Frage an Kirsten Lühmann von Jörg W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Lühmann.
Von Billionen belauschter Kommunikationsvorgängen (amerik.: Trillions) seit 2006 ist die Rede, zwei Milliarden Menschen sollen Opfer eines monströsen Abhörapparats fünfer Staaten sein: Wie viel Material mag da zusammengekommen sein, dass sich vorzüglich für kleine und große Erpressungen eignet. Und da Erpressung sozusagen in der Stellenbeschreibung für Geheimdienstler steht, schrecken die auch nicht davor zurück. Denn Geheimdienste pfeifen auf Legalität, sie handeln vielmehr nach dem Opportunitätsprinzip.
Wie stark sehen Sie unseren Rechtsstaat durch die Lauschorgie der „Five Eye“ bedroht?
Mit freundlichem Gruß
Sehr geehrter Herr Wester,
eine Globalüberwachung, wie sie vermutlich durch Programme wie Prism oder Tempora geschieht, ist aus meiner Sicht nicht akzeptabel. Sie läuft auf eine permanente Online-Durchsuchung bei allen hinaus.
Mit diesen Daten sind aussagekräftige Persönlichkeits- und Bewegungsprofile erstellbar. Die Missbrauchsmöglichkeiten, die mit einer solchen Datensammlung entstehen, verschärfen deren belastende Wirkung. Es entsteht ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann.
Das widerspricht unserem Grundverständnis von Sicherheit mit Augenmaß. Staatliche Eingriffe müssen verhältnismäßig sein, auf Einzelfälle beschränkt sowie mit rechtsstaatlichen Sicherungen versehen. Die erwähnten Programme sind vermutlich das Gegenteil von alldem.
Grundsätzlich spähen alle Geheimdienste Kommunikationsdaten aus. In der Regel werden jedoch nur verdächtige Ereignisse direkt ausgewertet und auch nur dann gespeichert, wenn konkrete Hinweise auf Straftaten vorhanden sind.
Die Bundesregierung ist auf nachrichtendienstliche Kooperation z. B. mit den USA zwingend angewiesen. So wurden durch Hinweise aus den USA auch bereits Terroranschläge in Deutschland vereitelt (z.B. die der Sauerlandgruppe). Dennoch heiligt der Zweck nicht alle Mittel.
Eine unterschiedslose dauerhafte Speicherung und Nutzung (!) aller Daten ohne richterliche Kontrolle für einen langen Zeitraum spottet jeder deutschen Rechtstaatlichkeit.
Die Regierung Merkel muss offen legen, was sie wusste, was sie unternommen hat und was sie zu tun gedenkt.
Es ist unglaubwürdig, dass sie bis heute behauptet, von diesen Vorgängen erst aus der Zeitung erfahren zu haben und immer nur stückchenweise das einräumt, was der Öffentlichkeit bereits bekannt ist.
Sie sollte darauf drängen, die Daten deutscher Staatsbürger unverzüglich zu löschen. Auch die amerikanischen Unternehmen und ihre europäischen bzw. deutschen Niederlassungen müssen erklären, in welchem Umfang sie welchen Diensten den Zugang zu den Kommunikationsdaten und -inhalten ihrer Nutzer gewährt haben und ob und inwieweit sie deutsches und europäisches Recht missachtet haben.
Im Übrigen muss vertraglich unterbunden werden, dass innerhalb der Europäischen Union (derzeit legale) Wirtschaftsspionage gegenüber Freunden möglich ist.
Zudem wollen wir wissen, wozu und wie die deutschen Behörden Instrumente wie XKeyscore nutzen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat eine Kleine Anfrage eingebracht, um diese offenen Fragen beantworten zu lassen.
Zunächst einmal sehe ich hier nicht die Gefahr einer Erpressung von einfachen Bürgern. Es ist aber durchaus vorstellbar, dass die Daten z. B. genutzt werden, um eine Einreise in die USA zu verweigern.
Zur Zeit sind allerdings noch sehr viele Fragen offen, die beantwortet werden müssen, damit wir eine fundierte Einschätzung der Lage vornehmen können. Eins ist aber jetzt schon klar: Wir brauchen ein modernes Datenschutzrecht auf europäischer Ebene und langfristig eine Art Völkerrecht fürs Internet.
Mit freundlichen Grüßen
Kirsten Lühmann