Frage an Lydia Westrich von Martina W. bezüglich Finanzen
Sehr geehrte Frau Westrich,
erstmal Gratulation zur Diätenerhöhung! Zu meiner Erhöhung der Besteuerung der Erwerbsunfähigkeitsrente um 2500 % sollten Sie mir jedoch nicht gratulieren.
Wie Ihnen bekannt ist, wurde die Besteuerung der Erwerbsunfähigkeitsrente 2007 von 2 % auf 50 % erhöht und dies entspricht tatsächlich einer Erhöhung um 2500 %. Frührentner wie ich (geb. 1959), vom Schicksal der Krankheit überfahren, werden viel zu früh aus ihrem Berufsleben geworfen und ihre finanzielle und existentielle Planung gerät total aus den Fugen. Um überhaupt eine EU-Rente zu bekommen muss man sowieso schon halb tot sein und wird dann zum Kampf gegen seine Krankheiten noch damit belohnt wie ein Spitzenverdiener besteuert zu werden. Entschuldigen Sie bitte meinen Sarkasmus aber der basiert auf meiner inneren Verzweiflung und dem Glauben an einen Sozialstaat und menschliche Behandlung. Sicherlich können Sie mein Schicksal als ein Einzelschicksal betrachten und wenn Sie dies tun stellt sich doch erst recht die Frage, warum man dann gerade einer solchen Minderheit so tief in die Tasche greift. Dass ich mich erst heute an Sie wende hängt mit den Tatsachen zusammen, dass ich die letzten Monate wirklich ums Überleben gekämpft habe und mich diesem Thema nicht öffentlich annehmen konnte. Ich habe nun folgende Fragen an Sie:
1. Wer hat sich das ausgedacht und dem Gesetzt zugestimmt?
2. Welche Begründung gibt es für eine Erhöhung auf 50 % (das hat kein Spitzenverdiener!) und somit um 2500 % ?
3. Ist eine Steuererhöhung um 2500 % überhaupt legal?
4. Was kann man gegen eine solche Ungerechtigkeit tun?
5. Was bewahrt einen stets strebsamen und arbeitswilligen, aber von Krankheit gebeutelten Bürger, vorm Abstieg in Harz IV und Verlust seines Eigenheims? Nehmen Sie mir bitte meine Ausdrucksweise nicht übel, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten und hoffe sehr dass Sie meinen Unmut und meine Ängste verstehen aber so sehen die Fakten leider aus.
Mit freundlichen Grüße
Martina Wilhelm
Sehr geehrte Frau Wilhelm,
gern nehme ich zu dem von Ihnen geschilderten Problem der höheren Besteuerung von Erwerbsminderungsrenten und der damit verbundenen steuerlichen Mehrbelastung Stellung:
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass ab dem Jahr 2005 Renten und Pensionen nicht mehr unterschiedlich besteuert werden dürfen, da diese Ungleichbehandlung nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Pensionen, die schon seit jeher besteuert werden, dürfen nicht schlechter gestellt sein als Renten. Wir als Gesetzgeber mussten daher tätig werden. Bis zur Gesetzesänderung war es so, dass Rentenbeiträge in der Ansparzeit nur zum Teil von der Steuer abgezogen werden konnten, während die Rente, die nach Ende des Arbeitslebens ausgezahlt wurde, dann ebenfalls nur zu einem Teil versteuert werden musste. Dieses traf auch auf die Erwerbsunfähigkeitsrenten zu.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zwang uns, einen Wechsel in der Besteuerung vorzunehmen. Renten werden nun schrittweise nicht mehr während der Ansparzeit besteuert, sondern während der Auszahlungszeit. Seit 2005 läuft diese langsame Umstellung auf die sogenannte nachgelagerte Besteuerung der Renten. Altersrenten und Erwerbsminderungsrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung müssen seit 2005 mit dem Besteuerungsanteil statt wie bisher mit dem Ertragswert versteuert werden, dieser Anteil liegt ab 2005 bei 50 %. Erwerbsminderungsrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die bisher bis zur Erreichung der Altersrente nur mit einem Zeitwert besteuert wurden, können aufgrund des Verfassungsgerichtsurteils, das die steuerliche Besserstellung von Renten gegenüber Pensionen verbietet, nicht von der nachgelagerten Besteuerung ausgenommen werden. Ausschlaggebend für die Höhe des Besteuerungsanteils war ausschließlich die Vorgabe des Verfassungsgerichts, eine Doppelbesteuerung von Altersrenten zu vermeiden. Und das betrifft leider nur den Rentenanteil für Beiträge, die nicht bei den Sonderausgaben abgezogen werden konnten. Deshalb waren die 50 % auch der für uns mögliche niedrigste Satz, der erst in 40 Jahren zur vollen Höhe aufwächst.
Dass das in Einzelfällen, wenn neben der Erwerbsminderungsrente noch weitere Einkünfte wie die des Ehepartners bestehen, zu deutlichen finanziellen Verschlechterungen führen kann, hat die Verfassungsrichter nicht davon abgehalten, das Urteil so zu fassen, dass für Erwerbsminderungsrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung keine Ausnahmen möglich sind.
Bezieher von Erwerbsminderungsrenten haben wie die Bezieher von Altersrenten in der Erwerbsphase zum großen Teil Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung aus unversteuertem Einkommen geleistet. Die Beiträge der Arbeitgeber stammen sowieso aus unversteuertem Geld. Ein niedrigerer Besteuerungsanteil wäre nur gerechtfertigt, wenn die Bezieher von Erwerbsminderungsrenten in höherem Umfang Beitragszahlungen aus bereits versteuertem Einkommen geleistet hätten. Das ist aber nicht der Fall.
Das kann für Sie alles nur wenig befriedigend sein, aber erklärt Ihnen, wie die von Ihnen deutlich spürbare Mehrbelastung zustande gekommen ist.
Vielleicht helfen Ihnen diese beiden Möglichkeiten weiter: Eventuell entstehende und vor kurzem entstandene Krankheitskosten können unter Umständen auf andere Weise steuerlich berücksichtigt werden.
1. Vom Steuerpflichtigen selbst getragene Aufwendungen für Krankheit und Behinderung können nach § 33 Einkommenssteuergesetz als außergewöhnliche Belastungen steuerlich berücksichtigt werden. Das kann allerdings erst nach Abzug einer zumutbaren Eigenbelastung erfolgen. Diese liegt je nach Einkommen zwischen 1 und 7 % des Gesamtbetrages der Einkünfte.
2. Wegen außergewöhnlicher Belastungen, die einem behinderten Menschen unmittelbar infolge seiner Behinderung erwachsen, kann an Stelle einer Steuerermäßigung nach § 33 EStG ein Behinderten-Pauschbetrag nach § 33 b EStG gewährt werden. Dies ist allerdings von der Art und dem Grad der Behinderung abhängig.
Ich weiß nicht, ob eine der beiden Möglichkeiten für Sie in Frage kommt, aber eine Prüfung wäre es sicher wert.
Ich hoffe, dass ich Ihnen den Grund für die von Ihnen als Ungerechtigkeit empfundene steuerliche Mehrbelastung im Zuge der Umstellung auf die nachgelagerte Besteuerung deutlich machen konnte. Ich bin auch keineswegs glücklich damit, dass das Alterseinkünftegesetz für Bezieher von Erwerbsminderungsrenten zu steuerlichen Mehrbelastungen geführt hat. Die Vorgaben der Verfassungsrichter in dieser Sache waren aber so eindeutig, dass uns keine andere Wahl blieb, als sie auf diese Weise umzusetzen. Wir haben mit dem über 40 Jahre gestreckten langsamen Wechsel zur nachgelagerten Besteuerung bis 100 % den gesamten Spielraum, den uns das Urteil gelassen hat ausgenutzt, um soziale Härten zu vermeiden. Aber ganz konnten wir es in diesem Falle nicht tun, so gern ich selbst es getan hätte.
Mit freundlichen Grüßen
Lydia Westrich