Frage an Kerstin Kassner von Alexander H. bezüglich Umwelt
Liebe Frau Kassner,
mich interessiert, wie Sie zum Thema Wirtschaftswachstum stehen!
Würden Sie dem Umwelt-/Naturschutz eine größere Rolle zugestehen, als es momentan der Fall ist!? Befürworten Sie die Gründung neuer/weiterer Nationalparks und Naturschutzgebiete!? ...und meinen Sie nicht, dass mehr Demokratie machbar wäre, beispielsweise durch Volksabstimmungen oder imperative Mandate (vgl. Räterepublik)!?
Liebe Grüße,
A. Haustein
Liebe Frau Haustein,
das ist schön, dass Sie sich aktiv in das Wahlgeschehen einbringen und sich Gedanken machen zu Entwicklungsperspektiven unserer Gesellschaft und Fragen der Demokratie.
Dies sind schließlich Fragen, die uns alle angehen und die nun auch nicht mehr ewig auf eine Lösung warten können.
Ich bin überzeugt, dass immer mehr Menschen begreifen, dass ein weiteres Setzen auf Wachstum wie bisher aus den verschiedensten Gründen überhaupt nicht funktionieren kann. Zum einen erschöpfen sich die Rohstoffe, zum anderen schädigen wir unsere Umwelt in nicht gekanntem Ausmaß. Und wir vergrößern beständig die Spannungen zwischen den Menschen, die am Wohlstand teilhaben und den vielen, die ausgeschlossen sind. Nun wird jede Abkehr von der Wachstumsideologie gleich als Schreckenszenarium gebrandmarkt. Das sollte uns nicht hindern, darüber nachzudenken, wie wir künftig leben wollen und können. Es ist ja nicht unbedingt so, dass mehr Besitz und noch mehr Leistungsangebote uns wirklich immer auch glücklicher machen. Viele Menschen würden schon heute gern auf mehr Konsum verzichten, wenn sie einem geringerem Leistungsdruck am Arbeitsplatz ausgesetzt wären. Mit einem anderen Gesellschaftssystem, bei dem nicht der Gewinn für die wenigen, sondern das Wohlergehen der Gesellschaft insgesamt im Mittelpunkt stände, könnten wir mit Sicherheit einen besseren Umgang mit den Ressourcen und unserer Umwelt erreichen. Dazu gibt es an vielen Stellen immer wieder ermutigende Ansätze. Wir haben gehört von der Durchsetzung von Bürgerhaushalten in Porto Allegré, von der Besetzung verwaister Dörfer in Spanien durch junge Leute, die dort wieder ein Dorfleben entstehen lassen oder auch von immer mehr Bürgergenossenschaften, die in Deutschland mit der Energiewende entstehen. Solche Initiativen finde ich sehr unterstützenswert, weil wir viel aus ihnen lernen können und sie vielleicht auch nachmachen können.
Was den Natur- und Umweltschutz betrifft, haben wir schon einiges erreicht, sind aber längst noch nicht gut genug. Ein Ausgleich zwischen Wirtschafts- und Umweltinteressen ist eine dauerhafte Aufgabe, die beiden Seiten viel Verständnis füreinander und Akzeptanz abfordert. Davon sind wir an vielen Stellen noch ein ganzes Stück entfernt. Eine frühzeitige Bürgerbeteiligung halte ich unbedingt für sinnvoll, wenn es um Investitionen in wirtschaft und Infrastruktur geht. Dafür müssen bestimmt auch noch sinnvolle Methoden und Strukturen entwickelt werden, die einen solchen Prozess fair moderieren und in Gang halten können.
Ich finde, wir haben mit der Ausweisung von Schutzgebieten auf Rügen das Richtige getan, nicht nur für den Naturschutz und den Tourismus, sondern auch für die Bürgerinnen und Bürger der Insel. Ich hätte es durchaus begrüßt, wenn Rügen insgesamt Naturpark geworden wäre. Leider war die Mehrheit des Kreistages damals anderer Meinung. Dennoch denke ich, dass wir noch viele Hausaufgaben gemeinsam zu erledigen haben, um Schutzziele auch permanent umzusetzen. Dazu zähle ich zum Beispiel die Erarbeitung von Managementplänen für FFH-Gebiete.
Viele sprechen inzwischen von einer Krise der repräsentativen Demokratie und verzeichnen eine große Politikverdrossenheit. Auf der anderen Seite haben wir unsere Erfahrungen gemacht mit anderen, ergänzenden Demokratieformen. Für mich sind die Runden Tische eine wesentliche Einrichtung der Wende, die leider viel zu schnell verschwunden sind. Auch die von Ihnen erwähnten Räte sollten wir wieder auf die Tagesordnung setzen. Genau mit diesem Punkten beschäftigte sich übrigens die Journalistin Daniela Dahn bei ihrer letzten Lesung in Putbus, wo es um ihr aktuelles Buch „Wir sind der Staat! Warum Volk sein nicht genügt“.
Ja, und auch beim Thema Volksabstimmung, mehr direkte Demokratie kann ich Ihnen nur zustimmen. Gerade das Internet hat völlig neue Wege eröffnet, um Bürgern mehr Einmischen, Mitbestimmung zu eröffnen. Auch wenn wir hier noch ganz am Anfang stehen, so zeigen sich schon heute große Potentiale und ich freue mich, dass sich Menschen dafür begeistern, darunter viele junge und kreative Köpfe.
Bleiben wir also gemeinsam neugierig auf die Zukunft und mischen uns ein, wo immer es notwendig ist.
Mit freundlichen Grüßen
Kerstin Kassner