Frage an Lisa Paus von Frank G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Hallo Frau Paus,
ich würde gerne wissen, wie Sie garantieren können, dass Sie die Wähler, die Sie persönlich gewählt haben, noch richtig vertreten, wenn Sie am Ende der Abstimmung doch nur das sagen, was die Parteispitze Ihnen vorgegeben hat.
Viele Grüße
Frank Geilenkirchen, 24 Jahre
Die Frage wurde gestellt im Rahmen der Aktion duhastdiemacht.de, die u.a. von der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung, dem Jugendportal des Deutschen Bundestags "Mitmischen.de" und dem Förderprogramm der Europäischen Union "JUGEND IN AKTION" unterstützt wird. duhastdiemacht.de will das demokratisches Bewusstsein bei Jugendlichen fördern und ihre Bereitschaft zum Engagement stärken. Gefördert wird das Portal von der Robert Bosch-Stiftung.
Lieber Frank Geilenkirchen,
vielen Dank für Ihre Mail. Ihre Frage enthält schon ein kleines Stück der Antwort. Sie schreiben "…wenn Sie am ENDE der Abstimmung doch nur das sagen, was die Parteispitze Ihnen vorgegeben hat." Es ist nämlich wirklich so, dass bei vielen Fragen, Gesetzesentwürfen und Anträgen nicht von Anfang an feststeht, wie meine Fraktion und ich am Ende abstimmen werden. Bis zur endgültigen Abstimmung eines Gesetzes oder Antrags im Bundestag findet, häufig unbeachtet von der Öffentlichkeit, ein längerer Meinungsbildungsprozess innerhalb des Parlaments statt.
Wenn ein neues Thema auftaucht oder ein neues Gesetz in den Bundestag eingebracht wird, dann diskutieren wir im Parlament darüber. Öffentlich sieht man das in der ersten Lesung von Gesetzen in den Plenardebatten. Die Rednerinnen und Redner der unterschiedlichen Fraktionen tragen in diesen Reden meistens Grundpositionen vor. Dann beginnt die eigentliche Fachdebatte und Positionsbildung. Die findet in den Gremien der Fraktionen statt und in den Ausschüssen des Bundestags. Wenn in den Ausschüssen öffentliche Anhörungen organisiert werden, kann jede und jeder vorbeikommen und mitanhören, wie wir im Parlament mit Experten und Verbandsvertreter die Details von Gesetzen unter die Lupe nehmen. Dann werden Änderungsanträge von den zuständigen Abgeordneten der Fraktionen formuliert, die mit den anderen Fraktionsmitgliedern abgesprochen werden. Erst dann kommt es zur Schlussabstimmung im Parlament.
Ich will Ihnen den Prozess gern an einem Beispiel beschreiben, damit es etwas anschaulicher wird: Ich bin Mitglied im Finanzausschuss und somit für bestimmte Themen zuständig, wie das Steuervereinfachungsgesetz. Das bedeutet, dass es meine Aufgabe war, für meine Fraktion eine Position zu diesem Gesetz zu entwickeln. Ich habe den Gesetzentwurf geprüft und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass der Gesetzentwurf nicht hält, was er verspricht und man Änderungsanträge machen sollte. In der Arbeitsgruppe Finanzen, in der sich alle grünen Abgeordneten aus dem Finanzausschuss zusammenfinden, habe ich meine Position und die Entwürfe für Änderungen diskutiert und mit meinen Kollegen abgestimmt. Dann habe ich meine Position mit dem nächst größeren Gremium, dem Arbeitskreis Wirtschaft und Finanzen, abgesprochen. Dabei wurden meine Änderungsanträge von anderen Abgeordneten hinterfragt, überarbeitet und ergänzt. Danach wurden sie von der Fraktion beschlossen. Nach außen vertreten jetzt alle grünen Abgeordneten die maßgeblich von mir erarbeitete Position. Es ist also nicht der Vorstand, der hier die Linie vorgegeben hat, sondern es sind oft die Fachpolitikerinnen und –politiker, deren Positionen von den anderen Abgeordneten hinterfragt, diskutiert und dann mitgetragen werden.
Anders verhält es sich bei Fragen, die über bestimmte Fachgebiete hinaus gehen. So sind zum Beispiel Bundeswehreinsätze bei uns Grünen immer schon stark umstritten gewesen. Es stimmt, dass hier von den Fachpolitikern des Verteidigungsausschusses in Zusammenarbeit mit dem Vorstand auch Empfehlungen ausgesprochen werden und versucht wird, ein einheitliches Abstimmungsergebnis der Fraktion herbeizuführen. Doch ich persönlich lege Wert darauf, bei solch schwerwiegenden Entscheidungen frei nach meinem Gewissen abzustimmen. Daher bin ich zwar bereit, über viele Themen zu diskutieren, bestehe aber auf meinem Recht, im Zweifel nach meinem Gewissen und gegen die Mehrheitsmeinung meiner Fraktion zu entscheiden. Daher habe ich beispielsweise gegen die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan gestimmt und mich bei dem Rettungspaket für Griechenland enthalten.
Es gibt außerdem die Möglichkeit, bei hochumstrittenen Fragen einen Parteitag einzuberufen, auf dem die Parteimitglieder darüber abstimmen, wie wir Abgeordnete uns zu einer bestimmten Frage verhalten sollen. Das haben wir Grüne zum Beispiel anlässlich des schwarz-gelben Atomausstiegs gemacht. Unser Parteitag im Juni hat nach langer Debatte mit großer Mehrheit entschieden, dass wir Abgeordnete dem Ausstieg zustimmen sollen. An diesen Auftrag habe ich mich gehalten.
Wenn Sie Interesse haben, sich diese Prozesse aus der Nähe anzuschauen, können Sie sich gern mal zu einem Besuch im Bundestag anmelden. Hinweise dazu finden Sie zum Beispiel auf meiner Homepage ww.lisa-paus.de.
Ich hoffe, ich konnte Ihre Frage zufriedenstellend beantworten.
Herzliche Grüße
Lisa Paus