Frage an Kerstin Griese von Reinhard N. bezüglich Jugend
Sehr geehrte Frau Griese,
ich habe mit Interesse ihre Ausführungen im Bundestag vom 22.11. betreffend der Gesetzesvorlage zur Beschneidung von Jungen verfolgt. Dazu hätte ich einige Fragen:
1. Wie wollen sie das Vetorecht des Kindes überprüfen, das sie in ihren Ausführunge als so wichtig erachtet haben. Wer interpretiert, dass das Kind der Beschneidung nicht zustimmen will, über deren Konsequenzen es sich aufgrund des Alters gar nicht bewusst sein kann. Bei den kosmetischen Operationen geht man bei 18 jährigen davon aus, dass sie sich der Tragweite noch nicht bewusst sind, bei einem Kind soll das aber schon so sein? Für mich klingt das sehr nach einer Alibiaktion, damit behauptet werden kann, dass man das Kind zu Wort kommen lässt. Wird zumindest vorgesehen, dass jedes Kind vor der Beschneidung alleine mit einem anderen Artz (der die Beschneidung nicht durchführt) reden darf?
2. Haben sie sich Gedanken darüber gemacht, dass nicht die Beschneidung der Kern des Problems darstellt sondern die Langzeitwirkung? Haben sie Langzeitauswirkung in ihren Abwägungen mit Berücksichtigt? Haben sie auch Gespräche mit Betroffenen geführt ?
3. Glauben sie, dass ein Kind, das mit dem Begriff "Religion" auf Grund seines Alters (und der Gesetzgeber hat hier die Grenze von 14 Jahren definiert) nichts anfangen kann von einer Religionsgemeinschaft ausgeschlossen/ausgegrenzt wird, wenn es nicht beschnitten wäre. Wenn dem so wäre, so würden gerade die Eltern bzw. die Religionsgemeinschaft die Religionsfreiheit verletzen, denn nur Aufgrund eines äussern Zeichens wäre es ein Mitglied, und wenn dieses Zeichen nicht vorhanden ist, wäre man nicht Mitglied der Gemeinschaft. Wenn dem nicht so ist, dann ist eine Beschneidung nicht notwendig, bis das Kind selber darüber urteilen kann. Können sie mir diese Frage bitte beantworten.
Vielen Dank für ihre Antwort,
mit freundlichen Grüssen
Reinhard Niederländer
Sehr geehrter Herr Niederländer,
vielen Dank für Ihr Interesse an der Bundestagsdebatte. Mir hat die Diskussion im Plenarsaal gefallen, weil sie sachlich war und auf Polemiken verzichtet hat. Außerhalb des Bundestages habe ich hingegen Auseinandersetzungen erlebt, bei denen insbesondere die jüdischen und muslimischen Bürgerinnen und Bürger unseres Landes in nicht hinnehmbarer Weise pauschal beleidigt wurden.
Gerne möchte ich Ihre Frage beantworten:
1. Unter 14-jährige Kinder haben eigene Rechte, aber ihre Eltern müssen und sollen grundlegende Entscheidungen für sie fällen, wie zum Beispiel beim Religionsunterricht oder der Taufe. Kindern dies abzuverlangen, wäre in keiner Weise altersgerecht, denn sie können die Tragweite nicht abschätzen. Deswegen haben Sie mit den in ihrer Frage getroffenen Feststellungen recht - und deshalb braucht sich auch bei der Beschneidung kein Junge zu entscheiden. Es wird ihnen aber ein Vetorecht eingeräumt, das Recht, „nein“ zu sagen - nicht mehr und auch nicht weniger.
2. Selbstverständlich hat dies eine große Rolle für meine Entscheidung gespielt. Ich habe mit sehr vielen Betroffenen aus der jüdischen und muslimischen Community unseres Landes gesprochen - mit ihnen, und nicht über sie. Genau das war mir sehr wichtig.
3. Wir tun gut daran, Menschen aus anderen Kulturkreisen unseren eigenen christlich-säkular geprägten Standpunkt nicht aufzuzwingen. Denn viel zu oft wird bei uns Religionsfreiheit als „Freiheit von Religion“ interpretiert. Das ist nämlich falsch. Zur Religionsfreiheit gehört sowohl die Möglichkeit des Aufwachsens in einem religiös-kulturellen Umfeld als auch das Recht, sich als Jugendlicher oder Erwachsener (auch als Mutter oder Vater) gegen die Religion seiner Eltern zu entscheiden. Dies sind zwei Seiten der selben Medaille.
Weitere Informationen können Sie gerne in meinem in der Berliner Republik erschienenen Artikel „Alle wissen schon Bescheid“ -
http://www.b-republik.de/archiv/alle-wissen-schon-bescheid - nachlesen.
Mit freundlichen Grüßen
Kerstin Griese