dem in seiner Wirksamkeit und Bedeutung in keiner Weise beeinträchtigten Artikel 102 des Grundgesetzes: „Die Todesstrafe ist abgeschafft.“

Die Grundrechtecharta der EU orientiert sich bezüglich ihres Inhalts an der Europäischen Menschenrechtserklärung (EMRK). Seit dem Vertrag von Lissabon haben die Grundrechte erstmals selbst den Rang von EU-Primärrecht erhalten. Dies ist eine starke Aufwertung und trägt zu einem umfassenderen Grundrechtsschutz innerhalb der EU bei.

Zu beachten ist, dass das Dokument der EMRK nicht auf Beschlüsse der Europäischen Union sondern des Europarats zurückgeht. In diesem Gremium sind Länder vertreten (z. B. Russland), in denen die Todesstrafe weiterhin legal ist. In einem langen Entwicklungsprozess wurde die EMRK, die in ihrer frühesten Form auf das Jahr 1950 zurückgeht und damals noch kein Verbot der Todesstrafe beinhaltete, schrittweise modifiziert. Im 6. Zusatzprotokoll aus dem Jahr 1983 gelang es, alle Mitgliedsstaaten des Europarates (bis auf Russland) zu einer Ächtung der Todesstrafe in Friedenszeiten zu bewegen. Ein vollkommenes Verbot der Todesstrafe auch zu Kriegszeiten war zu diesem Zeitpunkt noch nicht durchsetzbar. Deutschland, Österreich und die Schweiz haben mittlerweile auch auf der Ebene des Europarates im 13. Zusatzprotokoll zur EMRK ihren vollkommenen Verzicht auf die Todesstrafe auch in Kriegszeiten erklärt. Angesichts von Artikel 102 des Grundgesetzes war dies für Deutschland ein rein symbolischer Akt.

Mit der Ausarbeitung der Grundrechtecharta auf der Basis der EMRK war der Europäische Konvent befasst, ein Gremium von Verfassungsrechtsexperten, Abgeordneten der nationalen und des Europaparlaments und Regierungsvertretern. Neben der bereits im Jahr 2000 zunächst ohne Rechtsverbindlichkeit beschlossenen Grundrechtecharta existiert eine Erklärung des Europäischen Konvents. Diese sorgt heute für Verwirrung, da in ihr auf Artikel 2 des 6. Zusatzprotokolls der EMRK verwiesen wird, der, wie bereits oben geschildert kein Verbot der Todesstrafe in Kriegszeiten beinhaltet. Diese verweisende Erklärung des Europäischen Konvents besitzt jedoch neben dem absoluten Verbot der Todesstrafe in Artikel 2 Absatz 2 der EU-Grundrechtscharta keine rechtliche Verbindlichkeit.

Das Verfassungsgebot aus Artikel 102 des deutschen Grundgesetzes ist somit keinesfalls aufgehoben, sondern erfährt vielmehr eine zusätzliche Bestätigung auf europäischer Ebene.

Ich hoffe, mit den Erläuterungen für Klarheit in der Debatte gesorgt zu haben.

Mit freundlichen Grüßen,

Manfred Zöllmer