Hallo Herr Oehl, wieso haben Sie im Bundestag FÜR die Mehrwertsteuersenkung auf Gas gestimmt, den Antrag auf eine Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel aber ABGELEHNT?
JUSO-Vorsitzende Jessica Rosenthal hatte im Mai selbst die eine vollständige Streichung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel gefordert. Man sollte, besonders als Studierender oder Rentner, mit geringem Einkommen und Vermögen nicht zwei mal überlegen müssen, ob man sich die Butter leisten kann. Bitte erläutern Sie Ihre Entscheidung.
Sehr geehrter Herr E.,
vielen Dank für Ihre Frage zum Thema Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel.
Seit dem Beginn des verbrecherischen Krieges, den Russland gegen die Ukraine führt, haben sich die Preise für viele Güter erheblich verteuert. Das ist insbesondere bei Energie der Fall, weil das Angebot durch die fehlenden russischen Energielieferungen stark eingebrochen ist. Der russische Präsident Putin benutzt Energie als Waffe. Das treibt die Inflation an. Im September 2022 lag die Inflationsrate in Deutschland bei 10%. Bei einer isolierten Betrachtung von Haushaltsenergie wird deutlich, dass die Preise hier im Vergleich zum Vorjahresmonat durchschnittlich sogar um 51,8% gestiegen sind.
Die Ampel-Koalition hat unter Führung der SPD zur Kompensation dieser außergewöhnlichen Belastungen für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen in Deutschland bereits zwei umfangreiche Entlastungspakete beschlossen und ein Drittes ist auf dem Weg. Diese drei Pakete sorgen für Entlastungen im Wert von etwa 95 Milliarden Euro.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben eine Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro erhalten. Nun folgen Rentnerinnen und Rentner und Studierende. Familien werden durch einen Anstieg von Kindergeld und Kinderfreibetrag sowie durch einen Kinderbonus entlastet. Für Familien mit geringen Einkommen steigt zielgerichtet der Kinderzuschlag, außerdem erhalten diese den Kindersofortzuschlag.
Besonders stark belastete Mieterinnen und Mieter werden über Heizkostenzuschüsse unterstützt. Hier ist ein Zuschuss beschlossen und ein Zweiter wird folgen. Außerdem ist eine umfassende Reform des Wohngeldes in Planung. Das Wohngeld wird ausgeweitet, damit das Dach über dem Kopf nicht gefährdet wird.
Hinzu kommen weitere Maßnahmen, wie die Entfristung und Verbesserung der Home-Office Pauschale. Das entlastet auch Familien mit kleineren Wohnungen, die kein extra Arbeitszimmer absetzen können. Im Bereich ÖPNV gab es jetzt die Einigung der Verkehrsministerinnen und Verkehrsminister in Bund und Ländern auf ein Klimaticket für 49 Euro. Für viele Pendlerinnen und Pendler wäre das eine spürbare Entlastung und fördert weiter klimafreundliche Mobilität.
Darüber hinaus werden wir einen Abwehrschirm für Bürgerinnen und Bürger sowie Betriebe aufspannen. Die Bundesregierung hat dazu Vorschläge gemacht, die wir zeitnah im Bundestag beraten werden. Mit insgesamt 200 Milliarden Euro sollen die steigenden Energiekosten für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Betriebe weiter abgefangen werden.
Dazu gehören eine Strom- und eine Gaspreisbremse, die jeweils den Grundbedarf bezuschussen und somit zusätzlich für Sparanreize sorgen. Außerdem werden Regelungen geschaffen, die eine Strom- und Gassperre verhindern, wenn Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Rechnungen nicht zahlen können.
Zu den Entlastungsmaßnahmen gehört auch die angesprochene Senkung der Umsatzsteuer auf Erdgas von 19% auf 7%. In einer Sondersitzung des Finanzausschusses haben wir in der Ampel-Koalition die Fernwärme ebenfalls mit reingenommen, um noch mehr private Haushalte und Betriebe bei den Energiekosten zu entlasten. Wie zu Beginn erwähnt, sind die Energiekosten der stärkste Treiber der Inflation in Deutschland. Daher ist es sinnvoll besonders an dieser Stellschraube zu drehen. Die hohen Gaspreise sind nicht nur für private Haushalte, sondern auch für Industriebetriebe ein großes Problem. Es steht der Fortbestand von Unternehmen und Arbeitsplätzen auf dem Spiel. Ein sicherer Arbeitsplatz mit einem guten Einkommen ist die beste Antwort auf hohe Inflationsraten.
Wieso finde ich eine Umsatzsteuersenkung auf Erdgas und Fernwärme sinnvoll, aber die vorgeschlagene Maßnahme der Linksfraktion einer Mehrwertsteuersenkung auf Grundnahrungsmittel nicht? Die Mehrwertsteuer auf Nahrungsmittel ist ein Flickenteppich. Darin finden sich diverse Ausnahmen, die häufig nur noch aus der Historie verständlich sind. In meine Rede habe ich es angedeutet: Da lassen sich beliebig viele heitere Beispiele finden, die das verdeutlichen. Ich bin für eine grundlegende Reform der Mehrwertsteuer auf Nahrungsmittel. Aber das lässt sich nicht kurzfristig umsetzen. Deshalb ist der Vorschlag nicht als kurzfristige Entlastungsmaßnahme geeignet, da dies in eine grundlegende Reform eingebettet sein sollte.
Ein anderes Problem bei diesem Vorschlag ist die Abgrenzung der betroffenen Nahrungsmittel. Was ist Grundnahrungsmittel und wird begünstigt? Ein Update der Definition war auch Teil des Antrags der Linksfraktion. Allerdings ist meine Vermutung, dass sich auch nach solch einem Update Bürgerinnen und Bürger sowie Verbände melden würden, die mit dieser Liste der Grundnahrungsmittel nicht zufrieden wären. So würden auch danach Forderungen nach weiteren Steuersenkungen auf Nahrungsmittel bestehen, die in der Liste vergessen wurden. Bei Gas und Fernwärme ist die Lage anders, dort gibt es diese Abgrenzungsschwierigkeiten nicht.
Selbstverständlich sehe ich die teils hohen Preissteigerungen bei Nahrungsmitteln mit großer Sorge. Und ich bin der Meinung, dass der Staat Bürgerinnen und Bürger deshalb finanziell unterstützen sollte. Dies geschieht auch mit Hilfe der oben aufgeführten Maßnahmen, zu denen noch weitere gehören, die hier aus Platzgründen nicht erwähnt wurden.
Ich hoffe, dass Ihnen meine Ausführungen etwas weiterhelfen konnten.
Mit freundlichen Grüßen
Lennard Oehl