Frage an Lars Dietrich von Matthias B. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrter Herr Dietrich,
meines Wissens nach haben eben nicht alle Kinder ab dem dritten Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Kinder arbeitsloser Eltern sind meines Wissens nach komplett aus dem System frühkindlicher Erziehung ausgesteuert.
Bildungsarbeit, die in den Kitas stattfindenden soll, ist kaum mehr leistbar und findet unter Ausschluß der Kinder von arbeitslosen Eltern statt.
Schlimmer noch z.B. im Stadtteil St. Pauli haben früher viele Kinder ihre einzige warme Mahlzeit am Tag in der Kita bekommen. Der Umstand, dass Eltern arbeitslos sind, führt nicht zwangsläufig zu einer umfassenden Zuwendung in Sachen Erziehung, Bildung und Ernährung durch die Eltern zu hause. Diese Kinder sind bereits nach ihrer Geburt gesellschaftlich benachteiligt. Können Sie diese Wirklichkeit mit dem desolaten Haushalt der FHH rechtfertigen? Sind die finanziellen Aufwendungen der FHH in diesem Zusammenhang z.B. für die Hafencity ihrer Meinung nach gerechtfertigt?
Je mehr Kinder in den Kitas von weniger Personal betreut werden, desto weniger Erziehungs-/Bildungsnutzen für die Kinder wird erreicht. In einigen anderen europäischen Ländern kommt auf 5 Kinder eine pädagogische Fachkraft. Das Beschäftigtenbündnis der Hamburger Kitas fordert hier also nichts europäische Außergewöhnliches, Oder?
Durch die Pauschalisierung der Kosten, erschwert es den Trägern von Kitas zu arbeiten. Ältere ArbeitnehmerInnen werden keine Arbeitsplätze mehr bekommen, weil sie über dem Pauschbetrag liegen. Hauswirtschaftskräfte werden brutal lohnabgesenkt, bei der Vereinigung bereits jetzt schon geschehen (bis zu 30% Lohnabsenkung). Könnten Sie auf 30% ihres Lohnes verzichten?
Sie werfen die Frage auf, was der Staat zu leisten hat. Sicher nicht den Bau einer Hafencity, die hälftige Beteiligung an neuen Containerterminals und den Aufkauf einer Schiffsmodellsammlung. Welche Prioritäten setzen Sie, bei der Entscheidung in Haushaltsfragen?
Ich stelle diese Fragen ganz persönlich an Sie, weil ich an Ihrer eigenen Meinung interessiert bin. Durch das neue Wahlrecht ist es möglich, Personen zu wählen und nicht nur Parteien. Für eine personelle Entscheidung der WählerInnen bedarf es der Kenninis von persönlicher Meinung der Zuwählenden.
Mit freundlichen Grüßen
Matthias Bodeit
Sehr geehrter Herr Bodeit,
vielen Dank für Ihr weiteres Statement vom 6. Februar 2005 zum Thema Kindertagesbetreuung in Hamburg. Aufgrund der Vielzahl von Terminen in den letzten Wochen und der intensiven Recherche zu Ihren Fragestellungen war es mir leider nicht möglich, Ihnen früher zu antworten. Dennoch möchte ich Ihnen gern abschließend einige Themenbereiche konkretisieren und Ihnen nochmals meine Position zum Thema Staatsverschuldung und Haushaltskonsolidierung darstellen. Gestatten Sie mir deshalb nochmals einige grundsätzliche Einführungen zur Haushaltssituation von Hamburg,
bevor ich konkret auf Ihre Fragen eingehen werde. :)
Die Vorgängersenate von SPD (1991-1993) und SPD/Statt-Partei (1993-1997) sowie unter SPD/Grüne/GAL (1997-2001) haben dem CDU geführten Senaten nicht nur einen immensen Schuldenberg von mittlerweile über 24 Milliarden Euro hinterlassen und die Schulden Hamburgs nahezu verdoppelt, sondern auch stets die Nettoneuverschuldung (Neue Schuldenaufnahme des Staates abzüglich der Schuldentilgung) erhöht. Dies bedeutet, dass wir nur noch von der Substanz leben. Und trotz einer Haushaltskonsolidierung seit über zehn Jahren hat sich die Verschuldung um 11,4 Milliarden Euro erhöht! Daraus lässt sich folgern, dass wir in Hamburg aus meiner Sicht vier Dinge anpacken müssen:
1. Wir müssen im Betriebshaushalt weitere Einsparungen vornehmen, um diesen auszugleichen. Unsere laufenden Einnahmen durch Steuern und Gebühren decken seit über drei Jahrzehnten nicht die laufenden Ausgaben. Und dies vor dem Hintergrund, dass die Steuern ja nicht unbedingt niedrig sind....
2. Wir müssen in Hamburg mehr investieren - und dies tut der CDU-Senat von Ole von Beust - um die Einnahmen mittel- bis langfristig zu erhöhen. Investitionen in innovative Produkte und in die Ansiedlung von neuen Firmen sowie in die Hafenwirtschaft bedeuten nicht nur den Erhalt von Arbeitsplätzen, sondern auch die Chance, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Und sozial ist, was Arbeit schafft. Denn Unternehmen und Arbeitnehmer zahlen auch Steuern. Und dies erhöht die Einnahmen des Staates. Aber das Wirtschaftswachstum in Deutschland ist so gering, dass es nicht beschäftigungswirksam ist. Da sollten Sie dann lieber die Genossen in Berlin fragen, weshalb das europäische Ausland wesentlich höhere Wachstums- und Beschäftigungsraten aufweisen kann....
3. Wir müssen produktiver wirtschaften. Die Verwaltungsausgaben müssen reduziert werden durch mehr Wirtschaftlichkeit und durch den Abbau von Verwaltungshemmnissen. Senator Dr. Freytag beginnt hiermit im Bereich Stadtentwicklung und Bau. Die Finanzbehörde forciert eine Verwaltungsreform, die - im Sinne des Bürgers und der Unternehmen – eine Vereinfachung, zum Beispiel bei der Beantragung eines Gewerbescheines oder der Bündelung von Serviceleistungen, zum Ziele hat.
4. Wir wollen in 2006 einen ausgeglichen Betriebshaushalt erreichen und haben begonnen, die Nettoneuverschuldung sukzessive jedes Jahr 50 Millionen Euro zu senken, um nicht ständig Kredite aufnehmen zu müssen, um die Zinsen unserer Altschulden zu bezahlen. Fachleute merken an, dass Hamburg bei diesem Tempo dann noch circa 500 (!) Jahre benötigen würde, um schuldenfrei zu werden – vorausgesetzt, dass wir im Betriebshaushalt genügend Überschüsse für neue Investitionen und für die Schuldentilgung erwirtschaften. Aus diesem Grunde unterstütze ich den Vorschlag unseres Finanzsenators Dr. Wolfgang Peiner, eine gesetzlich verankerte Schuldenbegrenzung einzuführen.
Nun möchte ich auf Ihre Anmerkungen zur Kindertagesbetreuung eingehen:
Sie haben nicht recht, wenn Sie vermuten, dass nicht alle Kinder ab dem dritten Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz haben. Im Alter von drei Jahren bis zum Schuleintritt haben alle Kinder – auch Kinder erwerbsloser Eltern – einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz! Kinder arbeitsloser Eltern haben Anspruch auf einen 5-Stunden-Platz mit Mittagessen. Längere Betreuungszeiten werden nur Kindern berufstätiger Eltern bewilligt. Allerdings können Kinder mit besonderem sozialem oder pädagogischen Bedarf auch bei Arbeitslosigkeit der Eltern längere Betreuungszeiten bewilligt bekommen.
Die Bildungsarbeit in den Kitas erfolgt also nicht unter Ausschluss, sondern unter Einbeziehung der Kinder arbeitsloser Eltern. Der Anspruch umfasst ein Mittagessen, so dass eine warme Mahlzeit am Tag auch für die Kinder erwerbsloser Eltern gewährleistet ist und bleibt.
Die Ende letzten Jahres vereinbarten Personalschlüssel sehen im Krippenbereich zwei Fachkräfte für 13,5 Kinder (vorher 12 Kinder) und imElementarbereich zwei Fachkräfte für 22,5 Kinder (vorher 20 Kinder) vor. Im Hortbereich kommen wenigstens 1,25 Fachkräfte auf 22,5 Kinder. Mit dieser Personalausstattung lassen sich die gewachsenen Bildungsansprüche durchaus erfüllen. Im bundesweiten Vergleich liegt Hamburg mit diesen neuen Personalschlüsseln im Mittelfeld. Gern würden wir den Personalschlüssel durch Reduzierung der Gruppengrößen erhöhen. Doch eine Leistungserweiterung sowie eine Erhöhung der allgemeinen Standards muss dann auch dementsprechend vergütet werden. Da der Staat - wie obig beschrieben - über keinerlei weitere Finanzmittel verfügt, müssten dann die Elternbeiträge zwangsläufig erhöht werden. Und ich betone, dass dies viele Eltern nicht unbedingt wollen... Ich betone in diesem Zusammenhang, dass Kindererziehung und -betreuung meines Erachtens nicht ausschließlich eine Staatsaufgabe ist.
Zum europäischen und internationen Vergleich der Personalschlüssel finden Sie eine gute Übersicht auf der folgenden Internetseite: http://www.dfes.gov.uk/research/data/uploadfiles/7136_Child_paper4.pdf
Zu den Lohnabsenkungen bei den Hauswirtschaftskfräften der Vereinigung möchte ich Ihnen mitteilen, dass die Vereinigung eine interne Betriebsvereinbarung hat, in der sich die Hauswirtschaftskräfte – die zurzeit weit über dem Marktpreis liegend vergütet werden – bereit erklärt haben, in erheblichem Umfang auf Gehalt zu verzichten, um ihre Arbeitsplätze zu sichern. Dies ist aber eine spezielle Maßnahme der Vereinigung, die vor dem Hintergrund der speziellen Finanzsituation der Vereinigung getroffen wurde – dies gilt nicht für alle Träger. Mit der freien Wohlfahrtspflege ist für den Kostenblock, in dem die Hauswirtschaftskräfte finanziert werden, eine Absenkung von nur circa 6% vereinbart worden.
Diese Fakten müssen Sie bei der Bewertung der Vereinbarungen zwischen der FHH und den Trägern insgesamt berücksichtigen.
Und weil Sie mich auch persönlich ansprechen bezüglich der Lohnabsenkungen: Ich muss gerade bei der bundesweiten Wirtschaftslage als Freiberufler tagtäglich mit einem solchen Risiko von Schwankungen meines Einkommens rechnen...
Resümierend möchte ich feststellen, dass wir im Dezember 2004 eine ausgewogene Lösung gefunden haben. Die Kindertagesbetreuung ist mit 341 Millionen Euro gut ausgestattet – verglichen mit dem Jahre 2001 sind es knapp 50 Millionen Euro mehr! Der Staat hat über seine Pflicht der Grundversorgung hinaus viel für Kinder und Familien geleistet. Und dies ist auch richtig so. Aber weitere Nettoneuverschuldungen in der Zukunft möchte ich als Abgeordneter nicht befürworten und verantworten müssen, denn Schulden sind unmoralisch gegenüber der jungen Generation! Eine Politik, die auf Schulden aufbaut ist die unsozialste Politik...!
Sehr geehrter Herr Bodeit,
ich wünsche Ihnen persönlich alles Gute, bedanke mich für Ihr Interesse und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Ihr
Lars Dietrich MdHB