Was sagen Sie denn zu den Waffenlieferungen in die Ukraine und den 100 Mrd. für die Aufrüstung der Bundeswehr? Haben Sie den Eindruck, dass Sie und die Grünen dafür gewählt wurden?
Sehr geehrter Herr L.,
leider leben wir in keinen Zeiten mit einfachen Antworten.
Zunächst ist festzuhalten, dass ich den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine auf das Schärfste verurteile. Wir sind Zeugen eines eklatanten Bruchs des Völkerrechts mitten in Europa. Wir stehen fest an der Seite der Ukraine, ihrer Bevölkerung und ihres in der UN-Charta verbrieften Rechts auf Selbstverteidigung, Freiheit und Selbstbestimmung.
Der Verlauf des Krieges zwingt auch zur Anpassung der Unterstützung der Ukraine. Dies hat Deutschland getan. Deutschland ermöglicht in Abstimmung mit anderen NATO-Partnern, die Lieferungen schwerer Waffen. Immer wieder muss überprüft werden, ob weitere Waffen abgegeben werden können, die dann zeitlich versetzt nachgeschoben werden können. Weitere Schritte gehen wir zusammen mit unseren internationalen Partnern.
Die Einigung zum Sondervermögen ist kein einfacher Kompromiss, ein Scheitern wäre in dieser Sicherheitslage aber keine Option. Wir stärken die Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit. Dazu gehören für uns auch Maßnahmen zur Cybersicherheit, die Unterstützung von Partnerstaaten und der Zivilschutz, die über den Bundeshaushalt finanziert werden. Es ist unser Erfolg, dass das NATO-2-Prozent-Ziel nicht im Grundgesetz verankert wird. Vielmehr geht es darum, zu prüfen, welche Fähigkeiten die Bundeswehr zum jeweiligen Zeitpunkt genau braucht und bedarfsgerecht zu investieren, um die NATO-Fähigkeitsziele zu gewährleisten. Wir sorgen dafür, dass unsere Parlamentsarmee funktionsfähig ist und wir unserer Bündnisverantwortung in der EU, NATO und UN gerecht werden.
Nach 16 Jahren unter Unions-Verteidigungsminister*innen und deren Fehlentscheidungen ist die Bundeswehr in einem materiell schlechten Zustand. Bei Beschaffungsentscheidungen wurde regelmäßig nach Wahlkreisinteressen und nicht nach Bedarf der Bundeswehr entscheiden. Es wurde zu lange auf Verschleiß gefahren und es fehlt an einfachster Grundausstattung. Die Bundeswehr braucht ausreichend Ausrüstung, die funktioniert, um ihre verfassungsgemäßen Aufträge uneingeschränkt und verzögerungsfrei zu erfüllen.
Durch die Überjährigkeit des Sondervermögens bieten sich auch neue haushalterische Möglichkeiten, die die Beschaffung von Großprojekten vereinfachen. Die parlamentarische Kontrolle der Beschaffung haben wir ins Gesetz geschrieben und damit gestärkt. Zudem haben wir in den Haushaltsberatungen durchgesetzt, dass uns das Verteidigungsministerium vierteljährlich berichtet, welche Fortschritte es bei der Reform des Beschaffungswesen gibt.
Im Errichtungsgesetz haben wir festgehalten: „Unabhängig vom Sondervermögen werden zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit Maßnahmen zur Cybersicherheit, Zivilschutz sowie zur Ertüchtigung und Stabilisierung von Partnern über den Bundeshaushalt finanziert.“
Unser grünes Verständnis eines erweiterten Sicherheitsbegriffs schließt u.a. Krisenprävention, Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe ein. In den letzten Wochen haben wir in der Ampel-Koalition den erweiterten Sicherheitsbegriff mit Leben und Haushaltsmilliarden gefüllt. Mit zusätzlichen 60 Milliarden für den Energie- und Klimafonds und neuen Mitteln für die internationale Klimafinanzierung investieren wir in Energieun- abhängigkeit und stellen allein in diesem Jahr über vier Milliarden für Ernährungssicherheit zur Verfügung. Wir haben im parlamentarischen Verfahren zum Bundeshaushalt 2022 zusätzliche substanzielle Mittel für Krisenprävention, Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit auf den Weg gebracht. Damit sind wir dem 1:1 Ziel im Haushalt 2022 deutlich näher gekommen als ursprünglich vorgesehen. Wir setzten uns jetzt erst recht für die Einhaltung unserer Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag im nächsten Bundeshaushalt ein: „Die Ausgaben für Krisenprävention, Humanitäre Hilfe, AKBP und Entwicklungszusammenarbeit sollen im Maßstab eins-zu-eins wie die Ausgaben für Verteidigung steigen“.
Schließlich ist mit Investitionen in die Sicherheit nicht nur das Militär gemeint, sondern auch die energiepolitische Sicherheit. Wir müssen dringend die Unabhängigkeit unserer Energieversorgung von Russland herstellen. Wir dürfen nicht mehr abhängig sein von fossilen Rohstoffen, die wir importieren. Auch das ist Sicherheitspolitik pur.
Das Zusammenspiel einer Vielzahl von Maßnahmen ist damit eindeutig notwendig und von uns geplant. Zum Beispiel unterstützten wir gleichzeitig die mutigen Demonstrantinnen und Demonstranten in Russland, die für Menschen- und Bürgerrechte, für ein friedvolles Russland sowie die Überwindung des postsowjetischen Erbes und großrussischer imperialistischer Denkmuster eintreten. Die Kritik an der russischen Regierung ist dabei keinesfalls gleichzusetzen mit den Bürgerinnen und Bürgern Russlands und zielt nicht auf die in Deutschland lebenden Menschen mit russischen Wurzeln ab, sondern richtet sich ausdrücklich an Wladimir Putin und seiner Unterstützerinnen und Unterstützer. Über drei Jahrzehnte nach dem Ende der Sowjetunion verdienen die Bürgerinnen und Bürger Russlands ein frei gewähltes Parlament, eine demokratische Regierung und ein friedliches Nebeneinander in völkerrechtlich anerkannten Grenzen mit den Nachbarstaaten. Für ein demokratisches Russland, das zur regelbasierten Friedens- und Sicherheitsordnung zurückkehrt, steht die Tür zu unserem gemeinsamen europäischen Haus offen.
Mit freundlichen Grüßen
Katrin Uhlig