Frage an Kerstin Müller von Joachim G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Müller,
nach den Verordnungen Nr. 2580/2001 und 881/2002 der EG in Verbindung mit §34 Außenwirtschaftsgesetz sind Firmen und auch Privatpersonen unter Androhung von bis zu 5 Jahren Gefängnis gezwungen alle Personen auf bestimmten EG Listen mit einem Embargo zu belegen. Das heißt, diesen Personen darf kein Geld mehr ausgezahlt werden, keine Waren geliefert, keine Miete gezahlt usw...
Darüber hinaus hat der europäische Gerichtshof in erster Instanz festgestellt, dass die betroffenen Personen keinerlei Rechtsmittel haben um sich zu wehren.
Die verschiedenen Listen der EG, der Schweiz und der USA enthalten inzwischen mehr als 15.000 Einträge. Es gibt daher diverse Softwareanbieter, die den Firmen die Prüfung abnehmen (z.B. Sapper Institut)
In meiner Firma werden demnächst bei allen Geschäftsvorgängen diese Listen geprüft. Bei Namensgleichheit (unabhängig von der Adresse!) werden sofort alle Lieferungen und Zahlungen eingestellt. Wenn das (wie zu befürchten ist) viele Firmen und auch Banken machen, dann ist doch unser Rechtssystem nicht mehr gültig.
Zum Beispiel kann die US-Regierung einen Eintrag in der ´Denied Parties List´ machen und die gelistete Person und alle zufällig namensgleichen Personen sind dann in Deutschland ruiniert, - ohne Gerichtsverfahren, - ohne eine Möglichkeit sich zu wehren.
Ich habe die Sorge, dass mit dem Argument ´Terrorismusbekämpfung´ alles erlaubt ist!
Gibt es demokratische Kontrollmöglichkeiten um Missbrauch zu verhindern und Unschuldige zu schützen?
Mit freundlichen Grüßen
Achim Goffart
Sehr geehrter Herr Goffart,
danke für Ihre Mail vom 21. Mai 2008 auf www.abgeordnetenwatch.de.
Ich teile vollkommen Ihre Bedenken hinsichtlich der EG-Verordnungen 2580/2001 und 881/2002.
Wir haben als Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen bereits im März 2006 einen Antrag in den Bundestag eingebracht, mit dem wir fordern, "Rechtsschutzlücken bei Terrorbekämpfung" zu schließen
Bundestagsdrucksache 16/821, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/008/1600821.pdf
In diesem Antrag verlangen wir u.a. von der Bundesregierung, dass sie sich auf der Ebene der Vereinten Nationen und der Europäischen Union dafür einsetzt, dass
- Betroffene vor einer Listung angehört werden, damit sie sich gegen
Verwechslungen oder unbegründete Vorwürfe zur Wehr setzen können;
- Betroffenen ein angemessener Rechtsschutz zusteht;
- für zu Unrecht erlittene Schäden eine Entschädigung zu leisten ist.
Der Antrag ist im Januar dieses Jahres von der Mehrheit des Bundestages aber abgelehnt worden.
Möglicherweise wird der Europäische Gerichtshof zumindest den Rechtsschutz gegen die EG-Verordnung 881/2002 des Rates vom 27. Mai 2002 verbessern: Gegen die von Ihnen angesprochene Entscheidung des europäischen Gerichts erster Instanz hat der Kläger Rechtsmittel beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft eingelegt. In seinen Schlussanträgen -- die für den Gerichtshof eine Entscheidungsempfehlung darstellen -- hat der Generalanwalt im Januar 2008 festgestellt, dass die EG-Verordnung 881/2002 das Recht des betroffenen Klägers auf Eigentum, seinen Anspruch auf rechtliches Gehör und sein Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz verletzt. Bislang hat der Europäische Gerichtshof aber noch nicht abschließend in dieser Sache entschieden.
Ich bedauere sehr, Ihnen nicht weiterhelfen zu können.
Mit freundlichen Grüßen
Kerstin Müller, MdB