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Lothar Ibrügger
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Frage von Annika L. •

Frage an Lothar Ibrügger von Annika L. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Ibrügger,

da sie Mitglied des parlamentarischen Ausschusses „Angelegenheiten der Europäischen Union“ sind und meinen Wahlkreis vertreten, interessiert mich ihre persönliche Meinung zur aktuellen Kontroverse über den Lissabonner Vertrag bzw. die zukünftige Gestaltung der EU. Daher möchte ich Sie bitten, die folgenden zwei Fragen zu beantworten.

Ihre Partei fordert einen Ausbau der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und spricht sich sogar im aktuellen Wahlmanifest zur EU-Wahl für die Einrichtung gemeinsamer europäischer Streitkräfte aus.
Der Lisabonner Vertrag wurde jedoch bereits aufgrund der Artikel 222 („Möglichkeit eines, u.U. auch präventiven Militäreinsatzes im Innern der EU“), Artikel 42 („Möglichkeit von Kampfeinsätzen im "Dienste der Interessen" der EU, zu denen insbesondere auch wirtschaftliche Interessen zählen“) und Artikel 43 („Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Verbesserung ihrer militärischen Fähigkeiten“ ), die einen engere militärische Kooperation implizieren, kritisiert .
Wie ist ihre persönliche Meinung diesbezüglich, sollte die EU um eine gemeinsame militärische Komponente ergänzt werden? Welche Argumente sprechen für oder gegen die Notwendigkeit europäischer Streitkräfte?

Wie beurteilen Sie die demokratische Struktur der Europäischen Union, insbesondere die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Parlamenten und den EU-Institutionen? Halten Sie eine Stärkung der nationalen Parlamente für sinnvoll oder sollten Entscheidungen vielmehr auf supranationaler Ebene gefällt werden, um die Handlungsfähigkeit der EU zu erhöhen?

Mit freundlichen Grüßen,
Annika Lasarzik

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Lasarzik,

1. Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik bleiben auch im Vertrag von Lissabon nationalstaatliche Verantwortlichkeiten. Die Mitgliedsländer verpflichten sich jedoch, ihre nationalen Politiken zu koordinieren und auf europäischer Ebene zu harmonisieren. Rechtsakte der Europäischen Union erfordern auch weiterhin Einstimmigkeit im Ministerrat.
Die SPD setzt sich für einen Ausbau der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) ein. Dabei sollen insbesondere die zivilen Aufgabenfelder gestärkt werden. Ob dabei am Ende eine Europäische Armee steht, wird erst die Zukunft zeigen.
Europa ist seit dem Ende des 2. Weltkrieges durch eine Vielfalt historisch gewachsener außen- und sicherheitspolitischer Entwicklungen gekennzeichnet. Die Sicherheitspolitik einzelner Mitgliedsländer, insbesondere der über Nuklearwaffen verfügenden Länder Frankreich und Großbritannien, weisen wesentliche Unterschiede zum Beispiel auch bei Fragen der Wehrpflicht auf.
Eine europäische Armee könnte zur Erhaltung und Stabilisierung des Friedens beitragen. Es gibt keine spezifischen deutschen oder französischen Sicherheitslagen oder Bedrohungen mehr. Gefahren, wie der internationale Terrorismus, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und Gefahren, die sich aus der organisierten Kriminalität ergeben, bedrohen nicht mehr nur ein einzelnes Land in Europa.
Mit einer Europäischen Armee könnten Kosten gesenkt und nationale Haushalte durch Arbeits- und Aufgabenteilung entlastet werden. Die NATO bewältigt allerdings bereits seit langem wichtige Koordinationsaufgaben. Diese bewährte Zusammenarbeit sollte weiterhin gelten, da eine transatlantische Verklammerung der Friedens- und Sicherheitspolitik mit den USA zwingend ist.

2. Die Übertragung nationaler Zuständigkeiten an die Europäische Union ist der Kern der europäischen Integration. Schon mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) im Jahr 1951 übertrugen sechs Gründungsstaaten die Kompetenz der Zollpolitik für die Güter Kohle und Stahl an eine ihnen übergeordnete Behörde. Das Ziel war damals wie heute, einen gemeinsamen europäischen Markt zu schaffen, Vertrauen durch Zusammenarbeit zu stiften und infolgedessen Frieden und Wohlstand in Europa zu fördern.
Innerhalb Europas wirken die Nationalstaaten durch den (Minister)Rat an gemeinschaftlichen Entscheidungen mit. Die Subsidiarität der einzelnen Staaten und der EU muss im Zusammenhang mit den jeweiligen Regelungsinhalten gesehen werden.
In der Bundesrepublik Deutschland haben der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen Union (BBV) geschlossen. Dadurch sind erhebliche Fortschritte bei der Beteiligung des Deutschen Bundestages in EU-Angelegenheiten erzielt worden. Relevante Entwicklungen werden dem Bundestag in so genannten Drahtberichten übermittelt. Für eine umfassende Berichterstattung hinsichtlich einzelner Sitzungen ist die Zusammenarbeit weiter voranzutreiben. Hierbei muss jedoch eine Balance zwischen dem Unterrichtungsbedürfnis des Deutschen Bundestages und der Praktikabilität im Vordergrund stehen.
Mit dem Vertrag von Lissabon erhalten die nationalen Parlamente mehr Einwirkungsmöglichkeiten. Mit einer Subsidiaritätsrüge kann die Regelungskompetenz der Europäischen Union zu Beginn eines Gesetzgebungsprozesses kritisch überprüft werden. Nach Abschluss eines Gesetzgebungsprozesses können nationale Parlamente gegen die Missachtung der Subsidiarität vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) klagen.

Mit herzlichem Gruß

Ihr Lothar Ibrügger