Frage an Katja Keul von Fritz V. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Keul,
aus persönlicher Betroffenheit möchte ich Sie um eine Einschätzung bzgl. der Anwendung des § 22 BMG sowie dessen Ausführungsbestimmungen in der BMGVwV bitten.
Warum wird hierin aus Sicht des Gesetzgebers darauf abgestellt, dass die Meldebehörde bei der Prüfung und Entscheidung über die Hauptwohnung im Zweifelsfall entgegen der Angabe der betroffenen Person entscheiden kann?
Letztlich ist es für eine Meldebehörde schließlich schlicht unmöglich, zweifelsfrei die "vorwiegend genutzte Wohnung" oder den "Schwerpunkt der Lebensbeziehungen" einer Person festzustellen, ohne diesen über einen repräsentativen Zeitraum rund um die Uhr zu überwachen. Und selbst dann kann es dabei erhebliche Schwierigkeiten geben.
Insbesondere in unserer Zeit zunehmender Flexibilitätserwartungen an Arbeitnehmerinnen und -nehmer erscheint mir die geltende Regelung schlicht realitätsfremd. Wo soll bspw. eine Wissenschaftlerin nach dem BMG aus Sicht der Meldebehörde ihren Hauptwohnsitz haben, wenn sie von Montag bis Donnerstag eine Stelle in Stadt X wahrnimmt, dort ggf. Mitglied eines Sportvereines und diverser Universitätsgremien ist und danach zu ihrer Lebenspartnerin in Gemeinde Y fährt? Oder ein Student, der in Stadt X studiert und arbeitet und seine Wohnung während der Vorlesungszeit hat, aber in Gemeinde Y, in der seine Familie lebt, kommunalpolitisch aktiv ist? Noch komplizierter wird es für Verheiratete oder Verpartnerte, für die das BMG einen gemeinsamen Hauptwohnsitz vorsieht, wobei das selbst bei der Existenz von Kindern längst nicht mehr der Fall sein muss.
Mir erscheint deshalb eine Flexibilisierung des BMG an dieser Stell unbedingt sinnvoll, um unzähligen Menschen langwierige Auseinandersetzungen mit den Meldebehörden zu ersparen und ihnen stattdessen die Möglichkeit zu geben, ihren Hauptwohnsitz frei zu wählen.
Mit freundlichen Grüßen
Fritz R. Viertel
Sehr geehrter Herr Viertel,
Vielen Dank für Ihre Anfrage auf abgeordnetenwatch.de in der Sie um eine Einschätzung bzgl. der Anwendung des § 22 BMG sowie dessen Ausführungsbestimmungen in der BMGVwV bitten.
Sie haben natürlich Recht, dass in der heutigen Zeit, in der Flexibilität eine große Rolle spielt, der Hauptwohnsitz eines Bürgers oder einer Bürgerin nicht so einfach zu bestimmen ist.
Die Regelung, dass Bürgerinnen und Bürger einen bestimmten Hauptwohnsitz haben müssen, wurde erstmalig im Melderechtsrahmengesetz von 1980 eingeführt. Vorher gab es das freie Wahlrecht. Grund für die Einführung eines Hauptwohnsitzes war laut Gesetzesbegründung unter anderen, dass aufgrund des freien Wahlrechts wohl die Einwohnerzahlen von Meldebehörden und Statistikämtern erheblich voneinander abwichen. Damit habe es Probleme beim kommunalen Finanzausgleich gegeben. Mit der Pflicht sollte auch Missbrauchsfällen vorgebeugt werden, etwa zur Erlangung günstiger Versicherungsprämien und für Steuervorteile.
Die Pflicht zur Festlegung einer Hauptwohnung ist heute ähnlich im § 21 BMG geregelt. Diese Vorschrift und auch die des § 22 BMG wurde in den letzten 20 Jahren durch Rechtsprechung konkretisiert, so dass ihr Anwendungsbereich ziemlich klar bestimmt ist und unbestimmte Rechtsbegriffe wie "vorwiegend genutzte Wohnung" oder "Schwerpunkt der Lebensbeziehung" greifbarer geworden sind.
Natürlich gibt es Grenzfälle, die schwierig zu entscheiden sind. Die Regelung in § 22 Abs. 3 BMG räumt der Meldebehörde einen Ermessensspielraum bei der Bestimmung des Hauptwohnsitzes ein: " In Zweifelsfällen ist die vorwiegend benutzte Wohnung dort, wo der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen des Einwohners liegt." ( § 22 III BMG). Es werden also nicht in allen Situationen die Bestimmungen des § 22 Abs. 1 und 2 angewendet, sondern es kann auf besondere Lebenssituationen eingegangen werden und die der heutigen Mobilität und der Selbstbestimmung des Betroffenen gerecht werden.
Sollte Ihnen ein Fall bekannt sein, in dem jemand nicht an dem Ort wählen durfte, an dem er sich kommunalpolitisch engagiert, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie diesen genauer schildern könnten, damit ich den Regelungsbedarf gegebenenfalls besser beurteilen kann.
Mit freundlichen Grüßen,
Katja Keul