Frage an Klaus-Dieter Kramer von Natascha P. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrter Herr Kramer,
im Rahmen unseres Sozialkunde Leistungskurs beschäftigen wir uns intensiv mit der Bundestagswahl am 27.09.09.
Ich bitte Sie, uns -als potezielle Wähler-, im Rahmen Ihres Wahlkampfes, einige Fragen bezüglich ihren Zielen zu beantworten.
Da die Bildung für uns einer der interessantesten und wichtigsten Punkte ist, bitte ich Sie, mir einen Einblick in Ihre Bildungspolitik zu gestatten. Wie stehen Sie zu der Realschule "Plus"? Was ist ihre Meinung zu der verkürzten Oberstufe? Wie wollen Sie das Angebot an den Unis attraktiver machen? Wie stehen Sie zu dem Arbeitsmarkt und wie wollen sie diesen fördern?
Aufgrund unseres Alters möchte ich Sie zudem bitten, mir einige Fragen zu dem Thema Jugend und Familien zu beantworten. Wie wollen Sie die Jugen unterstützen? Haben Sie vor, Jugendzentren zu eröffnen und gezielte soziale Probleme zu lösen? Wenn ja, wie? Was sind Ihre Grundsätze zum Thema Familienpolitik und was möchten Sie an der momentanen Situation ändern?
Die Lage in Afghanistan ist auch relativ brenzlig. Wie stehen Sie zu dem Bundeswehreinsatz? Wie wollen SIe die Außenpolitik ändern bzw. verbessern?
Mit freundlichen Grüßen
N. Preis
Sehr geehrte Frau Preis,
vielen Dank für Ihre vielen, vielen Fragen. Für jede Frage benötigte man sehr ausführliche Zeit und möglichst ein umfassendes Parteiprogramm. Aus der Fragestellung glaube ich entnehmen zu können, dass Sie nicht im Auftrag einer Firma mich befragen, sondern als Schülerin einer der oberen Klassen.
Ich möchte Ihnen in Kurzform, meinen Standpunkt darlegen:
Seit 18 Jahren arbeite ich in der Baumarktbranche. Dort hat man natürlich auch mit Bildungsfragen etwas Kontakt, wenn es zum Beispiel um die Auswahl von künftigen Lehrlingen ging. Man ist aber kein Spezialist im Schulwesen.
Das Grundübel in der deutschen Bildungspolitik sehe ich darin, dass die Länder den Inhalt und den Ablauf für sich bestimmen. Ich habe dazu bereits auf eine ähnliche Frage geantwortet. s. www.abgeordnetenwatch.de
Ich gehe davon aus, dass Bildungspolitik in den Grundsätzen und Verfahrensweisen eine Aufgabe der Bundesrepublik und nicht der einzelnen Länder seien sollte.
Meine Schulzeit liegt schon über 40 Jahre in der damaligen DDR zurück. Für mich war die Schulausbildung der ideale Ablauf. In der DDR waren wir bis zur Klasse 8 gemeinsam seit der Einschulung. Dann trennten sich die Wege. Einige Schüler haben mit Klasse 8, jetzt die Hauptschule, die Schule verlassen und eine 3jährige Berufsausbildung begonnen. Ein zweiter Teil entschied sich für die Polytechn. Oberschule bis zu Klasse 10, jetzt Realschule. Weiterhin gingen dann ab Klasse 8 einige Schüler auf die Oberschule (12 Klassen), jetzt Gymnasium. Ob 12 oder 13 Jahre sollte nicht die Entscheidung sein. Das sehe ich als künftigen Weg.
Dieser Ablauf war gut. Noch besser wäre es gewesen, wenn das Schulsystem so auf einander abgestimmt wäre, dass die nächste Stufe nach Klasse 8 (Hauptschule) die Klasse 10 (Realschule) und anschließend die Klasse12/13 (Gymnasium) aufeinander abgestimmt wären.
Alle Formen, wie Realschule "Plus" oder verkürzte Oberstufe sind in meinen Augen nutzlose Versuche der Länder, etwas zu ändern, ohne richtiges Konzept.
Sie fragen mich zum Thema Arbeitsmarkt. Da könnte man ein Buch schreiben. Sicherlich sehen Sie die Frage in Verbindung mit Schulabschluss - Ausbildung.
Der Staat ist bestimmt nicht der klügere Arbeitgeber, als die vielen Kleinunternehmen oder auch die großen Firmen. Grundsätzlich fordere ich, dass mit Beendigung der Schulzeit für jeden Schüler, egal mit welchem Leistungsvermögen, ein Ausbildungsplatz vorhanden sein muss. Das ist aber nur der erste Schritt. Nach der Ausbildung muss auch jeder die Chance haben für eine Festanstellung. Reicht das in der Wirtschaft nicht aus, muss der Staat Arbeitsplätze schaffen. Der Bedarf an Arbeit ist groß. Diesen Prozess kann man nicht nur der "freien Marktwirtschaft" oder besser gesagt dem Zufall überlassen. Wirtschaft und Staat müssen hier Hand in Hand arbeiten. Ausbildung muss entsprechend des künftigen Bedarfes erfolgen und durch staatliche Mittel auch gelenkt werden.
Was nützt es, wenn ich ausgebildet bin und dann ist "Sense"? Wir können bei den vielen Problemen unserer Zeit auf die Arbeit unserer jüngeren Menschen nicht verzichten. Einen Arbeitsplatz nach der Ausbildung ist auch eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Jugendlichen nicht in bestimmte politische Richtungen gelockt werden. Mit der Chance auf Arbeit für junge Menschen, setzen wir einen wichtigen Pfeiler auch für künftige Familienpolitik!
Junge Familien werden zu wenig gefördert! Arbeit ist für mich die wichtigste Voraussetzung. Junge Leute haben keine Probleme mit Wohnungen, wenn sie Arbeit haben. Sie haben aber Probleme, wenn es um den Arbeitsplatz oder dessen Sicherung nach einer Geburt geht. Es gibt da zwar bereits viele gesetzliche Schutzregelungen, aber wie sieht es in der Praxis aus? Viele junge Familien "leisten" sich keine Kinder, weil über kurz oder lang der scheinbar "geschützte Arbeitsplatz" dann doch weg ist. Oder schauen Sie einmal auf die Kosten.
Als ich in der DDR im Alter war, wo der Nachwuchs anrollen sollte, sagten wir, jedes Kind ist etwa ein PKW Wartburg. Heute sind die Kosten für ein Kind noch viel größer. Trotz Kindergeld oder Steuererleichterungen reicht das nicht aus. In der DDR gab es einige Jahre zur Förderung junger Familien und deren Kinder, einen so genannten "Kredit für junge Eheleute". Das half bei der Hausstandsgründung und Kinder reduzierten die Tilgung. Etwas ähnliches sollte es auch in Zukunft geben.
Noch einige Sätze zur Außenpolitik. Ich bin grundsätzlich dafür, dass deutsche Truppen im Ausland keinen Krieg zu führen haben. Deshalb zurück aus Afghanistan! Wie verlogen ist doch oftmals unsere Außenpolitik.
Schauen Sie einmal viele Jahre zurück. In Afghanistan gab es eine Regierung, die der damaligen Sowjetunion sehr nahe stand. Das Volk sollte Bildung erhalten, ein Gesundheitswesen wurde aufgebaut, die Rechte der Frauen gingen in Richtung der Gleichberechtigung. Das durfte nach Meinung der USA und aller westlichen Länder nicht sein, weil sie dort an Einfluss verloren. Damit wurden die jetzigen Talibanen massiv unterstützt, bis sich die Sowjetunion zurück zog, weil der "Krieg" gegen die Talibanen nicht zu gewinnen war.
Damit schufen sich die westlichen Länder, die heutigen "Kriegsgegner"! Ich bin davon überzeugt, dass der Einsatz der westlichen Truppen in den nächsten Jahren die gleiche Niederlage erleben werden, wie damals die Sowjetunion. Afghanistan ist ein Fass ohne Boden.
Ich bin sicherlich kein Freund der Talibanen. Sie missachten die einfachsten Menschenrechte und möchten das Land in die Urzeit zurück setzen. Wenn die USA und alle Verbündeten ihre Ziele erreichen wollen, müssten sie viele "Gegner" vernichten. Das kann ja nicht der richtige Weg sein.
Wir müssen uns einfach die Frage stellen, ist es denn richtig, wenn wir kritischen Ländern unsere Vorstellungen von menschlicher Kultur aufzwingen wollen? Die Änderung der Gesellschaft kann nur von innen, schrittweise durch Stärkung der fortschrittlichen Kräfte erfolgen.
Wie kompliziert der Weg ist, sehen wir an der sehr unterschiedlichen internationalen Bewertung der Ereignisse mit den beiden Kraftstofftanks. Selbst hier versuchen einige westliche Länder mit dem Finger auf den schlechten "Deutschen" zu zeigen. Deshalb lieber heute als morgen, raus aus den Kriegsschauplätzen. Wir haben genug andere Probleme im eigenen Land.
Mit freundlichen Grüßen
Dieter Kramer