Frage an Kathrin Senger-Schäfer von Alexander S. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Senger-Schäfer,
ich möchte aufgrund persönlicher Erfahrungen auf von mir als grob empfundene soziale Ungerechtigkeiten in Bezug auf die Krankenkassen hinweisen.
Aufgrund persönlicher Umstände, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte, war ich bis zur zweiten Hälfte 2009 nicht krankenversichert. Da zur weiteren Lebensführung notwendig, meldete ich mich ab 09/09 arbeitslos. Seit dem erhalte ich Bezüge nach dem SGB II.
Meine Anmeldung bei der Krankenkasse gestaltete sich etwas schwierig.
Aufgrund der gesetzlichen Versicherungspflicht ab 2007 habe ich sofort von der BARMER eine Rechnung über Beitragsrückstände i.H.v. 4.000€ erhalten, mit der Begründung, dass seit 2007 eine allgemeine Versicherungspflicht besteht, weshalb ich rückdatiert angemeldet werden musste. Und das obwohl ich weder Leistungen in Anspruch genommen habe, oder hätte nehmen können.
Darüber hinaus weigert sich die BARMER nachhaltig, mir eine Versichertenkarte auszuhändigen, womit mir die gewöhnlichen Leistungen der Krankenkasse verwehrt bleiben. Und das, obwohl die aktuellen Beiträge ordnungsgemäß entrichtet werden.
Ist es nicht so, dass die allgemeine Versicherungspflicht damals beschlossen wurde, um damit Menschen außerhalb des Sozialgitters einen Wiedereinstieg zu ermöglichen, z.B.Hausfrauen, Jugendliche oder Wohnsitzlose?
Ist es daher wirklich rechtens und sozial, dass die Krankenkassen durch Rückdatierung entstehende Beitragsrückstände als Vorwand nutzen, um genau dieses zu verhindern? Ein Wohnsitzloser meldet sich bestimmt nicht an, wenn man mit hohen Rechnungen droht.
Ich denke, dass dadurch der eigentliche "Geist" dieses Beschlusses ad absurdum geführt wird!
1. Ich sehe hier sofortigen Handlungsbedarf für die Politik!
2. Sind ihnen Stellen bekannt, wo ich meinen persönlichen Fall vortragen kann, um evtl. eine Einigung mit der BARMER erzielen zu können, damit mir die gewöhnlichen Leistungen der Krankenkasse nicht weiter verwehrt bleiben?
MfG
A. Schroeder
Sehr geehrte/r Frau/Herr Schroeder,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich gebe Ihnen völlig recht, dass zumindest die Art und Weise, wie in Ihrem Fall das Gesetz umgesetzt wird, der eigentlichen Absicht, möglichst allen Menschen eine Absicherung im Krankheitsfall zu gewähren, zuwiderläuft.
Es ist richtig, dass Sie diese Nachzahlung - beginnend mit dem Eintritt Ihrer Versicherungspflicht - zu leisten haben und diese Regelung ist auch nach unserer Auffassung folgerichtig. Denn nach Einführung einer Versicherungspflicht ist jeder und jede Mitglied der Solidargemeinschaft. Und Solidarität kann nicht als Einbahnstraße konzipiert sein. Das gilt damit auch für den Fall, dass keine Leistungen in Anspruch genommen werden (müssen). Es kann also nicht sein, dass Unversicherte schadlos solange keine Beiträge zahlen, bis sie Leistungen brauchen und sich erst dann versichern.
Streiten kann man sich sicherlich, ob die Information über diese Neuregelung vom Ministerium an alle Unversicherten kommuniziert wurde. Meines Erachtens hätte dies vom Ministerium besser gemacht werden können. DIE LINKE hatte das Ministerium seinerzeit auch auf diese Defizite hingewiesen und darüber, dass viele Unversicherte später hohe Nachzahlungen erwarten im Falle des Nichtwissens.
Wir kritisieren auch die Art und Weise, wie die Nachzahlungen eingetrieben werden. Im Gesetz steht darüber folgendes:
§ 186 SGB V Abs. 11
"(11) Die Mitgliedschaft der nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Versicherungspflichtigen beginnt mit dem ersten Tag ohne anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall im Inland. Die Mitgliedschaft von Ausländern, die nicht Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder Staatsangehörige der Schweiz sind, beginnt mit dem ersten Tag der Geltung der Niederlassungserlaubnis oder der Aufenthaltserlaubnis. Für Personen, die am 1. April 2007 keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben, beginnt die Mitgliedschaft an diesem Tag. Zeigt der Versicherte aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach den in Satz 1 und 2 genannten Zeitpunkten an, hat die Krankenkasse in ihrer Satzung vorzusehen, dass der für die Zeit seit dem Eintritt der Versicherungspflicht nachzuzahlende Beitrag angemessen ermäßigt, gestundet oder von seiner Erhebung abgesehen werden kann."
Es ist also nur bei Gründen, die der Versicherte nicht zu vertreten hat, eine Ratenzahlung oder ähnliches seitens der Kassen vorzusehen. Leider gehen Sie nicht auf die Gründe ein, die bei Ihnen vorlagen. Unseres Erachtens müsste für alle "klammen" Neuversicherten mit Beitragsschulden eine gesetzliche Lösung gefunden werden - wenn das über die Krankenkassen nicht funktioniert, dann sollten die Sozialämter in Vorzahlung treten und eine Ratenzahlung mit den Versicherten vereinbaren. Dann würden dem/der Versicherten egal aus welchem Grund er oder sie zuvor unversichert war, sofort alle Leistungen gewährt. Damit wäre der Sinn der Einführung der Versicherungspflicht erfüllt. Ich stimme mit Ihnen überein, dass mit den derzeitigen Regelungen dies nur teils erreicht wird.
Derzeit ist die gesetzliche Regelung dazu, dass sobald eine Ratenzahlung vereinbart wurde, die Kassen in voller Leistungspflicht sind:
§ 16 SGB V Abs. 3a
"(3a) Der Anspruch auf Leistungen für nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz Versicherte, die mit einem Betrag in Höhe von Beitragsanteilen für zwei Monate im Rückstand sind und trotz Mahnung nicht zahlen, ruht nach näherer Bestimmung des § 16 Abs. 2 des Künstlersozialversicherungsgesetzes. Satz 1 gilt entsprechend für Mitglieder nach den Vorschriften dieses Buches, die mit einem Betrag in Höhe von Beitragsanteilen für zwei Monate im Rückstand sind und trotz Mahnung nicht zahlen, ausgenommen sind Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten nach den §§ 25 und 26 und Leistungen, die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft erforderlich sind; das Ruhen endet, wenn alle rückständigen und die auf die Zeit des Ruhens entfallenden Beitragsanteile gezahlt sind oder wenn Versicherte hilfebedürftig im Sinne des Zweiten oder Zwölften Buches werden. Ist eine wirksame Ratenzahlungsvereinbarung zu Stande gekommen, hat das Mitglied ab diesem Zeitpunkt wieder Anspruch auf Leistungen, solange die Raten vertragsgemäß entrichtet werden."
Die Regelungen zu den Ratenzahlungen etc. der BARMER sind satzungsgemäß folgende:
"(2) Zeigt ein nach § 5 Absatz 1 Nummer 13 SGB V versicherungspflichtiges Mitglied aus Gründen, die es nicht zu vertreten hat, das Vorliegen der Voraussetzungen seiner Versicherungspflicht nach den in § 186 Absatz 11 Satz 1, 2 oder 3 SGB V genannten Zeitpunkten an, sind die nachzuzahlenden Beiträge auf Antrag
1. unter den Voraussetzungen des § 76 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 und Satz 2 SGB IV zu stunden,
2. unter den in Satz 2 und 3 genannten Voraussetzungen für die Zeit bis zum Beginn des Monats der Anzeige über das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht auf den Betrag zu ermäßigen, der von freiwilligen Mitgliedern nach § 240 Absatz 4a SGB V zu zahlen ist,
3. unter den Voraussetzungen des § 76 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 SGB IV niederzuschlagen oder zu erlassen. Eine Ermäßigung der Beiträge setzt voraus, dass der Nacherhebungszeitraum mehr als drei Monate umfasst und das Mitglied erklärt, während dieses Zeitraums Leistungen für sich und seine nach § 10 SGB V mitversicherten Familienangehörigen nicht in Anspruch genommen zu haben, und auf eine Erstattung der Kosten bereits in Anspruch genommener Leistungen verzichtet. Eine Ermäßigung der Beiträge scheidet aus, wenn zum Zeitpunkt des Eintritts der Versicherungspflicht ein Beitrittsrecht zur freiwilligen Krankenversicherung bestand, dieses jedoch nicht ausgeübt wurde."
Weil Sie zu Ihren Gründen keine Angaben machen, kann ich Sie hierin leider auch nicht einordnen.
Solange die Leistungen ruhen, muss Ihnen die Kasse auch keine Versichertenkarte geben.
Ich rate Ihnen - um zu Ihrer zweiten Frage zu kommen - bei der Unabhängigen Patientenberatung (UPD) anzurufen. Diese Stelle ist für eine kostenlose persönliche rechtliche Beratung in allen Fragen rund um Krankenkassen und medizinische Leistungen eingerichtet worden. Hier existiert sicherlich auch mehr Praxiserfahrung als ich sie Ihnen bieten kann. Sie erreichen die UPD kostenfrei unter 0800/0117722 (Mo bis Fr. von 10 bis 18 Uhr). Leider weiß ich nicht wo sie wohnen; dann könnte ich Ihnen ggf. auch eine Zweigstelle in Ihrer Nähe nennen, die sie aber auch unter dieser Nummer erfragen können, wo dann eine Beratung vor Ort möglich ist.
Ich hoffe ich konnte Ihnen helfen und unseren politischen Standpunkt vermitteln. Ich wünsche Ihnen alles Gute und viel Erfolg!
Mit freundlichen Grüßen
Kathrin Senger-Schäfer (MdB)