Ist Organentnahme bei Herz-Kreislauf-Stillstand eine Straftat wegen unterlassener Hilfeleistung?
Sehr geehrte Frau Helling-Plahr,
in vielen Fällen können Personen, die einen Herz-Kreislauf-Stillstand erleiden, erfolgreich wiederbelebt werden. Aus diesem Grund gehört die Herz-Lungen-Wiederbelebung zu den Standard-Themen bei Erste-Hilfe-Kursen.
Laut aktuellen Medienberichten schlagen Sie etwas vor, das ich nicht verstehe: „ ... wollen wir die bereits bestehende Möglichkeit einer Organspende nach einem Hirntod um die zusätzliche Option einer selbstbestimmten Organspende auch nach Herz-Kreislauf-Tod ergänzen.“ (Quelle: https://www.welt.de/politik/deutschland/article254009562/FDP-Vorstoss-Fuer-die-Organspende-koenne-kuenftig-auch-der-Herz-Kreislauf-Tod-gelten.html)
Meinen Sie mit Herz-Kreislauf-Tod den Herz-Kreislauf-Stillstand?
Ist Organentnahme bei Herz-Kreislauf-Stillstand eine Straftat wegen unterlassener Hilfeleistung nach §323c StGB? Kann bei einem solchen Delikt das Opfer der Tat durch eine vorausgehende Verfügung eine Strafe für die Beteiligten der Organentnahme ausschließen?
Sehr geehrter Herr K.,
haben Sie vielen Dank für Ihre Frage. Wie Sie richtig feststellen, kann der Herz-Kreislauf-Stillstand in vielen Fällen behoben werden. Im Vergleich dazu ist der sogenannte Herz-Kreislauf-Tod irreversibel und ein in Deutschland und weltweit anerkanntes Kriterium zur Feststellung des Todes. Dieses kommt hierzulande tagtäglich zum Einsatz. Der Herz-Kreislauf-Tod wird festgestellt, wenn es nicht gelingt, einen Patienten oder eine Patientin mit Herz-Kreislauf-Stillstand wiederzubeleben und das Herz auch nach einer Wartezeit von mehreren Minuten ohne medizinische Eingriffe nicht mehr zu schlagen beginnt. Herz-Kreislauf-Stillstand und Herz-Kreislauf-Tod sind also begrifflich unbedingt zu trennen - ersteres ist eine Todesursache, zweiteres eine Todesdefinition.
Bei dem Positionspapier, auf das sich Ihre Frage bezieht, geht es nicht um den Herz-Kreislauf-Stillstand. Stattdessen befasst es sich mit dem Herz-Kreislauf-Tod. Ziel des Papiers ist es, die Zahl der Organspenden in Deutschland durch einen pragmatischen Schritt und unter Wahrung des Respekts für die Entscheidung des Einzelnen zu steigern. Gegenwärtig sind Organspenden in Deutschland nur nach dem sogenannten Hirntod möglich. Letzterer ist eine weitere Todesdefinition, die in der Praxis nur äußerst selten eingesetzt wird. Unser Vorschlag: Die Bürgerinnen und Bürger sollen die zusätzliche Möglichkeit erhalten, bei der Willenserklärung für oder gegen die Organspende auch anzugeben, ob sie zu einer Spende nach dem Herz-Kreislauf-Tod bereit wären. Dies könnte beispielsweise über ein zusätzliches Feld auf dem Organspendeausweis erfolgen. Dem Einzelnen stünde es völlig frei, sich für oder gegen diese Spendemöglichkeit zu entscheiden. Damit stärken wir die Selbstbestimmung des Einzelnen: Gegenwärtig hat niemand in Deutschland die Möglichkeit, seine Bereitschaft zur Spende nach dem Herz-Kreislauf-Tod zu erklären. Die Freiheit zu dieser Entscheidung wollen wir den Menschen geben.
Die Probleme der Organspende in Deutschland sind bekannt. Jedes Jahr sterben etwa 700 Menschen, während sie auf ein Spendeorgan warten. Wer eine Spenderniere bekommt, hat darauf im Schnitt bis zu ein Jahrzehnt gewartet. Es werden nun wieder Forderungen laut, dieser Situation durch die sogenannte Widerspruchslösung beizukommen. Dabei würde der Einzelne zum potenziellen Spender erklärt, sobald er nicht explizit widerspricht - also auch, wenn er seine Bereitschaft zur Spende gar nicht erklärt hat. Wenn wir solche Eingriffe in die Selbstbestimmung des Einzelnen verhindern wollen, müssen wir pragmatische Vorschläge liefern, wie sich die Zahl der Organspenden steigern lässt. Das tun wir mit unserem Debattenbeitrag. Internationale Vorbilder wie die Niederlande, Spanien oder die USA zeigen, dass durch die Spende nach dem Herz-Kreislauf-Tod ein erheblicher Beitrag zur Bekämpfung des Organmangels geleistet werden kann. Diesem Beispiel sollten wir folgen - und dabei die Entscheidungsfreiheit der Menschen stärken, statt sie zu schwächen.
Mit freundlichen Grüßen
Katrin Helling-Plahr