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Klaas Hübner
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Frage von rolf h. •

Frage an Klaas Hübner von rolf h. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

herr hübner

dass sie bei der abstimmung mit ja gestimmt haben hat mich schwer enttäuscht und dass diese abstimmung noch dazu am jahrestag des "fall der mauer" und damit dem endgültigen sturz des kommunistischen regimes getätigt wurde, ist doch sehr pikant. ich weiß nicht warum alle bürger so ohne verdacht gespeichert werden sollen. ich denke, die menschen gerade in ostdeutschland haben unter überwachung (stasi) doch zu leiden gehabt. ich kann auch nicht sehen, dass man durch diese art von datenspeicherung den terrorismus bekämpfen kann. ich hätte mir gewünscht, sie hätten sich enthalten oder sich dagegen entschieden! ich weiß nicht, ob auch sie diesen überwachungsstaat haben wollen??

mit gruss
r.h

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Hohl,

ich begrüße es, dass so viele Menschen in Deutschland sehr sensibel Veränderungen im Bereich staatlicher Eingriffe in die Privatsphäre der Bürger beobachten und hinterfragen. Das spricht für die demokratische Kultur in unserem Lande.
Die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger ist ein hohes Gut. Deshalb bedürfen Eingriffe in diese auch einer fundierten Begründung. Zwischen dem Schutz der bürgerlichen Grundrechte und der Notwendigkeit den Ermittlungsbehörden ausreichende Instrumente im Kampf gegen Kriminalität und Terrorismus an die Hand zu geben, besteht immer ein Spannungsverhältnis. Das Gesetz zur Novelle der Telekommunikationsüberwachung und zur Umsetzung der europäischen Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung (die EU verpflichtet uns zur Umsetzung der EU-Vorratsdatenspeicherung) wahrt meiner Meinung nach in dem beschriebenen Spannungsverhältnis ein Gleichgewicht zwischen den Grundrechten der Bürger und den Sicherheitsanforderungen in unserem Staat.

Ich möchte versuchen darzulegen, warum wir meiner Meinung nach diese Gesetzesanpassung benötigen. Zweifelsohne ist es so, dass heute der Rückgriff auf Telekommunikationsdaten ein wichtiges Instrument bei der Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus ist. Zum Beispiel konnten die terroristischen Anschläge in Madrid im Jahr 2004 nur deshalb so schnell aufgeklärt werden, weil die Mobilfunk-Verbindungsdaten von einem der identifizierten Täter ausgewertet werden konnten. Aber nicht nur die Bedrohung durch den Terrorismus macht die Speicherung von Telekommunikationsdaten notwendig. So gehören Straftaten, die im Internet begangen werden, z.B. beim Diebstahl von Passwörtern beim Online-Banking, leider heute zum Alltag. In diesem Fall sind die Bürger sicherlich daran interessiert, dass die Verbindungsdaten – mit denen womöglich die Rückverfolgung zu den Straftätern möglich ist – nicht nach wenigen Tagen gelöscht werden. Weitere Beispiele von im Internet begangenen Straftaten sind der sogenannte E-Bay-Betrug, Urheberrechtsverletzungen oder das Herunterladen von Kinderpornographie. Es bleibt festzustellen, dass das Internet vermehrt zum Raum für kriminelle Handlungen wird. Den Ermittlungsbehörden müssen effektive Instrumente zur Strafverfolgung an die Hand gegeben werden.

Auch bisher schon mussten die Telekommunikationsunternehmen die Verbindungsdaten ihrer Kunden speichern. Die meisten Unternehmen haben diese nach zwei Monaten gelöscht, wenn bis dahin kein Einspruch des Kunden hinsichtlich seiner Rechnung eingegangen war. Bei einem Einspruch muss das Unternehmen die Verbindungsdaten darlegen können. Nach der aktuellen Gesetzesnovelle sind die Unternehmen dazu verpflichtet, die Verbindungsdaten sechs Monate lang zu speichern. Eine gesetzliche Anpassung in diesem Bereich war auch deswegen notwendig, weil immer mehr Kunden bei der Internetnutzung wie beim Telefonieren sogenannte Flatrates statt Verträgen mit einer Einzelabrechnungs abschließen. Die Unternehmen waren bisher aber nur zur Speicherung solcher Einzelabrechnungsdaten befugt. Es wäre jedoch nicht hinnehmbar, wenn sich Kriminelle oder Terroristen durch die Nutzung einer Flatrate der Strafverfolgung entziehen könnten.

Wie gesagt, auch schon bisher wurden die Verkehrsdaten (insbesondere die genutzten Rufnummern und Kennungen sowie Uhrzeit und Datum der Verbindungen) gespeichert. Neu hinzu kommt nur, dass bei der Mobilfunktelefonie auch der Standort (Funkzelle) bei Beginn der Mobilfunkverbindung gespeichert wird. Daten, die Aufschluss über den Inhalt der Kommunikation geben, dürfen dagegen nicht gespeichert werden. Auch bei der Internetkommunikation werden nur Daten über den Internetzugang und die E-Mail-Kommunikation gespeichert. Dabei speichert das Telekommunikations-Unternehmen lediglich, welchem Teilnehmeranschluss eine bestimmte Internetprotokoll-Adresse (IP-Adresse) zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesen war sowie die Daten über die E-Mail-Versendung, nicht dagegen, welche Internetseiten besucht wurden oder welchen Inhalt eine E-Mail hatte.

Es wird Sie vielleicht – angesichts der stark emotionalisierenden Berichterstattung in den Medien – verwundern, dass die Hürden für die Durchführung einer Telekommunikationsüberwachung in Zukunft höher liegen als bisher:
• Wie bisher schon können Polizei und Staatsanwaltschaft grundsätzlich nur dann auf die Daten zugreifen, wenn dies zuvor durch einen richterlichen Beschluss erlaubt wurde. In diesem Beschluss legt der
Richter genau fest, welche Daten das Unternehmen aus seinem Bestand herausfiltern und den Strafverfolgungsbehörden übermitteln muss.
• Ferner muss der Verdacht auf eine schwere Straftat vorliegen, die mit mehr als 5 Jahren Freiheitsstrafe geahndet wird. Erlaubt ist eine Telekommunikationsüberwachung auch nur dann, wenn die Ermittlung des
Aufenthaltsorts des Beschuldigten auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre.
• Die Nutzung der Verkehrsdaten ist unzulässig, wenn Anhaltspunkte vorliegen, dass durch die Überwachung allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung erlangt würden.

Auch der Schutz von Berufsgeheimnisträgern ist ein wesentlicher Bestandteil der neuen Gesetzeslage. Das Vertrauensverhältnis zu Seelsorgern, Strafverteidigern und Abgeordneten bleibt voll geschützt. Auch Ärzte, Rechtsanwälte, Journalisten und andere zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsgeheimnisträger dürfen nur nach einer sorgfältigen Verhältnismäßigkeitsabwägung im Einzelfall in Ermittlungsmaßnahmen einbezogen werden. Zufallsfunde, die z.B. bei einem Medienmitarbeiter gefunden werden und sich nicht auf eine Straftat beziehen, die im Höchstmaß mindestens fünf Jahre Freiheitsstrafe androht oder wenn es um Geheimnisverrat geht, dürfen nach der neuen Gesetzeslage nicht als Beweis verwertet werden.

Für alle verdeckten Ermittlungsmaßnahmen gilt eine Reihe von Verfahrensregelungen. Sie verbessern den Grundrechtsschutz aller, die von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen betroffen sind:
• Richtervorbehalt bei allen eingriffsintensiven verdeckten Ermittlungsmaßnahmen.
• Konzentration der Zuständigkeit für die Anordnung einer Maßnahme beim Ermittlungsgericht am Sitz der Staatsanwaltschaft, um dessen größere Spezialisierung zu erreichen.
• Umfassende, gerichtlich kontrollierte Benachrichtigungspflichten.
• Einführung eines nachträglichen Rechtsschutzes bei allen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen.
• Einführung von einheitlichen Kennzeichnungs-, Verwendungs- und Löschungsregelungen.

Eine oft genannte Befürchtung von Bürgern ist, dass mit den Telekommunikationsdaten Schindluder betrieben werden könnte, d.h. dass es zu einer Weiterreichung an Dritte kommen könnte. Sicherlich haben die Telekommunikationsunternehmen den Wunsch die von ihnen gesammelten Daten auch zu nutzen, z.B. in dem Kundenprofile erstellt werden, damit dem jeweiligen Kunden passgenaue Werbeangebote unterbreitet werden können. Bisher und zukünftig dürfen die Telekommunikationsunternehmen die von ihnen gesammelten Daten jedoch nicht nutzen, denn diese Regelung wird durch die Gesetzesnovelle nicht verändert. Die Daten dürfen nur zur Rechnungslegung und für den Fall einer Strafverfolgung unter den genannten Bedingungen verwendet werden.

So bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass mit dieser Gesetzesanpassung der Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Kriminalität und terroristischen Attacken verbessert werden kann, ohne ihre Grundrechte unverhältnismäßig einzuschränken. Kriminelle und terroristische Kreise verfügen heute über die modernsten Telekommunikationsmittel. Es wäre ein schwerer Fehler, den Ermittlungsbehörden nicht die notwendigen Mittel zur Bekämpfung an die Hand zu geben. Ich habe zudem auch großes Vertrauen in die Ermittlungsbehörden, dass sie verantwortungsbewusst mit den neuen Instrumenten umgehen werden.

Die aktuellen Gesetzesänderungen bedeuten keinen Gang in den Obrigkeitsstaat. Wie ich eingangs ausgeführt habe, gilt es immer abzuwägen zwischen den bürgerlichen Grundrechten und den Sicherheitsbedürfnissen der Bürger. Hierbei ist die Frage, ob es eine Alternative zur Einführung verbesserter Strafverfolgungs-Instrumente angesichts der neuen technischen Möglichkeiten gibt? Ich bin der Überzeugung, dass eine solche Alternative nicht besteht. Wir brauchen einen wehrhaften Staat, damit er gerade die Demokratie schützen kann. Eine Analogie zur Stasi-Überwachung in der ehemaligen DDR besteht nicht. Das Instrument der Telekommunikationsüberwachung zielt nicht auf die Unterdrückung der Bürger durch einen Obrigkeitsstaat ab, sondern auf den Schutz der Bürger vor Kriminalität und terroristischen Anschlägen.
Wir konnten an anderen Ländern sehen, welch negative Folgen terroristische Anschläge für die dortige politische Kultur gehabt haben. In den USA ist es gerade im Nachgang der Anschläge des 11. Septembers zu einer starken Einschränkung der bürgerlichen Grundrechte gekommen. Eine solche Entwicklung möchte ich für Deutschland verhindern. In den letzten Jahren konnten mehrere Anschläge in unserem Land nur knapp durch die Polizei vereitelt werden oder sind aufgrund technischer Unzulänglichkeiten gescheitert. Auch die vor wenigen Tagen erschienene Videobotschaft einer islamistischen Terrororganisation zeigt, dass wir in Deutschland nicht ohne terroristische Gefährdung leben. In der Videobotschaft forderte die Organisation den Abzug aller deutschen und österreichischen Kräfte aus Afghanistan und drohte bei Unterlassung mit Anschlägen in diesen beiden Ländern. Da wir uns nicht von Terroristen erpressen lassen dürfen, müssen wir uns im Gegenzug für Gefährdungslagen wappnen. Mindestens genauso bedrohlich wie terroristische Gefährdungen sind kriminelle Kreise, die modernste Kommunikationsmittel einsetzen können.

Mit freundlichen Grüßen

Klaas Hübner, MdB