Frage an Lars Lindemann von Hermann C. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Lindemann,
sind Sie persönlich der Meinung, dass in den sehr schroffen Schuldzuweisungen Ihres Vorsitzenden gegen Empfänger von Transfer-Leistungen ausreichend berücksichtigt ist, dass es in den Gegenden, in denen ausreichend Arbeitsplätze angeboten werden, die Anzahl der Leistungsempfänger sehr gering ist?
Und welchen Vorwurf würden Sie persönlich mir machen, der fast 63 Jahre alt ist, seit 2005 arbeitslos ist, noch kein eintiges Mal weder einen wie auch immer gearteten Vermittlungs-Impuls des zuständigen Job-Centers erfahren hat, noch in den letzten einnen persönlichen "Betreuer" oder Fall-Manager des Job-Centers kennenlernen durfte? Gehöre ich auch zu der Zielgruppe, die jetzt moralisch in die Schuld-Ecke getrieben wird?
Fänden Sie es verständlich, wenn sich jemand, der ca. 35 Jahre lang erfolgreich seine Arbeit gemacht hat, das öffentlich, rechtliche Gesellschaftssystem unterstützt hat, der brav seine Steuern und Beiträge zu den Sozialkassen gezahlt hat, Lehrlinge ausgebildet hat etc. etc. irgendwie unterschiedlich zu jemandem bewertet fühlen möchte, der dem Staat und der Allgemeinheit noch nie oder Nichts hat zukommen lassen?
Für eine Antwort bin ich Ihnen sehr dankbar!
Mit freundlichen Grüßen
Hermann Christiansen
Sehr geehrter Herr Christiansen,
ich danke Ihnen für Ihre E-Mail und bitte um Verständnis für die verspätete Antwort auf Ihre Fragen.
Ihr Unmut ist in Ihrem Einzelfall für mich verständlich, jedoch vertrete ich die Position, dass die Diskussion über unseren Sozialstaat längst überfällig war.
Aus unserer Sicht ist es selbstverständlich, dass es eine staatliche Absicherung des Existenzminimums geben muss. Sie ist für die soziale Gerechtigkeit, für den Zusammenhalt einer Gesellschaft und insbesondere für die Freiheit des Einzelnen unverzichtbar. Denn jeder kann unverschuldet in eine Situation geraten, in der er ohne Unterstützung nicht mehr weiter kommt. Hier ist Hilfe notwendig, in Form von finanzieller Unterstützung und auch mehr. Ziel muss es aber immer sein, allen Bürgern ein selbstbestimmtes Leben und eigenverantwortliches Handeln zu ermöglichen, damit sie wieder auf eigenen Beinen stehen und an der Gesellschaft teilhaben können. Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 zu einem menschenwürdigen Existenzminimum und gesellschaftlicher Teilhabe bestätigen uns in dieser Haltung.
Die bestmögliche Balance zwischen einer Absicherung in Notsituationen und der Integration in Arbeit zu finden, ist vornehmliches Ziel liberaler Sozialpolitik. Dabei dürfen wir aber auch das Verhältnis zwischen den Leistungsempfängern und denjenigen, die diese Leistungen erbringen, nicht aus den Augen verlieren. Das Geld, welches der Staat für soziale Leistungen ausgibt, müssen die Bürger durch Steuern bezahlen. Ein effizientes Sozialsystem muss sich deshalb an dem Grundsatz orientieren, dass derjenige, der arbeitet, mehr haben muss als derjenige, der nicht arbeitet.
Zweifellos gibt es in der Bundesrepublik Deutschland regionale Unterschiede bezüglich der Anzahl der Leistungsempfänger von Sozialleistungen.
Wir bekämpfen die Ursachen der Arbeitslosigkeit, indem wir die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessern und auf eine wachstumsorientierte Beschäftigungspolitik setzen.
Dazu wollen wir die Steuern und Abgaben senken, den Jobmotor Mittelstand entlasten, die Lohnnebenkosten stabil halten und mehr Geld für Bildung und Forschung ausgeben. Mit Mini-Jobs, Zeitarbeit und Teilzeit sorgen wir für einen Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt. Wir vertrauen den Arbeitnehmern und Arbeitgebern, weswegen wir die Tarifautonomie stärken. Löhne sollen von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden ausgehandelt und nicht vom Staat als gesetzlicher Mindestlohn vorgegeben werden.
Unser Ziel ist es, arbeitslose Menschen in Beschäftigung zu bringen. Diese Aufgabe nehmen wir sehr ernst. Wir werden bis Ende des Jahres eine Nachfolgelösung für die Jobcenter in Kraft setzen. Das Bundesverfassungsgericht hatte die bestehende Mischverwaltung zwischen Kommunen und Bundesagentur für Arbeit bereits 2007 für verfassungswidrig erklärt: ein weiterer schwerwiegender Fehler der rot-grünen Bundesregierung, den die letzte Bundesregierung nicht behoben hat. Wir wollen dafür sorgen, dass die Jobcenter ihre Aufgaben fortführen können, und es möglichst vielen Kommunen ermöglichen, die Betreuung der Langzeitarbeitslosen in eigener Regie zu übernehmen.
Ich wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute!
Mit freundlichen Grüßen
Lars F. Lindemann