Frage an Lothar Mark von Sebastian H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Mark,
mich würde interessieren, wie Sie als Bundestagsabgeordneter die Geschehnisse im Zusammenhang mit dem kurzfristigen Verbot der Anti-Islamisierungskongress in Köln einordnen.
Konkret interessiert mich Ihre Einschätzung der Tatsache, dass die Exekutive in Köln nicht in der Lage war, die Rechte der Kongressteilnehmer auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit durchzusetzen.
Mit freundlichen Grüßen,
Sebastian Hild
Sehr geehrter Herr Hild,
ich bedanke mich für Ihre Anfrage vom 22.09.2008 zum kurzfristigen Verbot des sogenannten „Anti-Islamisierungskongresses“ in Köln durch die Polizei.
Es freut mich, dass Sie das Verhalten der Exekutive im Hinblick auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit so aufmerksam verfolgen. Diese in Artikel 5 und 8 des Grundgesetzes verankerten Grundrechte bilden ohne Zweifel die Basis unserer Demokratie. Nicht zuletzt deshalb verdienen Meinungs- und Versammlungsfreiheit einen besonderen Schutz. Dies ist nicht nur Aufgabe der Legislative, Exekutive und Judikative, sondern auch Aufgabe der Bürgerinnen und Bürger. Nicht zuletzt garantiert ihre Bereitschaft, sich für die demokratischen Werte stark zu machen, den Erhalt der Grundrechte.
Im Fall des von Ihnen angesprochenen Verbotes des „Anti-Islamisierungskongresses“ in Köln handelte die Kölner Polizei aufgrund eines polizeilichen Notstandes. Das bedeutet, dass sich die Kölner Sicherheitskräfte nicht in der Lage sahen, das Grundrecht der Kongressteilnehmer auf Versammlungsfreiheit durchzusetzen und sie gleichzeitig gegen Störungen und Ausschreitungen Dritter, also der Gegendemonstranten, zu schützen.
Einen solchen polizeilichen Notstand gilt es meines Erachtens zunächst immer kritisch zu beobachten. Notstandregelungen, mit denen der Staat Grundrechte einschränken darf, gelten nicht nur für eine Gruppe von Bürgern sondern immer für alle Bürger. Was zu einem Zeitpunkt auf eine politische Gruppe angewendet wird, kann zu einem anderen Zeitpunkt auf eine andere oder verschiedene Gruppen angewendet werden und damit die Freiheitsrechte der Bürger insgesamt beschränken.
Vor dem historischen Hintergrund der nationalsozialistischen Diktatur, die die Aushebelung des demokratischen Rechtsstaates der Weimarer Republik unter anderem durch staatliche Notstandsverordnungen rechtfertigte, ist meinem Empfinden nach gerade in Deutschland eine besondere Wachsamkeit hinsichtlich legaler Notstandsregelungen geboten. Wenn Grundrechte anhand eines polizeilichen oder legalen Notstandes eingeschränkt werden, sollte deshalb immer die folgende Frage im Vordergrund stehen: War die Einschränkung der Grundrechte notwendig, verhältnismäßig und der Situation angemessen?
Bei dem Verbot des „Anti-Islamisierungskongresses“ scheint mir dies der Fall gewesen zu sein. Angesichts mehrerer zehntausend friedlicher Gegendemonstranten, die Verkehrswege und Versammlungsorte, wie die Deuzer Brücke, Anlegeplätze für die Personen-Schifffahrt auf dem Rhein, den Flughafen sowie den Kölner Bahnhof blockierten, war die Sicherheit der wenigen hundert Kongressteilnehmer von Seiten der Polizei nicht zu gewährleisten. Die Durchsetzung der Grundrechte der Kongressteilnehmer wäre mit einem überproportional hohen Maß an Gewalt gegenüber den zumeist friedlichen Gegendemonstranten verbunden gewesen. Das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit wurde daher im Sinne der rechtsstaatlichen Ordnung dem Prinzip der Gewaltfreiheit und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung unterstellt und der Kongress wurde kurzfristig durch die Polizei verboten. Mit den zuvor erfolgten ca. 500 Verhaftungen von zumeist gewaltbereiten Kongressgegnern demonstrierte die Kölner Polizei darüber hinaus, dass sie einerseits gewillt war, die Grundrechte der Kongressteilnehmerinnen und -teilnehmer durchzusetzen und unterstrich andererseits, dass Gewalt in einer demokratischen Gesellschaft keine Antwort auf rechtsradikale Meinungsäußerungen sein darf.
Aus dieser Perspektive betrachtet ist das Verbot des „Anti-Islamisierungskongresses“ meines Erachtens sowohl Indiz eines funktionierenden Rechtsstaates als auch Zeichen einer lebendigen demokratischen Zivilgesellschaft. Ein Kongress von Menschen mehr oder minder rechtsradikaler und undemokratischer Gesinnung wurde nicht von Seiten des Staates im Vorfeld verboten, sondern durch die Mitglieder einer wachsamen und wehrhaften Zivilgesellschaft verhindert. Dies kann ich nur begrüßen.
Ich hoffe, ich konnte damit Ihrer Bitte nach Stellungnahme nachkommen und verbleibe mit freundlichen Grüßen.
Lothar Mark