Frage an Manfred Weber von Manfred L. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Weber,
vielen Dank für die schnelle Antwort auf meine Frage. Aber was ist dann mit den Fußnoten, wo die Todesstrafe vorgesehen ist?
a) Artikel 2 Absatz 2 EMRK:
"Eine Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie durch eine Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist, um
a) jemanden gegen rechtswidrige Gewalt zu verteidigen;
b) jemanden rechtmäßig festzunehmen oder jemanden, dem die Freiheit rechtmäßig entzogen ist, an der Flucht zu hindern;
*c) einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen"*.
b) Artikel 2 des Protokolls Nr. 6 zur EMRK:
"*Ein Staat kann in seinem Recht die Todesstrafe für Taten vorsehen, die in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr begangen werden*; diese Strafe darf nur in den Fällen, die im Recht vorgesehen sind, und in Übereinstimmung mit
dessen Bestimmungen angewendet werden …".
Ihre Antwort über das Referendum verstehe ich so, bei uns darf das Volk nicht abstimmen, weil Sie Angst haben, wir könnten dagegen stimmen.
Mit freundlichen Grüßen
Manfred Lorenz
Sehr geehrter Herr Lorenz,
vielen Dank für Ihre weitere Nachfrage.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass der Vertrag von Lissabon die Todesstrafe weder einführt noch billigt. Vielmehr werden mit Inkrafttreten des Lissaboner Vertrags die EU-Grundrechtecharta und damit auch der folgende Artikel 2 der Charta bindend:
Artikel 2
Recht auf Leben
(1) Jeder Mensch hat das Recht auf Leben.
(2) Niemand darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden.
Ihre Fragen und Kommentare beziehen sich aber auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) von 1950. Bei der Europäischen Menschrechtskonvention und der EU-Grundrechtecharta handelt es sich um zwei verschiedene Dokumente mit unterschiedlichen Autoren. Erstere wurde vom Europarat ausgearbeitet; die EU-Grundrechtecharta hingegen wurde unter Aufsicht der Mitgliedstaaten der EU ausgearbeitet.
Auf Grund der spezifischen Rechtssituation in der EU sind ihre Mitgliedstaaten verpflichtet dem EU-Recht Vorrang vor dem nationalen Recht zu gewähren. Das Verbot der Todesstrafe muss daher unbedingt befolgt werden.
Bei der EMRK handelt es sich dagegen um Völkerrecht im klassischen Sinne. Das heißt, die EMRK hat in den unterzeichnenden Staaten unterschiedlichen Status und muss in manchen Staaten erst durch ein nationales Gesetz in gültiges Recht umgewandelt werden.
Die Frage nach einer Volksabstimmung über Vertrag von Lissabon muss jeder Mitgliedstaat eigenständig beantworten und hängt auch von den nationalen rechtlichen Gegebenheiten ab. In Deutschland sieht das Grundgesetz bislang nur eine Volksabstimmung bei der Neugliederung des Bundesgebietes vor. Welchen rechtlichen Wert das Ergebnis einer Volksabstimmung zum Vertrag von Lissabon hätte, wäre also ungewiss.
Ob in Deutschland eine Volksabstimmung zum Vertrag von Lissabon stattfinden kann, ist in keiner Weise an den möglichen Ausgang einer solchen Abstimmung gebunden - und darf es auch nicht sein. Vielmehr ist die Durchführung einer derartigen Volksabstimmung eine viel weitreichendere Entscheidung über die Demokratieform in der Bundesrepublik. Abgesehen davon haben der Bundestag und der Bundesrat schon rechtmäßig über den Vertrag abgestimmt. Zum Abschluss der Ratifikation fehlt also nur noch die Unterzeichnung des Bundespräsidenten.
Die neuesten Eurobarometer-Werte vom Frühjahr 2008 spiegeln übrigens eine überdurchschnittlich positive Wahrnehmung der EU unter den Bundesbürgern wider. Von der Furcht vor einem "Nein" kann also keine Rede sein.
Mit freundlichen Grüßen,
Manfred Weber