Frage an Kathrin Senger-Schäfer von Thomas P. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Senger-Schäfer,
da ich lange im Bereich Hilfsmittel tätig bin (u.a. bei der GKV), habe ich mit großem Interesse Ihre Aussagen bzgl. Hilfsmitteln verfolgt ( http://www.hwelt.de/c/content/view/6932/1/ ).
Nach meiner Erfahrung ist eine Leistungs- und Kostensteuerung im Bereich der Hilfsmittel durchaus der Fall. Dafür sprechen die deutlich sinkenden Vertragspreise nach SGB 5 §127 Abs. 2 und Ablehnungen von im Hilfsmittelverzeichnis gelisteten Hilfsmitteln durch Kostenträger trotz ärztlicher Verordnung. Diese Ablehnung erfolgt oft ohne eine Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Kassen (MDK).
Die Zahl dieser Ablehnungen hat zu einer Zunahme der Klagen vor Sozialgerichten geführt, üblicherweise mit Erfolg für den Kläger.
Kostenübernahmen von nicht im Hilfsmittellverzeichnis gelisteten Produkten stellen die absolute Ausnahme dar und machen sich finanziell nicht bemerkbar.
Das von Ihnen erwähnte „Prinzip der Vorkasse“, das im Hilfsmittelbereich üblich sei, ist mir ebenfalls nicht bekannt.
Vielmehr treten Leistungserbringer häufig in Vorleistung und versorgen den Patienten mit dem ärztlich verordneten Hilfsmittel ohne Genehmigung-kostenlos.
Der Grund hierfür liegt in der kassenabhängig langen Bearbeitungsdauer (bis zu mehreren Monaten) eines Kostenvoranschlags für Hilfsmittel, gerade bei kostenintensiven Versorgungen.
Verstirbt der Patient innerhalb der Berbeitungsdauer oder bricht die Therapie ab, erfolgt keine Vergütung durch die Krankenkasse.
Ich bitte um Rückmeldung, wo das „Prinzip der Vorkasse“ im Hilfsmittelbereich Anwendung findet.
Mfg.
Thomas Platz
Sehr geehrter Herr Platz,
ich danke Ihnen für Ihre Anfrage, die ich Ihnen auch sehr gern beantworte.
Sie thematisieren meine Presseerklärung „Entwicklung im Heil- und Hilfsmittelbereich ernst nehmen“ vom 05.10.2010. Ich möchte aufgrund Ihrer Ausführungen insbesondere auf das „Prinzip der Vorkasse“ eingehen, welches in der Presserklärung angesprochen wird:
Die Pressemitteilung stellt eine Reaktion auf den an diesem Tag erschienen „Heil- und Hilfsmittelreport 2010“ der Barmer GEK dar. In diesem Zusammenhang äußerte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Barmer GEK Dr. Rolf-Ulrich Schlenker sinngemäß, dass einer Ausweitung der Kostenerstattung, wie von der schwarz-gelben Koalition geplant, eine Absage zu erteilen sei. Er verwies dabei auf Erfahrungen aus dem Hilfsmittelmarkt. Zitat: „Hier ist das Prinzip von Vorkasse und Kostenerstattung längst gang und gäbe.“
Bezugnehmend auf diese Äußerung entstand meine Bewertung. Sie ist dabei unabhängig von den Äußerungen von Dr. Rolf-Ulrich Schlenker zu bewerten. Ob ein weitreichender inhaltlicher Zusammenhang mit den Äußerungen besteht, kann ich nicht beurteilen, da mir die detailierten Hintergründe seiner Meinung nicht näher bekannt sind. Vielmehr komme ich, nach meinem Wissensstand, zu einer ähnlichen Erkenntnis.
Anlass meiner Wertung ist folgender Umstand:
Seit einigen Jahren zeigt sich zunehmend, dass verschiedene Krankenkassen Anträge auf Versorgung mit Hilfsmitteln nur noch sehr schleppend bearbeiten oder teilweise ganz ablehnen. Gesetzlich versicherte Bürgerinnen und Bürger gewinnen sogar häufig den Eindruck, dass Anträge auf Hilfsmittel im ersten Anlauf regelmäßig abgelehnt werden. Dies wird nicht der Realität entsprechen, aber besorgniserregend sind solche Einschätzungen dennoch.
Ungeachtet dessen haben gesetzlich versicherte Personen gegenüber den Krankenkassen einen grundlegenden Anspruch auf die Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen (vgl. § 33 Abs. 1 SGB V).
Die Spitzenverband Bund der Krankenkassen erstellt hierfür ein Hilfsmittelverzeichnis, in dem die Produkte aufgelistet sind, die erstattet werden (vgl. § 139 SGB V). Das Hilfsmittelverzeichnis ist jedoch keine sogenannte Positivliste, sondern gilt nur als unverbindliche Empfehlungsliste. Im Einzelfall können auch nicht aufgelistete Produkte erstattungsfähig sein.
Die Krankenkassen sind verpflichtet, über einen Antrag innerhalb von 3 Wochen nach dem Antragseingang zu entscheiden. Wenn für die Überprüfung des Antrages ein Gutachten erforderlich ist, verlängert sich die Frist um 4 Wochen. Wenn die Krankenkasse die Entscheidungsfristen nicht einhalten kann, hat sie dies dem Antragsteller unter Angabe der Gründe für die Verzögerung mitzuteilen. Ist diese Mitteilung unterblieben oder ist sie nicht mit zureichenden Gründen (z. B. Verletzung von Mitwirkungspflichten oder Informationspflichten von Ärzten) versehen, kann der Antragsteller der Krankenkasse eine angemessene Frist setzen und dabei erklären, dass er sich nach Ablauf der Frist die erforderliche Leistung selbst beschaffen wird. Als angemessene Frist wird in der Regel ein Zeitraum von 3 bis 4 Wochen angesehen. Neben der vorstehend beschriebenen Untätigkeit der Krankenkasse besteht die Möglichkeit der Selbstbeschaffung der Hilfsmittel, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (§ 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX). Bei einer Selbstbeschaffung ist die Krankenkasse zur Erstattung der entstehenden Aufwendungen verpflichtet, allerdings nur in Höhe der notwendigen Kosten. Derjenige, der sich die beantragte Leistung selbst beschafft, trägt das Risiko, dass zum einen keine Leistungspflicht besteht und zum Anderen, dass die Kosten der Selbstbeschaffung nicht als notwendig anerkannt werden. Das Risiko der Selbstbeschaffung trägt damit allein die selbstbeschaffende Person.
Meine Auffassung ist es, dass dieses beschriebene Procedere immer häufiger von gesetzlich Versicherten angewandt werden muss. Für mich handelt es sich dann um nichts anderes als ein „Prinzip der Vorkasse“, welches zwar so faktisch nicht vom Gesetzgeber präferiert wird. Der immer häufiger auch von Selbsthilfeorganisationen oder von Juristen aufgezeigte Weg einer möglichst rechtssicher Selbstbeschaffung mit verbundener Kostenerstattung von Hilfsmitteln bestärken mich in meiner Meinung.
Ich gehe davon aus, dass die meisten Menschen, welche Hilfsmittel verordnet bekommen, auch tatsächlich auf diese angewiesen sind. Etwaige Verzögerungen oder gar Ablehnungen der Kostenübernahme ändern nichts an deren unverzüglichen Bedarfen. Von daher sind sie gezwungen, die Hilfsmittel selbst zu beschaffen. Oft ist dies mit Mehrkosten verbunden oder im schlimmsten Fall mit der vollständen Kostenlast.
Ich bezweifle nicht, dass es im Hilfsmittelbereich zu etwaigen Leistungs- und Kostensteuerungen gekommen ist. Dafür sind insbesondere die mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) eigeführte neue Vergabepraxis bei Hilfsmitteln verantwortlich. Seit 1. April 2007 sollen die Krankenkassen prinzipiell im Wege der Ausschreibung Verträge mit Erbringern von Hilfsmitteln schließen. Kraft namens des Gesetzes stand hier der Preiswettbewerb im Hilfsmittelbereich im Vordergrund.
Ob diese Entwicklung allerdings zum Wohle der Betroffenen ist, wage ich zu bezweifeln. Die Zunahme von Klagen vor den Sozialgerichten sprechen eine andere Sprache. Denn wer sich in einer Situation befindet, die eine Hilfsmittelversorgung notwendig macht, dem sollten häufig langwierige Gerichtsverfahren erspart bleiben.
Grundsätzlich spreche ich mich gegen einen die Qualität ruinierenden Preiswettbewerb aus. Außerdem bin auch dagegen, dass Versicherte einer bestimmten Krankenkasse nur Leistungen bestimmter Hilfsmittelerbringer in Anspruch nehmen dürfen. Die Versicherten haben nach der Neuregelung gemäß „Wettbewerbsstärkungsgesetz“ keine freie Wahl mehr zwischen den verschiedenen Hilfsmittelerbringern.
Wenn man den in diesem Gesetz vorgesehenen „Wettbewerb“ jedoch will, muss man für faire Bedingungen sorgen. Hierfür wäre die von mir in der Presserklärung erwähnte Kosten-Nutzenbewertung analog zum Arzneimittelbereich zielführend. Denn der Hilfsmittelbereich erscheint mir hier sehr undurchsichtig. Aber auch ohne wettbewerbsforcierende Maßnahmen sollten sich die Kosten für Hilfsmittel im tatsächlichen Nutzen für die Patientinnen und Patienten widerspiegeln.
Dass Leistungserbringer, wie von ihnen beschrieben, häufig in Vorleistung gehen und betroffene Patientinnen und Patienten ohne Genehmigung mit dem ärztlich verordneten Hilfsmittel „kostenlos“ versorgen, ist dabei nach meiner Erfahrung häufig der Fall. Er ist aber eben auch nicht die Regel. Außerdem sichern sich die Leistungserbringer dann ab, indem sie die Leistung nur vorbehaltlich der Kostenübernahme durch die Kassen erbringen. Insofern bleibt das Risiko bei wiederum bei den Patienten und im Zweifelsfall bei den Angehörigen.
Mit freundlichen Grüßen
Kathrin Senger-Schäfer