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Kerstin Müller
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Frage von Winfried S. •

Frage an Kerstin Müller von Winfried S. bezüglich Finanzen

guten tag!

kürzlich wurde die mehrwertsteuer heraufgesetzt - das bedeutet eine deutliche mehrbelastung für den "normalen" verbraucher. nun wird aber eine steuerreform geplant, die unternehmen um 10 prozentpunkte entlasten soll - und das, obwohl die wirtschaft boomt. mir kommt das höchst ungerecht vor - warum wird die industrie nicht stärker belastet? die hypothese, dass höhere profite der großen firmen automatisch zu mehr arbeitsplätzen führen, ist ja längst widerlegt. warum wird die linderung der überall spürbaren finanznot der öffentlichen hand nicht auch der industrie aufgebürdet?

mir ist klar, dass die Grünen in der opposition sind - aber ich hätte dennoch gern gewusst, ob Ihre partei strategien zur verhinderung einer solchen steuerpolitik hat und welche alternativen konzepte zu dieser finanzpolitik sie vertritt.

besorgt grüßt
Winfried Schumacher

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Schumacher,

haben Sie vielen Dank für Ihre Fragen zur grünen Haushaltspolitik.

Ich teile Ihre Kritik sowohl an der Mehrwertsteuererhöhung als auch an der geplanten Steuerreform. Der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland hat während des Jahres spürbar an Fahrt aufgenommen. Für das Jahr 2006 wird mittlerweile mit einem Wirtschaftswachstum von über zwei Prozent gerechnet. Dadurch öffnet sich ein Reformfenster für eine nachhaltige Konsolidierungspolitik im Haushalt 2007. Die wirtschaftliche Belebung zu unterstützen, konjunkturbedingte Mehreinnahmen zur Reduzierung der Nettokreditaufnahme zu verwenden, die Lohnnebenkosten mittelfristig spürbar zu senken sowie mit einer eindeutigen Schwerpunktsetzung die haushaltspolitischen Weichen für die Zukunft zu stellen, markieren die Eckpfeiler für die grüne Haushaltspolitik.

Eine wachstumsorientierte Haushaltspolitik erfordert eine in den Bereichen Steuern und Sozialabgaben aufeinander abgestimmte Politik. Die zum 1. Januar 2007 in Kraft tretende abrupte dreiprozentige Mehrwertsteuererhöhung ist wirtschaftspolitisch falsch. Allenfalls vertretbar wäre eine schrittweise Anhebung – zum Beispiel in drei Jahresschritten, wenn die Mehreinnahmen vollständig zur Senkung der Lohnnebenkosten verwendet werden würden. Die Einnahmen aus einem Mehrwertsteuerpunkt plus rund acht Milliarden € der diesjährigen Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit sollen dazu verwendet werden, ab 1. Januar 2007 die Einführung des grünen Progressivmodells zu finanzieren, um schwerpunktmäßig geringe Einkommen deutlich von den Sozialabgaben zu entlasten. Mittels dieses Konzepts werden höhere Beschäftigungserfolge als durch eine von der großen Koalition geplante lineare Beitragssatzsenkung erzielt.
Investitionen in Zukunftsbereiche legen darüber hinaus den Grundstein für eine nachhaltige Entwicklung. Mehrausgaben in den Bereichen Bildung und Forschung, Ökologische Modernisierung sowie die Entwicklungszusammenarbeit stellen dabei die wichtigsten Kernelemente dar.
Trotz der Steuermehreinnahmen in Höhe von 20 Milliarden € und zusätzlichen Mehrerlösen aus Privatisierung von 2,6 Milliarden € gegenüber dem Vorjahr gelingt es der Regierung gerade einmal, die Nettokreditaufnahme um 16 Milliarden € zurückzuführen. In der Finanzplanung bis zum Jahr 2010 schrammt die Bundesregierung bei der Nettokreditaufnahme kontinuierlich an der verfassungsrechtlich erlaubten Grenze vorbei. Lediglich um 500 Millionen € soll die Neuverschuldung jährlich gesenkt werden. Dies verstößt nicht nur gegen eine Politik der Nachhaltigkeit, sondern auch gegen den Stabilitätspakt. Der Bundesfinanzminister glaubt offensichtlich, dass mit der Einhaltung der dreiprozentigen Defizitgrenze die Hausaufgaben erledigt seien. Der Bundeshaushaushalt muss jedoch vielmehr konjunkturgerecht gesteuert werden. Dies bedeutet, in guten Zeiten zu sparen, um in schlechten Zeiten genügend haushaltspolitische Spielräume zu besitzen.

Mit freundlichen Grüßen nach Köln-Nippes,

Kerstin Müller