Frage an Lydia Westrich von Ulli M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Westrich!
Ich hätte eine Frage zu unserem Wahlvorgang:
GG Artikel 38 Abs. 1 III Rn 121 Wahlgrundsätze
Im Bund und in den Ländern bestehen die Wahlgrundsätze der allgemeinen,
unmittelbaren , freien, gleichen und geheimen Wahl ( Artikel 38 Abs. 1 ,
28 Abs. 1 Satz 2 i.V. den entsprechenden Verfassungsvorschriften der
Länder ).
Der Begriff der Wahl umfaßt Abstimmungen, durch die eine oder mehrere
Personen aus einem größeren Kreis von Kandidaten ausgewählt werden. Die
Wahlgrundsätze gelten für das gesamte Verfahren. Das verfassungsrechtlich
geschützte Wahlrecht darf nicht durch zu weitgehende Verlagerung der
Aufgaben und Befugnisse des Bundestages auf supranationale Einrichtungen
entleert werden, so daß praktisch keine demokratische Legitimation mehr
möglich ist . Die Grenze ist dabei aufgrund von Artikel 23 GG zu ziehen.
GG Artikel 38 Abs 1. 2. Rn 125 Unmittelbarkeit der Wahl
Unmittelbarkeit der Wahl schließt jedes Wahlverfahren aus , bei dem sich zwischen Wähler und Wahlbewerber eine weitere Instanz - insbesondere eine Versammlung gewählter Wahlmänner - einschiebt , die nach ihrem eigenen
Ermessen die Abgeordneten auswählt und damit deren direkte Wahl ausschließt !
Nun denke ich, daß eine Partei schon vorher ihre Favoriten auf die
Listenplätze setzt? Wählt die Partei nicht nur die Leute aus, die diese selbst bestimmt und auf Ränge in den Wahllisten setzt ?
Welche Möglichkeit habe ich, einen Abgeordneten zu wählen, der überhaupt nicht auf der Liste erscheint, weil die Partei es nicht für richtig hält?
In diesem Sinne hat die Partei schon für mich gewählt und ich werde eigentlich nur aufgefordert, den genannten Kandidaten zu bestätigen.
Ist da nicht ein generelles Verbot, daß sich zwischen dem Wähler und Abgeordneten eine Institution egal welcher Art und Form schiebt ?
Über Ihre Stellungnahme würde ich mich sehr freuen.
Mit freundlichen Grüßen
Ulli Mertens
Sehr geehrter Herr Mertens,
vielen Dank für Ihre Frage vom 5. April zum Wahlvorgang.
Sie fragen, weshalb es nicht möglich ist, jeden Kandidaten Ihrer Wahl direkt zu wählen, sondern nur die vermittels der Parteien aufgestellten Kandidaten.
Unser Wahlsystem wurde nach dem zweiten Weltkrieg auf Grund der im 20. Jahrhundert gemachten Erfahrungen konstituiert und sieht ausdrücklich vor, dass die Parteien, die den demokratischen Grundsätzen entsprechen, an der politischen Willensbildung mitwirken. (GG Artikel 21) Parteien wirken an der politischen Willensbildung mit, indem sie u. a. die Kandidaten für die Volksvertretungen in Bund, Ländern und Gemeinden stellen.
Ihnen steht als Wähler die Wahl bestimmter Ideen und politischer Ziele, wie sie von den verschiedenen Parteien vertreten werden, offen. Sie wählen nach einem Wahlsystem, das Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht in der so genannten personalisierten Verhältniswahl miteinander verbindet. Sie als Bürger können zum einen am politischen System Deutschlands teilhaben, indem Sie wählen. Sie können darüber hinaus selbst in einer Partei Ihrer Wahl aktiv zu werden und somit aus der Parteiarbeit heraus Veränderungen bewirken. Sie können sogar eine eigene Partei gründen. In Deutschland schiebt sich keine weitere Instanz zwischen Wähler und Kandidat (die von Ihnen angesprochene Versammlung der Wahlmänner existiert in den USA), wie Sie in Ihrer Frage implizieren.
In einer Parteiendemokratie wie Deutschland werden die Kandidaten von den Parteien zur Wahl aufgestellt. Sie können mit Ihrer Erstimme von jeder zur Wahl aufgestellten Partei einen Kandidaten direkt wählen und mit Ihrer Zweitstimme die Partei Ihrer Wahl unterstützen. Bei Kommunalwahlen können Stimmen noch freier abgeben werden, auch an unabhängige Kandidaten. Aber auch bei Kommunalwahlen mit freieren Stimmvergabemöglichkeiten liegt die Wahlbeteiligung relativ niedrig. Mehr direkte Bürgerbeteiligung führt nicht automatisch zu mehr Wahlbeteiligung.
Gern möchte ich Sie in diesem Zusammenhang noch auf die am 10. April anlässlich der Gedenkstunde des Deutschen Bundestages „Die Zerstörung der Demokratie in Deutschland vor 75 Jahren“ gehaltenen Reden hinweisen, die Sie im Internet des Bundestages finden.
Mit freundlichen Grüßen
Lydia Westrich