Trifft es gemäß Ihrer Sicht zu, dass Deutschland durch die Ausbildung ukrainischer Soldaten völkerrechtlich zur Kriegspartei wurde?
Sehr geehrte Frau Dröge,
vielen Dank für die Beantwortung meiner Frage!
Es verbleibt dennoch die Frage, ob Deutschland durch die Ausbildung ukrainischer Soldaten völkerrechtlich zur Kriegspartei geworden ist, wie es das Gutachten der Wissenschaftl. Dienste nahelegt oder sogar feststellt.
https://www.n-tv.de/politik/Neues-Gutachten-Ist-die-Ausbildung-ukrainischer-Soldaten-in-Deutschland-eine-Kriegsbeteiligung-article23302046.html
(unabhängig davon, dass der Angriff Russlands gegen die Ukraine völrkrrechtswidrig ist und ein Angriff gegen Deutschland es ebenso wäre, wie Sie ja richtig feststellen).
Oder hatten Sie diesen Teil meiner Frage implizit mit-beantwortet?
MIt freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr R.,
vielen Dank für Ihre erneute Nachfrage. Es ist völkerrechtkonform, die Ukraine durch Waffenlieferungen oder die Ausbildung von Soldaten zu unterstützen.
Das Konzept der Neutralität stammt aus der Völkerrechtsordnung vor Gründung der Vereinten Nationen. Im Kern regeln die beiden Haager Abkommen, dass ein neutraler Staat sein Territorium Kriegsparteien nicht zur Verfügung stellen darf, auch Waffenlieferungen werden im Abkommen XIII als Verletzung der Neutralitätspflicht angesehen. Dieses Neutralitätsgebot wird mittlerweile aber durch die UN-Charta und das dort enthaltene Gewaltverbot überlagert. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine verstößt eindeutig gegen das Gewaltverbot. Gemäß Art. 51 UN-Charta existiert in solchen Fällen ein Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung gegen den bewaffneten Angriff. Die Ukraine darf sich gegen den russischen Angriff verteidigen und Staaten, die von der Ukraine um Unterstützung gebeten wurden, dürfen sich ebenfalls auf Art. 51 UN-Charta berufen und die Ukraine militärisch unterstützen. Eine solche Unterstützung der Ukraine ist völkerrechtskonform und stellt keine Verletzung des Neutralitätsgebotes dar.
Prof. Walter legt in seinem Aufsatz "Der Ukraine-Krieg und das wertebasierte Völkerrecht" (JZ 2022, S. 473-478) dar, dass durch die UN-Charta und das dort geregelte Gewaltverbot "der Status der 'Nichtkriegsführung' ('non-belligerency') an die Stelle des Neutralitätsprinzips [getreten ist], ohne dieses ganz zu verdrängen. Kennzeichnend für den Status der non-belligerency ist, dass der betreffende Staat nicht unparteilich und damit nicht neutral im Sinne des traditionellen Neutralitätsprinzips ist, dass er 'gleichzeitig aber – aus welchen Gründen auch immer – auch nicht als Kriegführender aktiv an den Kampfhandlungen teilnimmt'. Letztlich schlagen also die Wertungen des modernen Friedenssicherungsrechts auf das Neutralitätsrecht durch: Am Konflikt nicht beteiligte Staaten haben die Wahl zwischen der (strikten) Neutralität, die weiter existiert, und der non-belligerency, die es ihnen erlaubt, eine Konfliktpartei aktiv zu unterstützen. Angesichts der maßgeblichen Wertungen des Gewaltverbots ist offensichtlich, dass die Unterstützung im Rahmen der non-belligerency nur zugunsten derjenigen Konfliktpartei zulässig ist, die im Einklang mit den maßgeblichen Regeln der UN-Charta handelt. Wer den Aggressor unterstützt, leistet Beihilfe zum Völkerrechtsverstoß und handelt selbst völkerrechtswidrig." Deutschland ist aufgrund seiner Unterstützung für die Ukraine demnach nicht neutral im Sinne des Neutralitätsprinzips, aber auch nicht Konfliktpartei, sondern hat den Status der non-belligerency.
Letztlich kommt es im vorliegenden Fall nicht auf die Frage an, durch welche konkreten Maßnahmen (Waffenlieferungen oder die Ausbildung ukrainischer Soldaten) Deutschland zur Konfliktpartei würde, da im Falle des völkerrechtswidrigen Ukrainekriegs keine Neutralitätspflicht besteht. Die Unterstützung der Ukraine ist völkerrechtskonform. Russland hat trotz deutscher Unterstützungsmaßnahmen für die Ukraine kein Recht, Deutschland anzugreifen. Das Völkerrecht verbietet es Russland als Aggressor gegen die Staaten militärisch vorzugehen, die den von ihm angegriffenen Staat unterstützen, die sich auf das Selbstverteidigungsrecht aus Art. 51 UN-Charta stützen können.
Beste Grüße
Team Dröge