Frage an Kerstin Vieregge von Wolfgang E. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Vieregge,
ich habe eine Frage zur Doppelverbeitragung der Direktversichungen.
Ich habe meine Direktversicherung zu 100% aus eigenen Beiträgen aus meinem Nettoeinkommen finanziert. D.h. Steuern und Sozialabgaben habe ich in der Sparphase geleistet - und das seit 1976. Nach Meinem Verständnis handelt es sich bei dem angesammelten Kapitalstock in der Lebensversicherung um mein Eigentum. Darf der Staat auf mein Eigentum, die Kapitallebensversicherung, erneut mit 19% Krankenkassenbeiträgen zugreifen, und wenn ja, warum? Bitte keine Begründung, die da lautet, die Karlsruher Richter sagen das wäre rechtens. Gibt es in Deutschland noch einen Art. 14 GG oder nicht mehr?
Als besonders empörend, weil unanständig, empfinde ich übrigens den Rückgriff auf alle Leistungen die vor der Verabschiedung des Gesetzes 2004 erfolgt sind.
Mit freundlichen Grüßen
W. E.
Sehr geehrter Herr E.,
vielen Dank, dass Sie sich mit Ihrer Anfrage vom 22. Oktober an mich gewandt haben. Gerne möchte ich Ihrem Wunsch nachkommen und zur Frage der Verbeitragung von Versorgungsbezügen Stellung beziehen.
Wie Sie in Ihrem Schreiben richtig wiedergeben, sind Leistungen der betrieblichen Altersvorsorge sowie andere mit der Rente vergleichbare Einnahmen bzw. Versorgungsbezüge nach § 229 SGB V beitragspflichtig.
Lassen Sie mich zunächst deutlich aussprechen, dass ich Ihren Unmut über diese Regelung gut nachvollziehen kann: Es darf nicht sein, dass Beitragszahler in der Rente zu hoch belastet werden – und es ist richtig, dass wir dies gerade auch in den Fällen wie Ihrem berücksichtigen müssen, in dem durch eine private oder betriebliche Altersvorsorge darüber hinaus gezielte Vorkehrungen für eine gute Rente getroffen wurden. Deswegen werden wir auch in den kommenden Wochen erneut diskutieren, ob und wie wir gegebenenfalls Veränderungen vornehmen können.
Dennoch möchte ich Ihnen die Hintergründe erläutern, warum die Versorgungsbezüge beitragspflichtig sind.
2003 musste das Gesundheitssystems grundlegend reformiert werden, um dem hohen Defizit und Schulden von über acht Mrd. Euro in der gesetzlichen Krankenversicherung zu begegnen. Nur mit einem ganzen Maßnahmenpaket an schmerzhaften Maßnahmen und Einschnitten für die Versichertengemeinschaft konnten wir unser im internationalen Vergleich sehr gutes Gesundheitssystem aufrechterhalten. Die dabei vorgenommenen Einschnitte waren und bleiben notwendig, damit wir die Gesundheitsversorgung der Versicherten auch weiterhin finanzieren können, wenn bei der demographischen Entwicklung immer mehr ältere Menschen unter den Versicherten sind und – nicht zuletzt auch dank des medizinischen Fortschritts – schönerweise auch immer höhere Lebensalter erreicht werden.
Im Rahmen dieser Gesundheitsreform wurde eben auch von den Rentnern verlangt, die vollen Kassenbeiträge auf die Betriebsrenten zu zahlen: pflicht- und freiwillig Versicherte Rentner wurden in der GKV gleichgestellt, womit seit 2004 auch für pflichtversicherte Rentner der volle Beitragssatz auf ihre Versorgungsbezüge gilt.
Zugleich wird seit 2004 auch nicht mehr zwischen monatlichen Auszahlungen von Direktversicherungen und einmaligen Auszahlungen in Form von Kapitalabfindungen unterschieden. Dadurch wurde die Verbeitragung von Versorgungsbezügen gerechter, denn die Auszahlungsform alleine darf nicht darüber entscheiden, welche Beiträge zur GKV gezahlt werden müssen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Anordnung des vollen allgemeinen Beitragssatzes auf Versorgungsbezüge übrigens als verfassungsgemäß bestätigt und festgehalten, dass die Maßnahme zur Deckung einer zunehmenden Finanzierungslücke erforderlich und für die betroffenen Rentner zumutbar war (grundlegend siehe BVerfG, Beschluss vom 28. Februar 2008 - 1 BvR 2137/06).
Wenn wir nun über Änderungen und Gerechtigkeit diskutieren, müssen wir neben der nötigen Entlastung der Beitragszahler im Rentenalter auch die Frage der Generationengerechtigkeit gegenüber den jüngeren Beitragszahlern in den Blick nehmen: So steigt der Anteil von Rentnerinnen und Rentnern in der gesetzlichen Krankenversicherung stetig an – mit einem entsprechenden Anstieg an Leistungen der Krankenversicherten. Dadurch muss die jüngere Generation mehr zur Solidargemeinschaft beitragen als die vorherigen Jahrgänge. Momentan tragen Rentner selbst nur noch rund 40 Prozent ihrer Leistungsausgaben in der GKV mit ihren Beiträgen, während es 1973 noch circa 73 Prozent waren. Das heißt im Umkehrschluss, dass der größte Teil der Versorgungskosten, also rund 60 Prozent, von der Solidargemeinschaft der Versicherten insgesamt getragen wird. Deswegen trägt die Verbeitragung von Versorgungsbezügen zur Generationengerechtigkeit und der Beschränkung der Lohnkosten bei und entspricht daher grundsätzlich der Beitragsgerechtigkeit.
Wenn wir nun über Änderungen diskutieren, müssen wir daher auch ehrlich die finanziellen Auswirkungen betrachten, die zu erheblichen Beitragsausfällen in der gesetzlichen Krankenversicherung führen würden: Derzeit nimmt die GKV jährlich rund 5,7 Mrd. Euro aus der Verbeitragung von Versorgungs-bezügen der versicherungspflichtigen Mitglieder ein. Der größte Teil hiervon geht auf Beiträge für Leistungen der betrieblichen Altersvorsorge zurück. Eine Halbierung des Beitragssatzes auf Betriebsrenten würde daher zu jährlichen Beitragsausfällen in der GKV in Höhe von 2,5 Mrd. Euro führen. Eine komplette Rückabwicklung des GMG würde rund 40 Mrd. Euro kosten und hätte jährliche GKV-Mindereinnahmen von knapp drei Mrd. Euro im Jahr zur Folge. Diese Einnahmeausfälle wären durch andere Versicherte – und zwar auch von jenen mit gegebenenfalls geringeren Einnahmen mit auszugleichen oder durch das Absenken des Leistungsvolumens zu kompensieren. Beides würde wiederum zu Belastungen anderer Versicherter führen. Auch hier bedeutet das, dass damit zwangsläufig auch die künftigen Generationen zusätzlich belastet würden – sie müssten nämlich diese Einnahmeausfälle tragen.
Aus diesem Grund müssen wir die Gespräche darüber, wie eine Änderung so ausgestaltet werden könnte, dass die Belastungen für alle Betroffenen in der Versichertengemeinschaft verträglich ausgestaltet werden können, in Ruhe führen. Wir werden uns daher hier in der als Unionsfraktion erneut mit dem Thema beschäftigen, um seriöse Lösungsmöglichkeiten zu finden und anschließend einen schlüssigen Vorschlag vorzulegen.
Mit freundlichen Grüßen
Kerstin Vieregge