Frage an Lothar Mark von Thomas P. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Mark,
leider entspricht
Ihre Antwort an Herrn Rüdiger Schöning vom 29.05.2008 nicht den Tatsachen. Da ich keinen Grund habe, Ihnen zu misstrauen, gehe ich davon aus, dass auch Sie vom BMFSFJ hinsichtlich des Sachverhaltes getäuscht wurden.
Bei aller persönlicher Betroffenheit haben die Petenten beim Europäischen Parlament durchaus schlüssig auf systematische Menschenrechtsverletzungen durch deutsche Jugendämter hingewiesen, die durch schwerwigende Lücken im deutschen Gesetzeswerk verursacht werden.
Lassen Sie mich stellvertretend für die zahlreichen Gesetzeslücken Folgendes ausführen:
- Nach § 49a FGG hört das Familiengericht das Jugendamt vor einer Entscheidung an.
- Nach Aussage zahlreicher Richter, aber auch nach den neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamtes folgen die Gerichte zu etwa 90 % den Empfehlungen des Jugendamtes.
- Allerdings können Jugendamtsmitarbeiter nicht nach § 153 StGB für uneidliche Falschaussagen bestraft werden, da sie weder Zeugen noch Sachverständige sind. Einige Gerichte (so z.B. das AG Bad Schwalbach) vertreten gar die Auffassung, die Jugendämter seien nicht an die prozessuale Wahrheitspflicht aus § 138 ZPO gebunden.
Fassen wir zusammen: Im familiengerichtlichen Verfahren ist eine Behörde zwingend anzuhören, deren Mitarbeiter straffrei das Blaue vom Himmel lügen können. Das ist eine einmalige Situation im deutschen Rechtssystem. Sie verstößt nicht nur gegen das Willkürverbot aus Art. 3 GG, sondern auch gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren aus Art. 6 EMRK.
Die vollständige Aufzählung der Unzulänglichkeiten im deutschen Familienrecht würde den Rahmen dieses Portals sprengen. Nicht umsonst wurde Deutschland wiederholt vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt.
Beabsichtigt Ihre Partei, diese Menschenrechtsverletzungen abzustellen, und mit welchen Mitteln wollen Sie der Erosion des deutschen Rechtsstaates gerade im Familienrecht Einhalt gebieten?
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Porombka
Sehr geehrter Herr Porombka,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 09. Juni 2008, in der Sie sich auf mein Antwortschreiben vom 29. Mai 2008 an Herrn Schöning zum Thema Jugendämter beziehen.
Ich weiß nicht, wie Sie zu dem Vorwurf des Täuschungsversuchs durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) kommen und habe keinerlei Grund, den Aussagen des Ministeriums zu misstrauen. Auch halte ich Ihre Vorwürfe gegenüber Jugendamtsmitarbeitern für unberechtigt, nicht nur, weil Sie damit den Gerichten sämtliches Urteilsvermögen absprechen, sondern auch die reale Situation der Jugendamtsmitarbeiter verkennen. Der Beruf ist mit hoher Verantwortung und erheblichem Druck verbunden, denn die Jugendämter stehen bei der Wahrnehmung ihres „staatlichen Wächteramtes“ in dem nicht auflösbaren Spagat zwischen Kindeswohl und Elternrecht.
Wie die Behörden vor Ort arbeiten, können wir als Bundesgesetzgeber nicht beeinflussen bzw. bewerten. So viel kann ich Ihnen jedoch versichern: Der Staat gibt strenge Richtlinien vor, wann und inwiefern in das Elternrecht eingegriffen werden kann. So ist die offensichtliche Gefährdung des Kindeswohls Voraussetzung, um von staatlicher Seite aus handeln zu können. Darüber hinaus muss ein Familiengericht den Antrag bewilligen, der vom Jugendamt zusammen mit einer Beurteilung des Falls eingereicht wird, bevor überhaupt etwas unternommen werden kann.
Gerade auch hinsichtlich dieser Gesetzeslage ist es äußerst unrealistisch, sich vorzustellen, dass die Mitarbeiter von Jugendämtern „straffrei das Blaue vom Himmel lügen“ könnten.
Auf kommunaler Ebene muss alles dafür getan werden, damit die Mitarbeiter der Jugendämter ihrer hohen Verantwortung gerecht werden können und nicht zu hoher Belastung ausgesetzt werden. Ausreichendes und gut geschultes Personal vor Ort sowie eine klare Regelung der Verfahrensabläufe in den Behörden sind unabdingbar. Hier sieht die Regierung Verbesserungsbedarf und fördert derzeit ein Modellprojekt, das es sich zur Aufgabe macht, Handreichungen für die Beratungspraxis und die Familiengerichtsbarkeit zu entwickeln.
Mit freundlichen Grüßen
Lothar Mark