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Lars Castellucci
SPD
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Frage von Marwin N. •

Womit rechtfertigen sie ihren Vorschlag zu Regelung der Sterbehilfe der mit Blick auf das Urteil eindeutig verfassungswidrig ist?

Sehr geehrter Herr Castellucci,

Das Urteil des BVG ist mehr als eindeutig.

Zitat aus dem Urteil

"Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben ist als Ausdruck personaler Freiheit nicht auf fremddefinierte Situationen beschränkt. Das den innersten Bereich individueller Selbstbestimmung berührende Verfügungsrecht über das eigene Leben ist insbesondere nicht auf schwere oder unheilbare Krankheitszustände oder bestimmte Lebens- und Krankheitsphasen beschränkt. Eine Einengung des Schutzbereichs auf bestimmte Ursachen und Motive liefe auf eine Bewertung der Beweggründe des zur Selbsttötung Entschlossenen und auf eine inhaltliche Vorbestimmung hinaus, die dem Freiheitsgedanken des Grundgesetzes fremd ist"

Ihr Vorschlag verstößt signifikant gegen das Urteil des BVG und widerspricht der Mehrheitsmeinung der Bevölkerung. Womit rechtfertigen sie das? Religion? Oder steht hinter dem Vorschlag die Lobby der privatisierten Pflegeindustrie?

mit freundlichen Grüßen,

Marwin N.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr N.,

ich stimme Ihnen zu, dass Menschen, die sich selbst das Leben nehmen wollen, hierzu auch die Möglichkeit haben müssen. Wenigsten lese ich dieses aus Ihren Zeilen heraus. Die Frage, die sich Politik hier stellen muss, ist, welche Verantwortung wir als Gesellschaft für den Schutz von Menschen tragen.

Hierzu zwei Zitate aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts:

“Der vom Grundgesetz geforderte Respekt vor der autonomen Selbstbestimmung des Einzelnen (…) setzt eine frei gebildete und autonome Entscheidung voraus. Angesichts der Unumkehrbarkeit des Vollzugs einer Suizidentscheidung gebietet die Bedeutung des Lebens als ein Höchstwert innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung, Selbsttötungen entgegenzuwirken, die nicht von freier Selbstbestimmung und Eigenverantwortung getragen sind. Der Staat hat dafür Sorge zu tragen, dass der Entschluss, begleiteten Suizid zu begehen, tatsächlich auf einem freien Willen beruht.“

“Angebote geschäftsmäßiger Suizidhilfe berühren (…) nicht ausschließlich das Verhältnis zwischen dem aus freiem Entschluss handelnden Suizidwilligen und dem Suizidhelfer. Von ihnen gehen Vor- und Folgewirkungen aus, die erhebliche Missbrauchsgefahren und Gefährdungen für die autonome Selbstbestimmung Dritter umfassen.”

Die Formulierung im ersten Zitat ist sehr stark: Der Staat hat für die Selbstbestimmung Sorge zu tragen. Dabei geht es auch darum, ob der Suizidwunsch dauerhafter und ernsthafter Natur ist. Im zweiten Zitat geht es um die sogenannte geschäftsmäßige Suizidhilfe und ihre Missbrauchsgefahren. Zusammengenommen kommen wir in unserer Gruppe zu dem Ergebnis, die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid nur bei Einhaltung eines Schutzkonzeptes zu erlauben. Wer Suizidhilfe durch den Arzt seines Vertrauens erhält, der im Ausnahmefall handelt, kommt ohne dieses Schutzkonzept aus.

Ohne ein solches Schutzkonzept wären Menschen den Organisationen, die wirtschaftliche Interessen in der Suizidhilfe haben und dies über Vereinsorganisationen verschleiern, eben schutzlos ausgeliefert. Selbstbestimmung verlangt aber, dass ein Mensch ohne inneren und äußeren Druck zu seiner Entscheidung kommt. Und je normaler ein assistierter Suizid in der Gesellschaft wird, desto eher fühlen sich Menschen aufgefordert, darüber nachzudenken, ob sie noch leben sollen. Ich respektiere selbstbestimmte Entscheidungen. Gleichzeitig: kein Mensch soll sich überflüssig fühlen. Das eine ist die individuelle, das andere die gesellschaftliche Dimension, ich versuche, beides zusammenzudenken. Im Ergebnis denke ich, dass ein Schutzkonzept für manche vielleicht eine Zumutung bedeutet, aber aus Solidarität mit verletzlichen Gruppen in der Gesellschaft ausgehalten werden muss. Sonst sterben die Armen noch früher, als sie es heute schon tun.

Sie beziehen sich sicherlich auf die kürzlich ausgestrahlte Sendung. Der Mann in der Sendung, der seit fünf Jahren um das Betäubungsmittel kämpft, würde es übrigens nach unserem Gesetzentwurf nun erhalten können, denn auch wir ändern das Betäubungsmittelgesetz so, dass Ärzte ein Mittel für den Suizid verschreiben dürfen, nicht länger nur zur Heilung. Zusammen mit dem veränderten Berufsrecht der Ärzte, die früher ihre Zulassung riskieren mussten, wenn sie an einem Suizid beteiligt waren, haben wir eine völlig neue Situation. Der assistierte Suizid wird ermöglicht, aber wir sollten ihn nicht zum Modell machen.

Freundliche Grüße

Lars Castellucci

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