Frage von Petra A. •

Welche Positionen vertritt Ihre Partei in Fragen, die für Säkulare von besonderem Interesse sind?

Welche Positionen vertritt Ihre Partei in Fragen, die für Säkulare von besonderem Interesse sind? Z.B.:

- Klare Trennung von Staat und Religion

- Reformmöglichkeiten beim diskriminierenden kirchlichen Arbeitsrecht,

- Ablösung der Staatsleistungen,

- Schwangerschaftsabbruch und Suizidhilfe

- Gleichstellung konfessionsfreier Menschen

- Ethikunterricht und klare Trennung von Religion und Bildung

Mit freundlichen Grüßen Al D.

Portrait von Katrin Schmidberger
Antwort von
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sehr geehrte Frau Al D.,

vielen Dank für Ihre Fragen zu unserer Programmatik. Gerne möchte ich der Reihe nach auf die verschiedenen von Ihnen genannten Aspekte eingehen:

Klare Trennung von Staat und Religion

Deutschland ist kein säkularer Staat wie etwa Frankreich, sondern hier gibt es eine grundgesetzlich festgeschriebene „freundliche“ Beziehung zwischen Religionen und Staat.

Ich zitiere dazu das Bundesverfassungsgericht:

"Nach dem Grundgesetz gewährleistet die Glaubensfreiheit dem einzelnen einen Rechtsraum, in dem er sich die Lebensform zu geben vermag, die seiner Überzeugung entspricht, mag es sich dabei um ein religiöses Bekenntnis oder eine irreligiöse - religionsfeindliche- oder religionsfreie - Weltanschauung handeln. Insofern ist Glaubensfreiheit mehr als religiöse Toleranz, d.h. bloße Duldung religiöser Bekenntnisse oder irreligiöser Überzeugungen." BVerfGE 12 1. Rn. 7 

"... die dem Staat gebotene religiös-weltanschauliche Neutralität ist indes nicht als eine distanzierte im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche, sondern als offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung zu verstehen. Ar. 4 Abs.1 und 2 GG gebietet auch im positiven Sinn, den Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern." BVerfG, Urt. d. zweiten Senates v. 24.09.2003 - 2 BvR 1436/02 -, Rn.42,43.

Bündnis 90/Die Grünen stehen zu diesem im Grundgesetz festgeschriebenen Verhältnis von Religionen bzw. Weltanschauungen und Staat, wollen aber an einigen Stellen Änderungen in der konkreten Ausgestaltung erreichen. Ihre nächste Frage nennt ein Beispiel dafür.

Reformmöglichkeiten beim diskriminierenden kirchlichen Arbeitsrecht

Klar ist: Das Antidiskriminierungsrecht muss überall gelten. Die Zugeständnisse an Tendenzbetriebe müssen eng ausgelegt werden. Die Kirchen haben sich in dieser Frage bewegt, aber das genügt nicht. Entsprechende Forderungen sind deswegen seit eh und je Teile unserer Wahlprogramme.

Ablösung der Staatsleistungen

Die Erfüllung des grundgesetzlich festgeschriebenen Auftrages, die Staatsleistungen abzulösen ist ebenfalls schon immer im Wahlprogramm, konnte aber erst in dieser Legislatur so weit konkretisiert werden, dass man sich im Herbst 2023 auf den Weg der Umsetzung hätte machen können. Wie Sie sicher wissen hätte es dazu das Einverständnis der Bundesländer gebraucht. Wir hätten es im Herbst letzten Jahres mit einer Rahmengesetzgebung versucht, die ohne Zustimmung der Länder im Bundesrat hätte verabschiedet werden können – ein Versuch, endlich voran zu kommen.

Ausführlich dargestellt finden Sie diesen Sachverhalt hier:
https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/kirchen-staatsleistungen-100.html
https://www.deutschlandfunk.de/ampel-koalition-will-staatsleistungen-an-kirchen-abloesen-100.html

Schwangerschaftsabbruch und Suizidhilfe

Zur Abschaffung des § 218 engagieren wir Grünen uns schon sehr lange, seit Monaten gibt es hierzu eine Kampagne und wir sind auf den verschiedenen Demos unterwegs. Im Wahlprogramm steht dazu:

Wir wollen, dass selbstbestimmte Schwangerschaftsabbrüche nicht mehr in § 218 des Strafgesetzbuches kriminalisiert, sondern grundsätzlich außerhalb des Strafrechts geregelt werden. Entsprechend den Empfehlungen der Fachkommission zur reproduktiven Selbstbestimmung, soll in der Frühphase einer Schwangerschaft der Abbruch rechtmäßig sein und für die mittlere Phase ein gesetzlicher Rahmen geschaffen werden.“

Und zum selbstbestimmten Sterben steht dort:

Zu einem Leben in Würde gehört auch ein Sterben in Würde. Das Recht auf selbstbestimmtes Leben schließt – nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts – selbstbestimmtes Sterben frei von Druck ein. Unser Ziel ist es, dass dieses Urteil in der Praxis umgesetzt werden kann.“

Gleichstellung konfessionsfreier Menschen

Niemand hat Nachteile davon, wenn sie*er nicht religiös oder konfessionell gebunden ist. Nachteile haben zum Teil Menschen, die ihre Religion leben wollen: jüdische Student*innen, die an Tagen mit religiösem Arbeitsverbot (z.B. Schabbat) Prüfungsvorbereitungen haben oder Prüfungen ablegen sollen und diese Termine nicht wahrnehmen können, Verbote von religiöser Kleidung (Kopftuch) etc., Kinder, die an religiösen Feiertagen keine freien Tage bekommen, um mit der Familie zu feiern usw. Hier gibt es einiges, was verändert werden muss.

Ethikunterricht und klare Trennung von Religion und Bildung

Bildung über Religion gehört selbstverständlich zum unverzichtbaren Bildungskanon. Bildende Kunst, Musik und Literatur sind nicht zu verstehen, ohne religiöse Figuren, Erzählungen, Kontroversen erkennen zu können. Ohne das werden wir blind für Symbolik und künstlerische Interpretationen unserer Geistesgeschichte. Wenn z.B. auf einem Bild ein Heiliger neben einer Figur der griechischen Mythologie steht (was bemerkenswert und interpretationsbedürftig ist), man in beiden aber nur Männer mit Umhängen erkennt, kann man sich allenfalls Gedanken über die Malweise des Faltenwurfs machen, aber der Sinn erschließt sich nicht.

Der Religionsunterricht liegt in der Zuständigkeit der Länder und die Bundesländer haben verschiedene Regelungen. Die Positionen von Bündnis 90/Die Grünen müssten Sie in den verschiedenen Landesprogrammen finden können. Für Berlin kann ich sagen: Wir wollen am Pflichtfach Ethik für alle ebenso festhalten wie am freiwilligen Fach Religion. Religion kann in diesem Modell für alle Gemeinschaften erteilt werden, die vom Senat die Anerkennung dazu erhalten haben – was in einer vielfältigen Stadt eine Vielfalt an Religionsunterricht ermöglicht -, Klassen kommen aber nur zustande, wenn eine Mindestteilnehmer*innenzahl erreicht ist. Grundkenntnisse über Religionen und vor allem Denk- und Diskussionsraum für grundsätzliche Lebensfragen bietet der Ethikunterricht für alle. Ich finde diesen auch mit Blick auf die Entwicklung von gegenseitigem Verständnis und einem friedlichen Miteinander sehr wichtig.

Herzliche Grüße

Katrin Schmidberger

 

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