Frage an Konstantin von Notz von Marco H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. von Notz,
ich habe von dem Gesetzentwurf zur "Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität" gehört.
U.a. soll das sog. Telemediengesetz geändert werden. In dem Entwurf findet sich unter Artikel 5 "Änderung des Telemediengesetzes" folgender Passus:
§15b Abs. 3 Auskunftsverfahren bei Passwörtern und Zugangsdaten:
"Derjenige, der geschäftsmäßig Telemediendienste erbringt, daran mitwirkt oder den Zugang zur Nutzung daran vermittelt, hat die zu beauskunftenden Daten unverzüglich, vollständig und unverändert zu übermitteln. Eine Verschlüsselung der Daten bleibt unberührt. [ Über das Auskunftsersuchen und die Auskunftserteilung haben
die Verpflichteten gegenüber den Betroffenen sowie Dritten Stillschweigen zu wahren." ]
Wie ist vor allem der in Klammern gesetzte Absatz zu verstehen? Könnten Sie das bitte näher erläutern?
Danke.
Sehr geehrter Herr Heit,
haben Sie besten Dank für Ihre Frage und das Interesse an meiner Arbeit als grüner Bundestagsabgeordneter. Über beides habe ich mich sehr gefreut. Ich antworte Ihnen erst heute, da das Thema erst in der vergangenen Sitzungswoche erneut im Bundestag erörtert wurde und wir nun endlich Klarheit bezüglich des Vorgehens der Großen Koalition haben.
Seit vielen Jahren, lange bevor es das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) gab, drängen wir als grüne Bundestagsfraktion darauf, den Kampf gegen strafbare Inhalte und Meinungsäußerungen auf großen Plattformen und in den sozialen Netzwerken zu effektivieren. Wir wollen Hass und Hetze wirksam bekämpfen, Betroffene stärken und Bürgerrechte schützen.
Viel zu lange hat die Bundesregierung die Dimension der Problematik nicht erkannt und es versäumt, die notwendigen politischen Maßnahmen zu ergreifen. Rassistische, rechtspopulistische und rechtsextreme Kräfte verbreiten ungehindert Hass und Hetze. Die zu beobachtende Enthemmung bei Worten und Taten gibt Anlass zu größter Sorge. Demokratiefeindlicher, rassistischer, antisemitischer, antiziganistischer, muslimfeindlicher, völkischer, antifeministischer, homo- und transfeindlicher Propaganda und Agitation muss mit aller Entschlossenheit und mit allen geeigneten rechtsstaatlichen und gesellschaftspolitischen Mitteln entgegengetreten werden. Demokratie ist in Gefahr, wenn Hass und Hetze auf Gleichgültigkeit oder sogar Akzeptanz stoßen. Es braucht daher eine koordinierte Gesamtstrategie, um das Problem in seiner ganzen Breite zu bearbeiten und um die Zivilgesellschaft und Prävention gegen Rechtsextremismus nachhaltig zu stärken und zu fördern.
Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur "Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität" hat uns in den letzten Wochen sehr intensiv beschäftigt, sowohl als Parlament als auch als Oppositionsfraktion. Dem zunehmenden Rechtsextremismus, Angriffen auf Demokratinnen und Demokraten und der zu beobachtende Verrohung der Diskussionskultur im Netz stellen wir uns mit vielfältigen Initiativen und viel Engagement entgegen. Wir begrüßen daher, die dem Gesetzentwurf zugrunde liegende Zielsetzung. Der Regierungsentwurf greift aber einerseits zu kurz und weitet andererseits Befugnisse in weder zielführender noch grundrechtlich verhältnismäßiger Weise aus. Daran hat sich auch durch die Änderungen der Koalitionsfraktionen nichts geändert.
Rechtsextremisten wollen Demokratie, Gewaltenteilung, freie Meinungsäußerung, Gleichheit vor dem Gesetz und Rechtsstaatlichkeit beseitigen. Umso mehr müssen Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität fest auf dem Boden der Rechtstaatlichkeit verankert sein und die Bürgerrechte und grundrechtlich geschützten Beteiligungsrechte der davon potentiell Betroffenen müssen jederzeit gewährleistet bleiben. Hierfür setzen wir uns weiterhin ein.
Der Entwurf der Bundesregierung lässt die dringend erforderliche enge Zweckbindung und konkrete Regelungen für den Umgang mit den Informationen beim Bundeskriminalamt (BKA) vermissen. Wir haben daher einen eigenen umfassenden Antrag dazu auf den Weg gebracht, denn zur wirksamen Bekämpfung von Rechtsextremismus, der Bedrohung ganzer Bevölkerungsgruppen sowie von Hass und Hetze im Netz bedarf es einer koordinierten Gesamtstrategie, die das Problem in seiner ganzen Breite bearbeitet: als rechtsextreme Strategie zur Aushöhlung der Demokratie, als gesamtgesellschaftliches Phänomen einer Verrohung der Debattenkultur und als Fortsetzung wie Befeuerung analoger Formen von Diskriminierung und Gewalt.
Das erste von uns benannte Ziel lautet daher: die Zivilgesellschaft und Prävention gegen Rechtsextremismus nachhaltig zu stärken und zu fördern. Dazu zählt besonders, den Schutz von Menschen stärken, die sich für unsere Demokratie engagieren. Das gilt für vielfach bedrohte Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker. Hier unterstützten wir den Ausbau des strafrechtlichen Schutzes ebenso wie verbesserten Schutz im Melderecht. Genauso ist ein "Demokratiefördergesetz" lange überfällig. Wir brauchen eine langfristige, verlässliche, gesetzlich verankerte Finanzierung zivilgesellschaftlicher Arbeit. Nach wie vor fehlt es auch an einer kohärenten medien- und netzpolitischen Gesamtstrategie auf den unterschiedlichen politischen Ebenen. Auch der Diskriminierungsschutz im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) muss ausgebaut werden.
Die vernetzten Strukturen rechtsextremistischer Kräfte und die von ihnen ausgehenden Gefahren werden von der Bundesregierung seit Jahren verkannt. Dabei ist die Vernetzung im rechtsextremen Spektrum tatsächlich sehr weit vorangeschritten: Sie reicht bis hinein in Sicherheitsbehörden wie Polizei und Bundeswehr und auch in den Deutschen Bundestag. Längst vor den rechtsterroristischen Anschlägen von Halle oder Hanau waren Alarmsignale für alle offensichtlich, die nicht die Augen davor verschließen: orchestrierte Morddrohungen, Chatrooms voller Gewaltphantasien, rechtsextreme „Feindeslisten“ mit zehntausenden Einträgen, Waffendepots, anhaltende Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte. Dennoch fehlt der Bundesregierung bis heute an der notwendigen Entschlossenheit beim Kampf gegen die Bedrohungen durch Rechtsextremismus. Die Bundesregierung hat zahlreiche Schritte zur Erhöhung der Sicherheit in unserem Land und dem Schutz von durch Hass und Hetze betroffenen Menschen viel zu lange hinausgezögert.
Die Einrichtung einer Zentralstelle für Analyse und Bekämpfung von Hasskriminalität, insbesondere in Verbindung mit einer zentralen Online-Beratungsstelle für Betroffene ist ein positives Signal. Das Bundeskriminalamt (BKA) könnte eine wichtige Funktion zur Koordination wahrnehmen. Das setzt aber entsprechende rechtsstaatlich einwandfreie gesetzliche Grundlagen voraus. Um eine solche zu gewährleisten, haben wir mehrere Änderungsanträge im Parlament zum Gesetz der Bundesregierung vorgelegt. In diesen Änderungsanträgen haben wir uns u.a. für klare rechtsstaatliche Verfahren, v.a. was die Datenübermittlung an das BKA angeht. Hier haben wir uns für ein „Zwei-Stufen-Modell“ ausgesprochen, bei dem nicht von vornherein zahlreiche Daten und Informationen der Nutzerinnen und Nutzer von den Unternehmen an das BKA übermittelt werden, sondern dies - in deutlich abgespeckter Form - erst nach Prüfung eines Anfangsverdachts geschieht.
Weiterhin drängen wir auf eine grundlegende Überarbeitung des in weiten Teilen dysfunktionalen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), die seit Jahren überfällig ist, aber bislang von der Bundesregierung verschlafen wurde. Auch hier haben wir und andere zahlreiche konkrete Verbesserungsvorschläge unterbreitet, die im Parlament seit langem vorliegen.
Mit besten Grüßen nach Trier!
Konstantin v. Notz