Frage an Kerstin Müller von Ursula N. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Müller,
bei einem Besuch in Köln habe ich eine großflächige Plakataktion wahrgenommen, die den Besuch des türkischen Ministerpräsidenten, Herrn Erdogan, ankündigt. Fast alle dieser Plakate sind in türkischer Sprache verfasst und sprechen von einem "Lideri" (Führer?)
Einige Plakate zeigen Herrn Erdogan, wie er über die deutsche Nationalfahne läuft, deren roter Streifen von einem Halbmond, also dem Symbol der türkischen Nationalfahne dargestellt wird.
Dies erzeugt ein unbehagliches Gefühl in mir und die Frage, ob es erlaubt ist, die deutsche Nationalfahne so abzuwandeln? Es gibt zum Beispiel in der Türkei einen Paragraphen, der "Beleidigung des Türkentums" vorsieht. Gibt es Ähnliches in Deutschland auch?
Ist es in Deutschland erlaubt, die deutsche Nationalfahne nach eigenem Gusto verändert, offiziell darzustellen? Meines Wissens nach wurde das von türkischen Verbänden initiiert. Wie viel Macht haben türkische Verbände in Deutschland bereits? Ich denke hier vor allen Dingen an DITIB, eine Außenstelle der türkischen Religionsbehörde, die in Deutschland Grundstück um Grundstück kauft und so als Eigentum dem türkischen Staat zuträgt.
Kann es sein, dass man in Deutschland seitens der Verantwortlichen ein wenig zu blauäugig und zu nachgiebig ist, oder muss/soll die o. e. Plakataktion wieder als liebevoller Annäherungsversuch gewertet werden?
Ihrer Nachricht sehe ich gerne entgegegen.
Mit freundlichen Grüßen
Ursula Nurkowski
Sehr geehrte Frau Nurkowski,
nach unseren Recherchen ist der Begriff „Lider“ in Türkisch eine Übernahme des englischen „Leader“ und wird in der aktuellen Sprachregelung der Türkei häufig für Parteivorsitzende und führende Spitzenpolitiker verwendet.
Rechtlich sei angemerkt, dass in der Tat eine Bestimmung des Strafgesetzbuchs die "Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole" unter bestimmten Voraussetzungen unter Strafe stellt. Das ist der § 90a StGB.
Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer die Flagge der Bundesrepublik Deutschland verunglimpft (Abs. Nr. 2). Eine Verächtlichmachung müsste aber auch böswillig erfolgen. Der Täter muss in Kenntnis des Unrechts aus bewusst feindlicher Gesinnung gehandelt haben. Hinzu kommt noch, dass der Schutzbereich von Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (Meinungsfreiheit) zu beachten ist. Dieser Schutz der Meinungsfreiheit geht sehr weit, das gilt auch für die Stützung von Werturteilen. So ist es unzulässig, wegen mehrdeutiger Äußerungen zu verurteilen.
Die Farben der deutschen Nationalfahne sind im Rahmen der Kunstfreiheit und Freiheit der Meinungsäußerung legitim verfügbar. Eine Beleidigung muss nachweislich sein, allein die Benutzung dieser Farben für die gestalterischen Zwecke ist keine Beleidigung.
Ob wir es hier mit einer möglichen Straftat i.S. des § 90a StGB zu tun haben, lässt sich nur durch eine genaue Prüfung des Sachverhalts ermitteln. Das gilt für die gesamte "Tathandlung" inklusive der Gestaltung des Plakats. Nach der Beschreibung zu urteilen, erscheint es eher fraglich, ob hier wirklich ein zudem noch "böswilliges" "Verächtlichmachen" gegenüber den Bürgern der Bundesrepublik erfolgt ist. Schließlich ist die beschriebene Darstellung keine Beschimpfung der Bundesrepublik als "Unrechtsstaat, Land der Verräter“ oder ähnliches, was in der Vergangenheit zu Verurteilungen geführt hat. Adressat war wohl auch eher die türkische Gemeinschaft und nicht die deutschstämmige Wohnbevölkerung. Allerdings wäre das von der Staatsanwaltschaft zu prüfen, d.h. Sie könnten einen Strafantrag stellen.
Einen Paragraph 301 wie im türkischen Strafgesetzbuch gibt es in der Bundesrepublik nicht. Außerdem ist dieser Paragraph „Beleidigung des Türkentums“ trotz der Reformierung ein undemokratischer Paragraph, der möglichst bald und ersatzlos abgeschafft werden muss. Wir Grünen fordern seine Abschaffung seit langem. Diesen Paragraphen mit der Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole gleich zu setzen, kommt einer Diffamierung unserer demokratischen Gepflogenheiten gleich.
Wie viel Macht und Geld die türkischen Verbände haben, kann ich als Bundestagsabgeordnete nicht beantworten. Es gibt den Weg der direkten Kommunikation mit diesen Verbänden. Unterstellungen und Verschwörungstheorien sind keine sauberen Mittel für politische Auseinandersetzungen.
Mit freundlichen Grüßen
Kerstin Müller, MdB