Frage an Kerstin Griese von Torsten N. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Griese,
ich schreibe ihnen aus dem Vivantes-Klinikum Berlin, wo ich aktuell auf meine Frau warte, die in diesem Moment unser gemeinsames, ungeborenes Wunschkind nach der medizinischen Indikation einer schweren geistigen Behinderung abtreibt. Nach einer systemisch bedingten, nahezu dreiwöchigen Wartezeit auf das Untersuchungsergebnis, dessen 50%ige Wahrscheinlichkeit auf die o.g. Behinderung bereits im Voraus feststand, konnte 18 Stunden nach abschließender Diagnose der Abbruch unter Vollnarkose stattfinden. Wäre es auch nur zu einer 24stündigen Verzögerung gekommen, wäre diese Art der Unterbrechung aufgrund der dann erreichten 14. Woche nicht mehr möglich gewesen. Stattdessen hätte meine Frau dann bei vollem Bewusstsein das Kind "ausstoßen" - so der medizinische Fachbegriff - also gebären müssen. Was eine solche Prozedur an seelischen Narben hinterlassen würde, will ich hier nicht weiter ausführen.
Umso entsetzter war ich, als ich aus der Presse erfahren musste, daß durch die nun beschlossene Gesetzgebung zukünftig auch in einem solchen Fall die zusätzliche Wartefrist eine für die Patentin erträgliche Methode zur Unterbrechung der Schwangerschaft verhindert.
Da wir bereits ein behindertes Kind haben, welches enorme Energie bindet, stand der Wunsch eines Abbruches bei positivem Ergebnis bereits im Vorfeld fest. Im Ergebnis hat das Gesetz in unserem Fall dazu geführt, daß unser Kinderwunsch nicht mehr erfüllbar sein wird. Die unnötig auferlegten Belastungen einer eventuell nun noch späteren Unterbrechung mit o.g. Folgen sind nicht mehr verantwortbar.
Meine Frage an Sie ist, ob ein konkretes Wissen um eine wahrscheinliche Behinderung über einen Zeitraum von 3 Monaten aus ihrer Sicht nicht ausreicht, um nach abschließendem Testergebnis eine sofortige Entscheidung treffen zu können, oder ob ein solcher Fall schlichtweg nicht bedacht wurde bzw. aufgrund seines seltenen Vorkommens als "Kollateralschaden" in Kauf genommen wurde.
MfG, Torsten Neudert
Sehr geehrter Herr Neudert,
die Diskussionen um die so genannten Spätabtreibungen waren sehr schwierige ethische Abwägungen. Dabei habe ich viele Gespräche sowohl mit Frauen, die in einer ähnlich belastenden Situation waren, wie die von Ihnen geschilderte, als auch mit Beraterinnen, Ärztinnen und Ärzten und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geführt.
Ein Abbruch mit der Begründung, dass das Kind voraussichtlich behindert sei, ist in Deutschland aus gutem Grund nicht erlaubt. Sondern wir müssen dafür sorgen, dass bei uns ein Leben mit einer Behinderung möglich ist. Mit unserer Gesetzesänderung bleibt die medizinische Indikation unangetatstet.
Die Neuregelung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes sieht jetzt eine Verpflichtung des Arztes vor, nach einer Diagnose die Schwangere zu beraten und - wenn sie es möchte - in eine psychosoziale Beratung zu vermitteln und Kontakte zu entsprechenden Stellen herzustellen. Dies ist an eine dreitägige Bedenkzeit geknüpft. Die Dauer der Bedenkzeit in das Belieben des Arztes zu stellen, halte ich für nicht angemessen.
Entscheidend ist für mich: Es geht darum, der betroffenen Frau alle denkbaren Hilfen und Beratungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Die Entscheidung, ob ein Austragen des Kindes die Gesundheit einer Schwangeren gefährdet, kann und muss sie letztlich gemeinsam mit dem Arzt / der Ärztin fällen. Uns war bei dieser Gesetzesänderung wichtig, dass Beratung und Hilfe für die betroffenen Frauen gestärkt werden, damit jede individuell zu einer Entscheidung kommen kann, mit der sie später leben kann.
Ich wünsche Ihrer Frau und Ihnen alles Gute für die Zukunft.
Mit freundlichen Grüßen
Kerstin Griese