Frage an Klaus-Peter Willsch von Stefan R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Willsch,
In aktueller Sache würde mich ihre Position zur geplanten Vorratsdatenspeicherung interessieren, über die in 2 Tagen abgestimmt werden soll.
Die vorgesehene Pflicht zur verdachtsunabhängigen Speicherung sämtlicher Verkehrsdaten der Kommunikation aller Bürger per Festnetz, Mobiltelefon, Internet, E-Mail, SMS usw. erscheint selbst mir arg über das Ziel (Sicherheit, Sicherheit, Sicherheit) hinausgeschossen. Orwell läßt grüßen, oder doch nicht?
Ich würde mich über eine vom Formschreiben der Fraktion abweichende, persönliche Antwort wirklich sehr freuen,
mit freundlichen Grüßen,
Stefan Rado
Sehr geehrter Herr Rado,
gerne antworte ich Ihnen auf Ihre Anfrage vom 07. November zum Thema Vorratsdatenspeicherung. Ich freue mich über Ihr Interesse an meinem Standpunkt zu dieser Fragestellung und möchte Ihnen diesen im Folgenden erläutern.
Die Rechtspolitik bewegt sich im Bereich der Telekommunikationsüberwachung in einem schwierigen Spannungsfeld. Dem Grundrechtsschutz der Bürger steht die ebenfalls verfassungsrechtlich gebotene Pflicht des Staates zu einer effektiven Strafverfolgung gegenüber. Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren betont und die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten als einen wesentlichen Auftrag des staatlichen Gemeinwesens hervorgehoben, weil ein solches Gemeinwesen anders nicht funktionieren kann. Grundrechtsschutz der Bürger und Strafverfolgungsinteresse des Staates müssen in einen vernünftigen Ausgleich gebracht werden. Nach Ansicht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sollten Ermittlungsinstrumente dabei nicht weiter beschränkt werden, als dies verfassungsrechtlich geboten ist.
Die sogenannte Vorratsdatenspeicherung ist in unseren Augen ein solches Ermittlungsinstrument, das für die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten unabdingbar ist. In der Diskussion hierüber wird vielfach übersehen oder ganz bewusst verschwiegen, dass bereits nach der gegenwärtigen Rechtslage Telekommunikationsunternehmen Verbindungsdaten (Verkehrsdaten) zwischen drei und sechs Monaten zu Abrechnungszwecken speichern dürfen und dies in der Regel auch tun. Die nun beschlossene Verpflichtung, diese Daten sechs Monate lang zu speichern, wurde also auch bisher schon in weiten Teilen erfüllt. Gespeichert werden sowohl bisher als auch künftig nur Verbindungsdaten - also die genutzten Rufnummern und Kennungen, die Uhrzeit und das Datum der Verbindungen - jedoch keine Telekommunkationsinhalte. Zu den Verbindungsdaten gehören auch solche Daten, die bei der Kommunikation über das Internet anfallen. Auch diese müssen künftig gespeichert werden. In diesem Bereich gilt ebenfalls: Es werden nur Daten über den Internetzugang und die E-Mail-Kommunikation gespeichert. Gespeichert wird also nur die Information, dass eine bestimmte Internetprotokoll-Adresse (IP) zu einem bestimmten Zeitpunkt online war, nicht aber, welche Seiten besucht wurden oder welchen Inhalt eine E-Mail hat. Dasselbe gilt für Internettelefonie.
Über diese Daten haben die Telekommunikationsunternehmen nach den Vorschriften der Strafprozessordnung den Strafverfolgungsbehörden Auskunft zu erteilen, wenn es um die Verfolgung schwerer Straftaten oder von Straftaten, die mittels Telekommunikation begangen wurden, geht. Die Anordnung der Erteilung einer Auskunft ist an strenge rechtsstaatliche Voraussetzungen geknüpft, der Staat hat also keinesfalls willkürlichen Zugriff auf die erhobenen Daten. Nicht zuletzt diese Erwägungen haben die Bundesregierung bewogen, der Richtlinie Nr. 2006/24/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, zuzustimmen. Die Bundesregierung hat dies mit Unterstützung des Deutschen Bundestages getan.
Meinen Kollegen und mir war dabei bewusst, dass das hierfür gewählte Instrument der Richtlinie möglicherweise nicht ganz frei von kompetenzrechtlichen Risiken ist. Wir haben uns dennoch dafür ausgesprochen, weil es gelungen ist, Regelungen mit Augenmaß zu vereinbaren. So ist die Mindestspeicherdauer auf sechs Monate und nicht - wie ursprünglich auf EU-Ebene diskutiert - auf 36 Monate festgesetzt worden. Auch bei der Frage, welche Daten gespeichert werden, hat sich Deutschland mit seiner grundrechtsschonenden Linie durchgesetzt. So sind zum Beispiel keine Angaben über aufgerufene Internetseiten zu speichern. Wie bereits erwähnt, ist die Anordnung der Erteilung einer Auskunft über diese Daten nach wie vor an strenge rechtsstaatliche Voraussetzungen geknüpft. Eine anderweitige Verwendung dieser Daten ist nur zu Zwecken der Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit möglich, wenn dies gesetzlich unter Beachtung der Verwendungsbeschränkungen im Telekommunikationsgesetz festgelegt ist. Eine Verwendung beispielsweise zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche ist nicht zulässig.
Ich bin überzeugt, dass wir mit der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht sowohl dem Interesse an einer effektiven Strafverfolgung als auch dem Schutz der Grundrechte in ausgewogener Weise Rechnung tragen. Die teilweise populistisch geschürte Angst vor einem Überwachungsstaat ist absolut unbegründet.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus-Peter Willsch MdB