Frage an Lars Dietrich von Marie E. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dietrich,
ich verfolge seit einiger Zeit die Diskussion um das Feierabend-Parlament in den Medien. Hamburg ist das einzige Bundesland mit einem solchen Parlament.
Sind sie dafür oder dagegen?
Nennen Sie bitte Gründe!
Vielen Dank und mit freundlichen Grüßen,
Marie Erdmann
Sehr geehrte Frau Erdmann,
vielen Dank für Ihre Frage. Damit schneiden Sie eine alle Jahre wiederkehrende Diskussion der Hamburger Politik an. In der Tat ist das „Feierabendparlament“ bzw. das Teilzeitparlament eine „Hamburgensie“. Es unterscheidet sich von anderen Landesparlamenten durch die Verlagerung aller Sitzungen in die Nachmittags- und Abendstunden (15.00 Uhr bzw.16.00 Uhr bis manchmal 22.00 Uhr), so dass ein Abgeordneter neben seinen spezifischen parlamentarischen Tätigkeiten auch einem Beruf nachgehen kann.
Mein Standpunkt in dieser Diskussion, ob Teilzeitparlament oder Vollzeitparlament ist durchaus ambivalent: Zum einen besitzt ein Teilzeitparlament den Vorzug, dass die Ausübung des Mandats auch für Bürgerinnen und Bürger, die ganztägig im Berufsleben stehen, attraktiv bleibt. Das Spannungsverhältnis zwischen Beruf und Mandat wird so entschärft und beide können nebeneinander ausgeübt werden. Dadurch, dass wir Abgeordneten direkt am Arbeitsprozess teilnehmen, gewinnt die politische Gestaltung in einem Teilzeitparlament eine besondere Nähe zum Menschen. Wir schweben nicht im so genannten „Raumschiff“ Parlament über dem Volke, sondern sind mittendrin im Alltagsleben. Durch die direkte Nähe zum Souverän strahlt ein Teilzeitparlament deshalb auch den besonderen Charme der Legitimität und der Demokratie aus.
Zum anderen steht einem Teilzeitparlament eine Vollzeitregierung und -verwaltung gegenüber, die bekanntlich der parlamentarischen Kontrolle unterworfen sind. Um diese Parlamentskontrolle – und auch die Auftragserteilung an die Regierung - annähernd gewissenhaft und effizient durchführen zu können, bedarf es einer intensiven Nutzung der vorhanden Ressourcen (Zeit und Mitarbeiterstab). Beides steht einem Teilzeitparlamentarier, der zusätzlich einer beruflichen Tätigkeit nachgeht, meines Erachtens nicht angemessen zur Verfügung. Des weiteren werden durch die verminderten Steuereinnahmen die Haushaltsmittel knapper und in der Konsequenz die Handlungsspielräume der politischen Gestaltung enger. Zudem haben die Hamburger Bürgerinnen und Bürger ein neues Wahlrecht beschlossen, welches künftig Wahlkreise vorsieht. Eine verstärkte Wahlkreisarbeit der Abgeordneten bedeutet auch weniger Zeit für Beruf, Parlamentsarbeit, Familie und Privates. Kurz zusammengefasst: die Arbeit des Parlamentariers wird eher schwieriger und zeitaufwendiger.
Jeder Abgeordnete gelangt während seiner parlamentarischen Tätigkeit an einen Punkt, an dem er sich fragen muss, wo er seine Schwerpunkte setzt: bei seinem Mandat, seinem Beruf oder seiner Familie. Alle drei Lebensbereiche in Einklang zu bringen und dies mit ganzem persönlichem Einsatz zu bewältigen, ist manchmal nur schwer möglich.
Ich bin dafür, dass das Volk darüber entscheiden sollte, ob die Hamburgische Bürgerschaft ein Teilzeitparlament bleibt oder ein Vollzeitparlament werden soll. Die Vorzüge und die Nachteile eines jeden Modells sind allgemein und hinlänglich bekannt.
Mit freundlichen Grüßen
Lars Dietrich MdHB