Frage an Kerstin Müller von Reinhard P. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Müller,
am 14. März verabschiedete die UNO-Vollversammlung eine Resolution, die die Zugehörigkeit der Republik Berg-Karabach zu Aserbaidschan bestätigte. Deutschland enthielt sich zusammen mit rund drei Viertel der UNO-Mitglieder der Stimme.
1. Sind Sie mit dem Abstimmungsverhalten der Bundesregierung einverstanden? Warum?
2. Halten Sie eine spätere Anerkennung der Republik Berg-Karabach (parallel zur Anerkennung der Unabhängigkeit Kosovas) für denkbar oder wünschenswert?
3. Unter welchen Umständen halten Sie eine Eingliederung Berg-Karabach in die Republik Aserbaidschans für möglich?
Berg-Karabach ist seit 20 Jahren faktisch unabhängig bzw. mit Armenien assoziiert. Stimmen Sie zu, dass nach so langer Zeit eine Eingliederung in einen (zudem verfeindeten) Nachbarstaat nicht mehr zumutbar ist? Immerhin hat Berg-Karabach noch nie zu Aserbaidschan gehört, zur Zeit der Sowjetunion war es ein autonomes Gebiet, das von Baku aus verwaltet wurde, aber kulturelle Eigenständigkeit hatte.
Vielen Dank für Ihre Antwort
Reinhard Pohl
Sehr geehrter Herr Pohl,
seit dem Ende der massiven bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Aserbeidshan und Armenien 1994 bemüht sich eine OSZE-Kommission, die sogenannte "Minsk-Gruppe" unter gemeinsamem Vorsitz der USA, Russlands und Frankreichs um Vermittlung im Konflikt um Nagornij Karabach. Auch Deutschland ist Mitglied dieser Gruppe. Dabei geht es um eine von beiden Seiten akzeptierte Lösung. Ausgangslage dieser Verhandlungen ist die völkerrechtliche Lage, derzufolge Nagornij Karabach Teil des Staates Aserbeidshan ist. Der interne, aus der Sowjetunion ererbte Status einer Autonomen Region ändert daran nichts.
Zwar haben diese Verhandlungen bis heute nur Teilerfolge gehabt, die vor allem den humanitären Bereich betreffen. Dennoch bleibt die Minsk-Gruppe als Vermittlungsgremium notwendig. Um die Chance einer Vermittlung zu wahren, muss sie zum einen neutral bleiben, zum andern darf sie nicht die völkerrechtlichen Grundlagen verletzen und die einschlägigen Resolutionen des UN-Sicherheitsrates konterkarieren. Diese haben seit 1994 mehrfach die territoriale Integrität Aserbeidshans bestätigt. Kein Staat, auch nicht Armenien, hat bis heute Nagornij Karabach als souveränen Staat anerkannt, geschweige denn eine Annektion des Gebiets durch Armenien.
Eine Abstimmung in der UN-Generalversammlung ist ein starkes Signal. Wenn sich Deutschland zusammen mit den meisten UN-Mitgliedern dort zu einem Antrag einer der Konfliktparteien oder in dessen Interesse - hier Aserbeidshan - der Stimme enthält, geschieht dies im Interesse der Neutralitätswahrung und ist deshalb angemessen im Hinblick auf die Vermittlerrolle. Denn natürlich muss dafür die Lösung offengehalten werden, solange sich weder ein Kompromiß abzeichnet noch allgemein dessen Aussichtslosigkeit festgestellt wird. Eine spätere Anerkennung ist insofern denkbar, als die Unabhängigkeit eine theoretisch mögliche Lösung ist. Aber sie ist als Selbstzweck nicht wünschenswert, sondern wünschenswert ist eine friedliche Lösung, die von beiden Seiten akzeptiert wird. Eine Parallelität des Konflikts um Nagornij Karabach und dem um das Kosovo besteht nur insofern, als beide sezessionistische Konflikte sind. Die historischen Hintergründe und die konkreten Umstände beider Konflikte sind aber sehr verschieden.
Natürlich ist die Frage der Zumutbarkeit einer Wiedereingliederung des Gebiets in den Staat Aserbeidshan nicht ohne Bedeutung. Aber auch hier kommt es auf die Umstände und die Bedingungen an. Die innere Verfaßtheit und die Einsicht in die notwendige Kooperation beider Seiten spielen ebenso eine Rolle, sogar ungeachtet des genauen Status von Nagornij Karabach.
Ich hoffe, Ihre Fragen damit ausreichend beantwortet zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Kerstin Müller, MdB